Haidhausen:Der Mann, der als Ziege lebte

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Erstes Beschnuppern: Thomas Thwaites und eine der Bergziegen. (Foto: Tim Bowditch/oh)

Ausgerüstet mit Tierbeinprothesen und künstlichem Pansen ist der Künstler Thomas Thwaites in die Schweizer Alpen gezogen. Wie fühlt es sich an, das Herdendasein?

Interview von Jutta Czeguhn, Haidhausen

Thomas Thwaites war 33, ein Londoner Designer ohne nennenswerte Aufträge, aus Geldmangel wohnte er noch bei seinem Vater. Das Selbstwertgefühl befand sich also tief im Keller, als er beschloss, Urlaub vom Menschsein zu machen und als Geißbock in einer Ziegenherde in den Schweizer Alpen zu leben, ausgerüstet mit Tierbeinprothesen und künstlichem Pansen.

Dieses ungewöhnliche Projekt brachte dem "Goatman" 2016 den Spaß-Nobelpreis der Harvard-Universität in der Kategorie Biologie. Am Samstag, 21. Januar, 18.30 Uhr, ist Thomas Thwaites beim Künstlergespräch in der Lothringer 13 Halle zu Gast, wo sein "Toaster Project" Teil der aktuellen Ausstellung "Touch deeper" zu sehen ist. Der Designer wird dort unter anderem über seine Erfahrungen als Geißbock sprechen. Per Mail aus London hat er schon mal einiges erzählt:

SZ: Kamen Sie während Ihrer Zeit als Ziegenbock jemals dem Bewusstseinszustand nahe, ihr menschliches Ich zu vergessen?

Thomas Thwaites: Ja. Aber das war sehr schmerzhaft für meine Knochen, meine Haut und meine Muskeln... Schmerzen zu haben, kann sehr ablenkend sein...

Die Neurowissenschaft ist immer noch dabei, herauszufinden, ob Tiere über ein Bewusstsein verfügen, das mit dem menschlichen vergleichbar ist. Also, ob sie sich ihrer Vergangenheit bewusst sind, ob sie die Zukunft antizipieren können oder fähig sind, Kunst zu schaffen. Was denken Sie darüber, der Sie den Ziegen direkt in die Augen geschaut haben, Zeit und Gras mit ihnen geteilt haben?

Tatsächlich habe ich in der Vorbereitungsphase einen Experten für Ziegenpsychologie und einen Neurowissenschaftler aufgesucht, um herauszufinden, was ich tun muss, damit mein Gehirn, mein Bewusstsein mehr wie das einer Ziege funktioniert. Der Neurowissenschaftler hat dann sogar in meinem Gehirn eine sogenannte transkraniale magnetische Stimulation erzeugt, um meine Sprechfähigkeit zu unterbinden.

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Was aber das Bewusstsein angeht, nachdem ich meiner Herde in die Augen geschaut habe, etwas Zeit und Gras mit ihr geteilt habe, muss ich sagen: Ja, natürlich sind Ziegen bewusste Lebewesen, vergleichbar uns Menschen, wenn wir nicht nachdenklich sind oder über solche Dinge wie Bewusstsein grübeln, wenn wir ganz im Moment und weniger philosophisch unterwegs sind.

Apropos, wie schmeckt Gras denn so?

Das hängt von der Grassorte ab. Auf ein und derselben Wiese können die Ziegen an unterschiedlichen Stellen unterschiedlichen Geschmack herausschmecken.

Haben Sie die Vorder- und Hinterbein-Prothesen aufgehoben, für den Fall, dass Sie eines Tages den Drang verspüren, zu den Ziegen zurückzukehren?

Absolut. Ich habe sie sogar erneuert und technisch verbessert, in Vorbereitung auf einen weiteren Aufenthalt bei den Ziegen.

Wenn wir auf den Zustand unserer Welt heute blicken: Wäre sie nicht ein besserer Ort, wenn es uns als Spezies nicht gäbe, dafür aber mehr Ziegen?

Auf keinen Fall! Ziegen sind wirklich großartig, aber Menschen sind auch interessante Tiere.

Gespräch mit Thomas Thwaites, Samstag, 21. Januar, 18.30 Uhr, Lothringer 13 Halle, Lothringer Straße 13, Buchveröffentlichung: "GoatMan: How I Took a Holiday from Being Human" von Thomas Thwaites, Princeton Architectural Press.

© SZ vom 20.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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