Grundschulprojekt:Wenn ein Vater eine eigene App für die Grundschule programmiert

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Wie man Kinder zum Lesen bringt? An der Hildegard-von-Bingen-Grundschule gibt es eine schöne, helle Schülerbücherei. (Foto: Catherina Hess)

1000 Stunden hat er dafür gearbeitet - jetzt können sich die Schüler ihre Bücher digital ausleihen. Das hat auch unerwartete Vorteile für die Eltern.

Von Melanie Staudinger

Es sind nur zwei kurze Klicks und schon ist das Buch ausgeliehen. Die Bücherei der Grundschule am Hildegard-von-Bingen-Anger ist im digitalen Zeitalter angekommen und arbeitet doch ganz offline. Dass das funktioniert, hat Schulleiterin Gabriele Binder einem engagierten Vater zu verdanken: Denn Thomas Hirsch programmierte eine eigene App für die Schule. Die sollte nicht nur das Ausleihen und Zurückgeben vereinfachen, sondern die Kinder auch zum Lesen animieren. Schließlich macht es Spaß, sich mit dem eigenen Ausweis alle zwei Wochen ein neues Buch zu holen.

Das war nicht immer so. Am Anfang stand jede Klasse für sich. In jedem Zimmer richteten die Lehrer in der Grundschule am Hildegard-von-Bingen-Anger eine Leseecke ein. Die Bücher waren oftmals Spenden der Lehrer, die diese auf den Flohmärkten der Schule gekauft hatten. Doch schnell entwickelte sich die Idee einer eigenen Schülerbücherei: Kinder und deren Eltern schenkten der Schule ausgelesene Bücher, das städtische Bildungsreferat spendierte die Einrichtung und ein extra Budget für Kinderliteratur. Und auch der Elternbeirat engagierte sich. Innerhalb weniger Jahre kamen 3000 Bücher zusammen.

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Ein so großer Bestand erfordert eine ordentliche Verwaltung - Lehrer und Eltern sortierten gemeinsam die Bücher nach Themengebieten, banden sie ein, katalogisierten und inventarisierten sie. Dann kam Thomas Hirsch ins Spiel: In seinem wirklichen Leben arbeitet der Vater bei der bayerischen Finanzverwaltung. Und bevor hier Ärger ausbricht: Nein, er ist nicht für die unbeliebte Steuersoftware Elster verantwortlich, sondern kümmert sich intern um die Server. "Mit Oberflächen und Design habe ich dort nichts zu tun", sagt Hirsch. Umso größer sei die Herausforderung bei der Schul-App gewesen.

Zuerst habe er sich auf dem Markt der Bibliotheken-Programme umgeschaut. Diese aber seien für Schulen nur bedingt nutzbar, weil sie in Anschaffung und Unterhalt meist zu teuer seien und sich zu wenig um Datenschutz kümmern, so wie er an bayerischen Schulen vorgeschrieben ist. Also setzte Hirsch sich an den Schreibtisch und programmierte und überlegte und programmierte weiter. Knapp 1000 Stunden, so schätzt er, hat er in den vergangenen drei Jahren mit dem Projekt verbracht. Apple-Geräte schieden von vorneherein aus: zu teuer beim Kauf. Hirsch entschied sich für ein günstiges Tablet mit Android-Betriebssystem, seine App ist im Playstore kostenlos verfügbar, sie arbeitet im Offline-Modus und speichert keine Schülernamen - ganz so wie die Datenschutzrichtlinien das verlangen. Und sie könnte auch von anderen Schulen genutzt werden. Das einzige Accessoire ist ein Barcode-Scanner, der Bücher, Ausweise und ISBN-Codes einliest.

"Das ist ein schönes Beispiel für die Erziehungspartnerschaft zwischen Schule und Eltern", sagt Schulleiterin Binder. Denn nicht nur Thomas Hirsch und seine Frau Doris, die sich um den Bücherbestand kümmert, waren von Anfang an in das Projekt Schülerbücherei einbezogen. Auch andere Eltern, vor allem Mütter, helfen bei Ausleihe und Rückgabe. Das ist wichtig in einer Schule. "Die Schülerbücherei senkt die Hemmschwelle gerade für Eltern, die nicht so gut Deutsch sprechen", sagt Binder. Und sich nicht zu Elternabenden in die Schule trauen.

Die Schulbücherei ist aber auch für die Schüler wichtig. "Bei uns arbeiten in vielen Familien beide Eltern, sie sind am Wochenende erschöpft und oft fehlt auch das Geld für Freizeitaktivitäten", sagt Binder. 80 Prozent der Schüler am Hildegard-von-Bingen-Anger auf der Nordhaide haben einen Migrationshintergrund, viele stammen aus der Türkei und afrikanischen Ländern und gehen ganztags in die Schule. Viele Kinder verließen ihr Viertel kaum. Bildungsangebote an der Schule selbst seien daher wichtig.

Deshalb hat die Grundschule auch gerade "Die 100 besten Bücher" in der Schule ausgestellt. "Die Kinder sollen stöbern und sich die Titel aussuchen können, die sie gerne zu Hause lesen möchten", sagt Lehrerin Lisa Lindner, die Lesebeauftragte für die Schule. Neugierig machen sollen die Leseprojekte und sie kommen an. "Wir überlegen, uns einen zweiten Scanner anzuschaffen, weil die Kinder oft ziemlich lange in der Schlange stehen", sagt Binder.

© SZ vom 12.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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