An der Hauptstraße ist die Augustiner-Fahne bereits gehisst, die Kneipen im Ortskern haben die Bierflaschen kalt gestellt, und auch im "Da Marco" am Hafen von Malcesine beginnt gegen halb zwölf langsam das Mittagsgeschäft. Die Karte bietet Pizza, eine durchaus beachtliche Auswahl an verschiedenen Panini und zwischen Lasagne und Rigatoni auch Würstel mit Brot und Senf, auf Italienisch schlicht Wurstel. Es ist alles sehr deutsch im Nordosten des Gardasees. Allerdings sind an diesem Spätvormittag auch kaum Italiener zu sehen. Dafür sitzen ein paar Engländer herum, Holländer, Polen und natürlich Deutsche. Und die trinken am liebsten: ihr eigenes Bier. "Marco" hat Paulaner Weißbier und König Ludwig Hell im Angebot.
Die engen Gassen von Malcesine, die im Winter so leer sind, dass sie einen morbiden Charme versprühen, mutieren zur Sommerferienzeit zu Touristen-Meilen. Kleine Läden verkaufen bunte Postkarten wahlweise mit Bilderbuchmotiv oder in Schildkrötenform. Provisorisch zusammengebaute Hütten haben überdimensionierte Schwimmtiere im Angebot und T-Shirts für Kinder mit der Aufschrift "Wenn Mama Nein sagt, gehe ich zur Oma".
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Bayerische Kost im Hinterland
Wer im Urlaub die Gesellschaft von Einheimischen schätzt, muss weiter ins Hinterland, in die Hügel und Berge fahren. Zu Mario Forelli und seiner Familie zum Beispiel. In seinem Restaurant würde man eher urige Bayern vermuten: Er betreibt den wahrscheinlich ältesten Biergarten am Gardasee, die Speckstube. Die zieht mit ihren schattigen Bänken und einer Auswahl an deftiger bayerischer Kost vor allem Italiener an. Vor 35 Jahren kaufte Forelli die Gaststätte, schon damals standen Schweinshaxen und Rippchen auf der Karte. Draußen sitzen aber konnte man nicht. Schritt für Schritt baute er eine riesige Anlage auf. Mittlerweile hat die Speckstube 600 Plätze im üppig begrünten und beblumten Biergarten und noch einmal 200 innen in zwei Sälen.
Am Stammtisch von Forelli weht sogar ein Ventilator frische Luft herbei. In beinahe vier Jahrzehnten hat er sich in der Gegend ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet. Und das mit einem doch recht einfach klingenden Konzept. Fünf Gerichte bieten die Forellis: Schweinshaxen, Rippchen, Hendl, Würstchen sowie Speck und Käse. Dazu gibt es Pommes, Sauerkraut, Salat und - im nicht-seehoferschen Hoheitsgebiet eine Ausnahme - echte Brezen. Weniger bayerisch, dafür umso leckerer: Tiramisu zur Nachspeise. Jeder holt sein Essen selbst, Kellner beschäftigt Forelli nicht, dafür eine beträchtliche Anzahl an durchaus bemitleidenswerten Köchen, die bei mehr als 35 Grad am Holzgrill stehen.
"80 Prozent unserer Gäste kommen aus Italien, darunter viele Stammgäste", sagt Forelli in nicht ganz akzentfreiem, aber gutem Deutsch. Der Rest der Kunden seien Touristen, vor allem in den Sommermonaten. Wo er Deutsch gelernt habe? In München habe er mal gearbeitet, berichtet er, in einem kleinen Restaurant hinter der Frauenkirche, das es schon gar nicht mehr gebe. Und danach noch in Stuttgart. Heute ist er eigentlich in Rente. Längst hat er die Speckstube an seine beiden Söhne Max und Paolo übergeben. Mit seiner Frau Enza könnte er sich jetzt ein nettes Leben machen, Forelli ist dennoch jeden Tag in seinem Biergarten, zumindest bis das Mittagsgeschäft vorbei ist.
