Haidhausen/Maxvorstadt:Abschied am Zaun

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Gedenken direkt am Zaun, an dem sich damals die Scholl-Geschwister verabschiedeten: Der Bezirksausschuss Au-Haidhausen - im Bild Redner Hermann Wilhelm (SPD) - erinnerte zu ihrem 100. Geburtstag an Sophie Scholl. (Foto: Robert Haas)

Haidhausen erinnert an den Widerstand der Weißen Rose - ein Stück von dem Gitter, an dem sich ihre Mitglieder einst verabschiedeten, möchten viele haben

Von Lea Kramer und Patrik Stäbler, Haidhausen/Maxvorstadt

Hinter ihr ist soeben eine Straßenbahn vorbeigerattert, vor ihr donnert ein Güterzug heran, der gleich in den Ostbahnhof einfahren wird. Doch inmitten dieses Lärms ist deutlich die Stimme von Barbara Schaumberger (CSU) vernehmbar, der circa 50 Umstehende gebannt lauschen. "Leistet passiven Widerstand", sagt die Lokalpolitikerin aus dem Bezirksausschuss (BA) Au-Haidhausen. "Widerstand, wo immer ihr auch seid. Verhindert das Weiterlaufen dieser atheistischen Kriegsmaschine, ehe es zu spät ist, ehe die letzten Städte ein Trümmerhaufen sind, gleich Köln, und ehe die letzte Jugend des Volkes irgendwo für die Hybris eines Untermenschen verblutet ist."

Die Sätze stammen aus einem Flugblatt der Weißen Rose - der studentischen Widerstandsgruppe in der NS-Zeit, der auch Sophie Scholl angehörte. Sie, die im Alter von 21 von den Nazis hingerichtet wurde, würde an diesem Sonntag ihren 100. Geburtstag feiern. Aus diesem Anlass lesen mehrere BA-Mitglieder bei einer Gedenkveranstaltung aus den Flugblättern der Widerstandsgruppe vor - an einem historischen Schauplatz. Denn hier, vor dem Metallzaun an der Orleansstraße, hat Sophie Scholl ihrem Bruder Hans Scholl und weiteren Weiße-Rose-Mitgliedern im Juli 1942 Lebewohl gesagt, ehe diese an die Ostfront gebracht wurden. Die Verabschiedung hat der Fotograf Jürgen Wittenstein in heute weltbekannten Fotos festgehalten. Die ikonografischen Bilder sind der Grund, weshalb an der Orleansstraße ein Gedenkort entstehen soll, wenn dort das Wohn- und Büroquartier Orleanshöfe gebaut wird. Teil der Erinnerungsstätte wird eines der Zaunelemente sein, die restlichen Teile des Zauns sollen an Bildungseinrichtungen vergeben werden. Bis der neue Gedenkort errichtet ist, wird eine Tafel an die Geschichte der Weißen Rose und an die Verabschiedung erinnern. Sie wurde nach der Lesung am Metallzaun angebracht.

"An die 40 Interessenten haben sich bereits gemeldet, die ein Stück des Weiße-Rose-Zauns haben wollen", sagt Hildegard Kronawitter, Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung. Unter den Interessenten ist auch der Münchner Stadtbezirk Maxvorstadt. Auf Initiative der CSU soll ein Stück des Zauns künftig vor der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) am Geschwister-Scholl-Platz aufgestellt werden und damit den Kampf der Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus an einem zentralen Ort des Geschehens dokumentieren. Die Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung äußert Kritik an der Idee: "Ich zögere, die Vorstellung teilen zu wollen, dass dort ein Stück des Zaunes hinpasst." Der Geschwister-Scholl-Platz sei eng mit den Flugblattaktionen der Widerstandsgruppe verknüpft, die im Bodendenkmal vor dem Haupteingang der Universität gewürdigt würden - was Besucher sehr intensiv wahrnähmen. "Der Zaun müsste sehr ausführlich erläutert werden", sagt Kronawitter. Sie ist dafür, andere Orte oder Bildungseinrichtungen vorzuziehen, wenn es darum geht, die Zaunstücke vom Ostbahnhof zu verteilen. "Viele Geschwister-Scholl-Schulen wünschen sich ein Zaunstück für ihren eigenen Bildungskontext", sagt sie.

Da sich ein Denkmal vor der Universität auf städtischem Grund befinden würde, obliegt die Entscheidung der Denkmalkommission der Stadt. Letzt- lich müsste sie befinden, ob sie ein Zaunstück am Geschwister-Scholl-Platz haben will.

© SZ vom 10.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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