Geisenhofer Klinik:Auch Frühchen wollen kuscheln

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Früher war es nicht gern gesehen, wenn eine Mutter ihr Frühgeborenes in der Klinik stillen wollte. Daran hat sich einiges geändert. Ein Besuch auf der neonatologischen Station in der Geisenhofer Klinik.

Von Inga Rahmsdorf

Mayra Maur hält ihre Tochter Luna im Arm. Sie stillt das Baby mit Muttermilch, aber nicht an der Brust, sondern über eine Sonde durch die Nase. Luna ist sechs Wochen zu früh auf die Welt gekommen. Trotzdem sind Mutter und Kind gemeinsam in einem Zimmer in der Geisenhofer Klinik untergebracht und es geht beiden gut. "Es gibt keinen besseren Sensor als die Mutter, auch für Frühgeborene", sagt Susanne Schuepphaus. "Man muss die Eltern nur coachen." Schuepphaus ist leitende Kinderkrankenpflegerin auf der Intensivstation für Neugeborene in der Geisenhofer Klinik. Sie zeigt den Müttern, wie sie bei ihren frühgeborenen Kindern feststellen können, wenn etwas nicht stimmt, und wie sie Stressmerkmale erkennen, beispielsweise wenn das Baby vermehrt gähnt oder die Muskeln zittern.

Als Schuepphaus vor 25 Jahren ihr Examen machte, da gab es so etwas nicht auf der Station der Neonatologie, der Abteilung, die sich um kranke Neugeborene und Frühgeburten kümmert. Damals war nicht vorgesehen, dass die Mutter gemeinsam mit dem Baby im Klinikzimmer kuschelte. "Eltern waren nur Gäste", erinnert sich Schuepphaus. "Und die Krankenschwester wusste, was zu tun war." Wenn Mütter ihr Frühgeborenes damals stillen wollten, war das nicht gern gesehen. Das alles hat sich grundlegend geändert.

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Heute arbeite man viel familienorientierter, auch bei Frühgeborenen, sagt Karina Holak. "Es ist uns wichtig, die Bindung zwischen Kind und Eltern von Anfang an zu fördern", Die Kinderärztin leitet die Station für Neonatologie in der Geisenhofer Klinik. Wichtig sei dafür auch der frühe Hautkontakt zwischen Eltern und Baby, sagt die Ärztin. Kangaroon nennen sie es hier. Die Bezeichnung leite sich ab von Kängurus, die ihren Nachwuchs einige Zeit am Körper tragen. Auch die große Schwester Mya und Vater Johannes Maur dürfen Luna auf den Arm nehmen und sind in die Versorgung des Babys eingebunden. Dass die Geschwister mit auf die Intensivstation dürfen, war früher überhaupt nicht erlaubt, wie Schuepphaus sagt.

In der Geisenhofer Klinik, die am Englischen Garten liegt, kommen etwa 2300 bis 2500 Kinder im Jahr zu Welt. In der Klinik werden Geburten ab der 32. Schwangerschaftswoche betreut, also acht Wochen vor dem errechneten Geburtstermin. Von diesem Zeitpunkt an seien die Überlebenschancen schon bei 99 Prozent, sagt Holak. Die Risiken steigen aber bei Babys, die noch früher auf die Welt kommen. Bei Frühgeborenen vor der 32. Schwangerschaftswoche ist die medizinische Überwachung und Betreuung deutlich aufwendiger. In München haben beispielsweise das städtische Klinikum, die Uni-Kliniken der LMU und TU und der Dritten Orden speziell ausgerichtete Stationen für die ganz frühen Frühchen.

Wenn Eltern das Wort Frühgeburt hören, würden sie sich oft große Sorgen machen, sagt Holak. Daher bietet die Geisenhofer Klinik seit sechs Jahren auch eine Frühchensprechstunde an. Krankenpfleger und Ärzte begleiten die Eltern, besprechen mit ihnen, falls möglich schon vor der Geburt, was auf die Familien zukommt. "Die meisten Frühchen werden gesund geboren, sind aber aufgrund der Unreife noch nicht auf das Leben außerhalb des Bauches der Mutter vorbereitet", sagt Holak. Ziel sei es immer, sie medizinisch auf höchstem Niveau zu versorgen, dabei aber trotzdem die intensivmedizinische Technik auf das notwendige Minimum zu reduzieren, um die Zuwendung zwischen Eltern und Kind zu fördern.

"Wir würden sofort mehr Fachkräfte einstellen"

Gleich neben dem Raum, in dem Familie Maur untergebracht ist, liegt die Intensivstation. Zwischen Bildschirmen, technischen Geräten, Schläuchen und Kabeln stehen vier Babybetten. Hier werden die Kinder untergebracht, die besondere Betreuung benötigen, die noch beatmet werden müssen, bei denen Atmung, Puls und Sauerstoffsättigung überwacht werden müssen. Doch nicht immer können alle vier Betten hier auch belegt werden.

Wie in allen Kliniken in München ist der Mangel an Krankenpflegern auch in der Geisenhofer Klinik deutlich zu spüren. "Wir sind gezwungen mit Zeitarbeitskräften zu arbeiten", sagt Schuepphaus. Der Pflegeberuf sei nicht mehr attraktiv genug. Das liege an der Bezahlung und daran, dass die Aufgaben ständig steigen. Und wenn es ständig an Personal mangelt, müssen die, die da sind, auch noch mehr arbeiten. "Wenn drei Pflegekräfte krank sind, bricht das System zusammen", sagt Schuepphaus. Jüngere Kolleginnen würden mehr Wert auf Work-Life-Balance legen. Das kann sie verstehen, das bedeutet aber auch, dass es für sie immer schwieriger wird, mit weniger Personal und immer mehr individuellen Wünschen, Dienstpläne zu erstellen, bei denen am Ende alle zufrieden sind. "Wir würden sofort mehr Fachkräfte einstellen", sagt Holak. Sechs weitere Kinderkrankenpfleger könnten sie beschäftigen. Erschwert werde die Situation dadurch, dass es bei der Ausbildung nicht mehr die Spezialisierung als Kinderkrankenpfleger gebe.

Familie Maur bekommt davon nichts mit, sie fühlt sich gut versorgt in der Klinik. Die elfjährige Mya, die auch den Namen für ihre Schwester ausgesucht hat, freut sich schon darauf, wenn Luna so groß ist, dass sie ihr die Haare flechten kann.

© SZ vom 01.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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