Große Koalition:SPD-Mitgliederentscheid: "Jetzt ärgere ich mich schon wieder"

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Werben für den Koalitionsvertrag: Außenminister Gabriel bei seinem Auftritt in München. (Foto: Catherina Hess)

Am Sonntag gibt die SPD bekannt, ob ihre Mitglieder für die Groko gestimmt haben oder nicht. Die Münchner Parteichefin Tausend glaubt, eine Tendenz zum Ja zu erkennen. Andere hadern immer noch.

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Irmgard Hofmann hat schon einiges erlebt mit ihrer SPD, sie ist schon mehr als 25 Jahre dabei. Doch die letzten Wochen haben der 58 Jahre alten Genossin einen emotionalen Ringkampf der Sonderklasse abverlangt: Sollte sie im Mitgliederentscheid für eine große Koalition stimmen? "Drei Monate habe ich gesagt: auf keinen Fall. Dann habe ich vier Wochen gelitten wie ein Hund. Und mich dann mühsam zu einem Ja durchgerungen." Denn die Partei werde so oder so bestraft: Bei Neuwahlen würde es heißen, die ist nicht regierungsfähig. Und bei einer Koalition, dass sie kein Profil entwickelt. Also lieber versuchen, in der Regierung für die Menschen etwas zu erreichen.

Doch erleichtert ist Hofmann nach ihrer Entscheidung nicht. "Jetzt ärgere ich mich schon wieder", sagt sie. Hofmann engagiert sich besonders in der Gesundheitspolitik, und der sehr konservative Jens Spahn (CDU), der nach ihrer Stimmabgabe als künftiger Gesundheitsminister präsentiert wurde, hätte dem Ringen ein anderes Ergebnis beschert. Freude habe sie in den Monaten des inneren Schlagabtauschs weniger verspürt, sagt Hofmann, viel mehr schon "Herzschmerzen".

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Am Sonntag wird die Ortsvereinsvorsitzende in Hadern wissen, wohin ihre Stimme und die der abstimmenden Genossen die Partei führen werden: Koalition oder Opposition. Bernd Zebli gehört der SPD erst seit einem Monat an, ihn hat es innerlich nicht zerrissen. Er ist schon mit einer sehr konkreten Haltung zur möglichen Regierung mit der Union eingetreten: "Die SPD muss raus aus der Endlosschleife der großen Koalition."

Der 41 Jahre alte Physiker will mit seinem Nein dazu beitragen, dass die SPD als "starke linke Volkspartei" überlebt. Das dafür nötige neue Profil, das Themen von links bis zur Mitte abdecken solle, könne sie in einer Zeit des Regierens nicht entwickeln, glaubt Zebli. "Wenn die Fraktion einem Kompromiss der Union zustimmt und die Partei gleichzeitig das Gegenteil beschließt, dann ist das schizophren. Das nimmt niemand ernst." Zebli ist keiner, der nur wegen des Mitgliederentscheids eingetreten ist, er will bleiben. Auch weil er sicher ist, dass nur mit einer progressiven, starken SPD neben der Union "den Rattenfängern von rechts der Wind aus den Segeln zu nehmen ist".

Diese Argumente hat sicher auch die Münchner SPD-Chefin Claudia Tausend in den vergangenen Wochen bei Besuchen an der Basis gehört. Aus so manchem Gespräch hat sie ein Gefühl entwickelt, wie am Sonntag das Ergebnis aussehen könnte. Sie erkenne "eine Tendenz zum Ja", sagt Tausend. Vielleicht so 60 zu 40 Prozent. Die Bundestagsabgeordnete will das aber keinesfalls als handfeste Prognose verstanden wissen. Viele SPD-Mitglieder erschienen selten oder nie zu Veranstaltungen; wie diese abstimmen, wisse niemand.

Die Bundestagsabgeordnete Tausend empfiehlt übrigens ein pragmatisches Ja, wenn sie um Rat gefragt wird. "Ich sehe Chancen in einer Regierung. Wir haben relativ gute Ergebnisse in den Verhandlungen bei den Themen Miete und Wohnungsbau erzielt." Diese umzusetzen, lohne sich. Doch auch strategisch hält die Münchner SPD-Chefin ein Nein für falsch. "Neuwahlen wären die schlechtere Alternative. Wir würden nicht besser abschneiden als im September, und das war schlecht genug."

Pragmatisch fiel wohl auch bei vielen in der Stadtratsfraktion die Entscheidung aus. "Ich habe mit Ja gestimmt, so wie die meisten meiner Kollegen", berichtet Stadträtin Anne Hübner. Das sei ihr schwer gefallen, die für München wichtigsten Themen wie bezahlbares Wohnen, Verkehr, Altersarmut und vor allem eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung kämen im Koalitionsvertrag zu kurz. "Der Zustand der SPD in Berlin und ihr Unvermögen, die politischen Aspekte aufzugreifen und durchzusetzen, die die Menschen wirklich beschäftigen, sind zum Verzweifeln." Trotzdem wäre es ein Fehler, das Regieren und Gestalten für viele Jahre aufzugeben. Die SPD müsse sich erneuern, sagt Hübner, "aber das gelingt abseits der Regierungsbank mit 15 Prozent nicht zwangsläufig besser als mit neuen Köpfen in den wichtigen Ministerien und hartnäckigen Jusos", die unabhängig vom Ergebnis weiter für einen Politikwechsel streiten sollten.

Den hält Akilnathan Logeswaran für dringend nötig. Ebenfalls aus strategischen, pragmatischen Gründen. "Eine große Koalition sollte nur im Ausnahmefall sein", sagte der 29-Jährige, der kürzlich vom amerikanischen Wirtschafts-Magazin Forbes als junges Vorbild in der Kategorie Recht und Politik ausgezeichnet wurde. Für eine solche Notlage gehe es Deutschland aber viel zu gut. Wenn die beiden großen Volksparteien zu lange miteinander regierten, fördere das die extremen Ränder und verstärke die Spaltung in der Gesellschaft. Die sei aber ein zentrales Problem in Deutschland. Die Schere zwischen Arm und Reich oder das Gefälle zwischen Stadt und Land fänden im Koalitionsvertrag viel zu wenig Niederschlag. Logeswaran wird aber kein schlechter Verlierer sein, wenn die große Koalition kommt. "Ich würde diese Regierung vom ersten Tag an unterstützen."

© SZ vom 02.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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