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Stolz zeigt er seine Kühlungen. Die sind gut gefüllt mit Haxen, Rippchen und Hähnchen. "Das reicht bis morgen, dann kommt eine neue Lieferung", sagt Forelli. Bei ihm gebe es nur frische Sachen, daher auch die relativ kleine Auswahl. Und natürlich Bier aus Deutschland, Schneider Weiße (Forelli ist nach eigenen Angaben der größte Abnehmer in Italien). Nur beim Hellen gibt es einen Stilbruch. Es kommt aus Südtirol. Früher habe er es aus München bezogen, doch immer wieder habe es Lieferschwierigkeiten gegeben. Deshalb sei er umgestiegen, sagt Forelli in einem fast entschuldigenden Unterton. Die meisten Gäste tränken Bier, es dürfe nicht ausgehen. Wein hingegen verkaufe er kaum.
Am nördlichen Gardasee kennt die Speckstube so gut wie jeder Einwohner. Die Popularität überrascht Heike Hoffmann nicht. Die Journalistin hat das Buch "Kulinarische Genüsse am Gardasee" geschrieben und dafür in der Restaurantszene am Lago recherchiert. "Die Italiener lieben die bayerische Küche", sagt sie. Es gebe wohl kaum einen Norditaliener, der nicht zumindest einmal in seinem Leben zum Oktoberfest gereist sei. "Sie interpretieren die Speisen dann selbst", sagt Hoffmann, die erst kürzlich einen Artikel in der neuen Zeitschrift Gardasee Inside über die Beziehung zwischen dem Gardasee und dem südlichen Deutschland veröffentlicht hat. Was die Italiener auch gerne klauen: deutsche Bierrezepte. So gibt es in der Brauerei in Manerba ein Weizen-Bier. "Andere Dinge aus Deutschland sind hingegen fast wieder verschwunden", sagt Hoffmann. Etwa der Filterkaffee oder das Kaffeetrinken mit Kuchen am Nachmittag. "An den Gardasee fahren zwar viele Deutsche. Kulinarisch aber hat sich das nicht flächendeckend durchgesetzt", erklärt Hoffmann.
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Augustiner-Bräu und Brezn
Bayerische Kost wird also vor allem für Nicht-Bayern angeboten? Im Kapuziner am See in Riva del Garda könnte man diesen Eindruck bekommen. Die Kellnerinnen tragen eine Art Dirndl, ihre männlichen Kollegen lederhosenbraune kurze Stoffhosen - an den Tischen an der autofreien Viale Dante aber sitzt offenkundig ganz Europa. Und futtert Schweinshaxe mit Bratkartoffeln, Leberkäs mit Spiegelei und Kartoffelrösti oder Gröstl. Ganz Mutige wagen sich an den Piatto dell' Amicizia, den Freundschaftsteller, auf dem unter größeren Mengen an Wienern, Schweinswürsteln, Rippchen und Leberkäs eine Portion Sauerkraut serviert wird.
Aus dem Lokal riecht es heraus, als stünde man an der Essenstheke im Augustiner an der Arnulfstraße. Es gibt durchaus auch typisch italienische Gerichte, Gnocchetti sardi al pomodoro etwa oder Tagliolini mit Zucchini und Gambas. Den Ton aber, das beweisen schon die urig-hölzerne Innenausstattung und das Vorhandensein von Maßkrügen, gibt hier der nördliche Rand der Alpen an. Das Bier ist allerdings nicht aus München. Es gibt Kulmbacher und Mönchshof, die dicklich-gemütliche Werbefigur auf der Viale Dante soll vorbeispazierende Besucher anlocken, die zwischendurch einmal nicht Pizza, Pasta und Pesce wollen. Klar, dass man eigentlich jeden Tag italienisch essen will. Aber Italien hat durchaus noch gewissen Nachholbedarf bei ausländischen Lokalen.
Auch Salò hat sein teutonisch-münchnerisches Angebot abbekommen. Nicht weit vom Dom, in der Via Gerolamo Fantoni befindet sich die Birreria Taverna degli Scudi. Wie es der Name schon sagt, schmücken Schilde und mittelalterliche Lanzen das eher wie ein Weinkeller wirkende Lokal. Drinnen regiert Augustiner-Bräu - mit weiß-blauen Wimpeln und Edelstoff. Verkauft werden Brezen und vielleicht auch ein Gefühl: dass München nicht nur an der Isar liegt, sondern auch am Gardasee.