Graffiti in München:Neue Wand für geregelte Anarchie

Lesezeit: 3 min

Für die Freigabe von Wänden für Graffiti setzt sich Sebastian Pohl ein, künstlerischer Leiter vom Kunstverein Positive Propaganda, hier an der Donnersbergerbrücke. (Foto: Hanna Sturm)

Am Rand der Großmarkthalle wird demnächst eine neue Fläche für Sprüherinnen und Sprüher freigegeben. Um einen Platz an dem noch weißen Mauerwerk kann man sich bewerben.

Von Lea Kramer

Garfield trägt seine Baseballkappe verkehrt herum. Aus der Fläche einer grünen Hand ragt eine lange rote Zunge. Daneben haben zahlreiche Sprüher ihre Namen hinterlassen: Wist, Bask oder Bozer ist an die Wände der Abbruchhäuser der Haldenseesiedlung in Ramersdorf geschrieben gewesen. Wer sich nicht selbst ein Bild gemacht hat, kann das noch auf einem Youtube-Video sehen, das den Abriss der alte Blöcke der Städtische Wohnungsgesellschaft München mbH (GWG) im Frühjahr dokumentiert. Jahrelang standen die maroden Wohnhäuser leer und sind zwischenzeitlich zu einem der seltenen Orte in München geworden, wo das Sprühen zwar nicht offiziell beworben, aber doch geduldet worden ist.

Mit den Gebäuderesten liegen mittlerweile auch die bunten Buchstaben auf dem Schutthaufen. Diese Vergänglichkeit ist Teil der Graffiti-Kunst, und doch wünschen sich viele Künstlerinnen und Künstler, dass ihr Schaffen länger sichtbar ist. An einer neuen großen Fläche an der Thalkirchner Straße soll das bald Wirklichkeit werden. Die Stadt hat eine Wand am Rand der Großmarkthalle zum Besprühen freigegeben. Sie soll Münchens neue "Hall of Fame" werden. Eine bleibende Wand, an der erfahrene Writer ihr Können zeigen können - ganz legal.

Eine Wand, wo sich Kreative vernetzen können

Rap, DJing, Breakdance und Graffiti-Writing - das Schreiben an Fassaden, Züge oder andere freie Stellen in der Stadt - sind die vier Bestandteile der Hip-Hop-Kultur, die sich von den frühen 1980er-Jahren an auch hierzulande verbreitet haben. Wurzeln schlug die Szene nicht etwa in der noch geteilten Hauptstadt der Bundesrepublik oder den Rap-Metropolen Hamburg, Frankfurt oder Heidelberg: Im gerade erst wieder rot regierten München entstanden an der Dachauer Straße, dem Flughafen Riem und später im Kunstpark Ost die ersten öffentlich freigegebenen Wände für Graffiti. Je nachdem, mit wem man spricht, war es der eine oder andere Sprüher aus München, der maßgeblich dafür verantwortlich gewesen ist, dass die Kunst aus der Dose überhaupt in Deutschland, nein Europa, Fuß fassen konnte. Wie in den meisten Subkulturen üblich, ist die Sprüher-Szene alles andere als homogen. Über die Jahre haben sich unterschiedliche Lager gebildet - von etablierten Einzelkünstlern, über Museen bis hin zu losen Künstlerkollektiven.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Es sind viele verschiedene Akteure, die es gilt, zusammenzubekommen. Das hat Sebastian Pohl mit der neuen Wand an der Thalkirchner Straße 81 vor. Er ist ein weiterer - manche würden sagen - unbequemer Vertreter dieser Münchner Mischung innerhalb der Kreativszene. "Mir ist wichtig, dass etwas gemacht wird - und nicht, wer was gemacht hat", sagt er. Der 38-Jährige beschäftigt sich seit einem Vierteljahrhundert mit Graffiti und der Street-Art-Bewegung. Als Jugendlicher ist er selbst als Sprüher an der Poccistraße unterwegs, hat dann angefangen, sich mit städtischen Stellen zu vernetzen, um legale Flächen zum Bemalen für sich und andere Sprüher zu organisieren.

Angefangen hat er mit den "Schenker Hallen" an der Hackerbrücke. 1998, da war Pohl 15 Jahre alt. "Ich habe ein paar Skizzen gemacht, bin hingegangen und habe gesagt: Ich würde gerne hier sprühen", erzählt er. Das Vorhaben glückte, die Wände wurden freigegeben, doch im Zuge der Quartier-Entwicklung Arnulfpark sind sie schließlich abgerissen worden. Danach folgten neue Bemühungen um legale Graffitiflächen an der Tumblingerstraße sowie unterhalb der Donnersbergerbrücke.

In München Platz zu finden für Graffiti, das sei mittlerweile eher ein privates Hobby, sagt Sebastian Pohl. Wenngleich er sich auch beruflich für Wandgemälde stark macht - für jene, die mehr sind als reine optische Aufwertung des Straßenbilds. Seit gut zehn Jahren arbeitet er als künstlerischer Leiter mit dem gemeinnützigen, von der Stadt geförderten Kunstinstitut "Positive Propaganda" daran, dass in München wieder mehr gesellschaftsrelevante Themen von den Fassaden herab verhandelt werden. Gestaltet worden sind diese in der Vergangenheit hauptsächlich von international anerkannten Street-Art-Aktivisten. So hat der Verein etwa den Weltstar "Blu" 2015 dafür begeistert, die Wand einer Berufsschule am Königsplatz zu gestalten. Oder mit dem spanischen Künstler "Escif" ein Mural entlang der Heckenstallerstraße realisiert.

Weniger Gesellschaftskritik, mehr Anarchie

Die neue Wand in Sendling steht für Sebastian Pohl aber nicht in diesem Kontext, also eben nicht "als Teil einer sozialpolitischen Bewegung" wie die Projekte des Kunstvereins, sagt er. Die "Hall of Fame" an der Großmarkthalle solle "ein Ort werden, an dem sich die Leute ausprobieren können, aber auch hochwertige Produktionen entstehen". Wie an allen solchen Wänden gelten auch an der Thalkirchner Straße ungeschriebene Regeln. Zum Beispiel: "Es ist ein Ort, der Bewegung zulassen muss. Da gehört dazu, dass Arbeiten auch wieder übersprüht werden dürfen, wenn das neue Piece hochwertiger ist", sagt Pohl. Das sei natürlich eine subjektive Einschätzung, in der Vergangenheit habe dieses Prinzip aber gut funktioniert. Und: "Das ist Anarchie, jeder sollte sich seiner Verantwortung bewusst sein."

Die 130 Meter lange Wand ist von August an freigegeben. Ganz offiziell, denn das Projekt wird von Kultur- und Kommunalreferat unterstützt. Der Sprayerladen Ghostyard hat für die Erstbemalung einige Sprühdosen zur Seite gelegt. Unter halloffame@ghostyard.de können sich Künstlerinnen und Künstler bis zum 15. Juli um einen Platz an der (noch) weißen Wand bewerben.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusLiteratur
:Eingeholt vom Tod

Autor und Musiker Simon Viktor stellt in Dießen seinen Erstling "Durch die Welt ein Riss" vor: ein Roman über eine Dorfgemeinschaft, die im Juli 1945 eine Katastrophe erlebt - das größte deutsche Zugunglück der Nachkriegszeit.

Von Gerhard Summer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: