SZ am Gardasee:Arco als Sehnsuchtsort der Münchner

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Als Hans-Martin Götz an den Gardasee kam, war Arco ein kleiner Ort. Jetzt ist es dort voll geworden. (Foto: Johannes Simon)

Viele Münchner zieht es nach Arco: Das Städtchen im Norden des Gardasees gilt als Kletterparadies. Auch Hans-Martin Götz hat früher an der Isar gelebt - dann änderte er sein Leben.

Von Melanie Staudinger

Hans-Martin Götz hat schon jetzt das geschafft, was vielen immer verwehrt bleiben wird: Er lebt seinen Traum. Er gilt als einer der erfahrensten Kletterer Deutschlands, prägt seit Jahrzehnten die Freeclimbing-Szene in Arco und besitzt im Kletterparadies im Norden des Gardasees neben zwei Gästehäusern ein drei Hektar großes Grundstück samt Wein- und Olivenfeldern.

Hotelier, Bergführer, Teilzeitlandwirt - so oder so ähnlich hatte er sich das vorgestellt. Doch wenn man ihn fragt, ob er alles wieder machen würde, antwortet er zurückhaltend: "Ich weiß es nicht genau, vielleicht schon."

Götz sitzt im Garten vor seinem Haus in den Hügeln Arcos und nimmt einen Schluck Wasser mit Zitrone. Schattig ist es hier, und angenehm kühl auch in der Nachmittagshitze. Seine gemeinsame Geschichte mit Arco begann in den Siebzigerjahren, zu einer Zeit, als die Brennerautobahn noch nicht eröffnet war.

Damals war Klettern in den USA eine Trendsportart, und auch in Frankreich gewann das Freeclimbing an Popularität. In den bayerischen Alpen aber, so empfand es Götz, war an neue Impulse kaum zu denken.

Ideale Bedingungen am Gardasee

Zu viele Regeln erschwerten Innovationen, zu viele Platzhirsche verteidigten ihr Territorium. Götz zog es deshalb an den Gardasee. Dort fand er "ideale Bedingungen" vor: anspruchsvolle, hohe Wände für Geübte und Spezialisten sowie kleinere Felsen, an denen Anfänger sich ausprobieren können.

Wenn Götz, der 1953 in Stuttgart geboren und in München aufgewachsen ist, von seinen ersten Besuchen in Arco erzählt, spürt man deutlich, was ihn so angezogen hat: der Freigeist, der dort herrschte. Junge Italiener, Deutsche und Österreicher wollten zusammen etwas ganz Neues schaffen. Sie suchten nach neuen Touren und dem Kick.

Leute wie Heinz Marriacher, Luisa Iovane oder Roberto Bassi erschlossen die ersten Touren für Sportkletterer. "Wir haben die Gedanken der 68er-Generation an den Fels gebracht", sagt Götz, der in der Kletterszene "Der Pater" genannt wird, weil er mal Theologie studiert hat. Er kam mal mit dem Auto oder auch mit dem Rad. Er campte nachts in den Olivenhainen und ging tagsüber auf Tour. "Das war traumhaft", sagt er.

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1990 kaufte er sich ein renovierungsbedürftiges Haus in Arco. Damals hatte der Ort vielleicht 6000 Einwohner. Zuerst blieben er und seine Frau mit den Kindern nur in den Ferien. Götz arbeitete weiter in München und leitete dort den europäischen Schuhvertrieb von Timberland. Ende der Neunziger aber hatte er "die Faxen dicke".

Er wollte etwas anderes machen, verkaufte seine Firma und gründete mit seiner Frau 1997 sein erstes Guesthouse in Arco, mittlerweile führen die beiden zwei solcher Häuser, in denen jedes Zimmer einen individuellen Charme ausstrahlt. "Wir wollten ein Angebot speziell für Kletterer und Mountainbiker machen, eines, das uns auch gefällt", sagt Götz.

Gut die Hälfte aller Besucher kämen aus München und der Umgebung. Drei Jahre später zog er samt der beiden Töchter - damals acht und zehn Jahre alt - ganz an den Gardasee.

Das Bergparadies hoch über dem Wasser lockt viele an, auch Mabel Hellwege aus München. Sie ist mit Freunden für 14 Tage zum Klettern an den Gardasee gefahren. (Foto: Johannes Simon)

Doch Arco, die einstige Kurstadt, die nach dem ersten Weltkrieg fast vollkommen brach lag, hatte sich schon verändert. Längst ist das Städtchen, das ein paar Kilometer vom Nordufer des Gardasees entfernt liegt, kein Geheimtipp mehr.

Arco ist zu einem der beliebtesten Ausflugsziele am Gardasee aufgestiegen. In knallengen Sportanzügen radeln Touristengruppen durch die Straßen, allesamt auf teuren Mountainbikes. Familien mit Kindern essen Eis und Pizza. Überall haben Bergsportläden mit exklusivem Angebot eröffnet.

Zum Haus von Götz führt mittlerweile eine Straße, dafür ist ihm der freie Blick auf den See durch Industrieanlagen verstellt. Kletterer campen kaum mehr unter den Olivenbäumen. Verboten. Viele Gäste reisen heute in dicken Autos an. Sie übernachten in teuren Hotels, lassen sich in den Wellnessoasen verwöhnen. Das Klettern haben sie in Indoor-Hallen gelernt, nicht an echten Felsen. Die Kommerzialisierung macht auch vor Arco nicht halt.

Und der Ort erblüht. Knapp 17 300 Menschen leben nun hier, damit hat Arco die große Schwester Riva del Garda einwohnertechnisch überholt, wenn auch nur knapp. Heute gibt es gut 2500 Kletterrouten. Und dazu 300 Sonnentage im Jahr. Schon im Spätwinter und Frühjahr kann geklettert werden und das bis in den späten Herbst.

Kein Vergleich also zu den Alpen. Es sind diese Bedingungen, die auch die alten Kletterer von einst noch immer anziehen. Walter Bien zum Beispiel. In seinem normalen Leben arbeitet der Mann, der sich selbst als "Gardaseebegeisteter" bezeichnet, beim Deutschen Jugendinstitut am Nockerberg.

In seiner Freizeit aber ist er gefühlt mehr am Gardasee als in München. Zum Klettern kam der gebürtige Rheinländer bei der Bundeswehr, als er in Mittenwald stationiert war. Dort aber war es ihm zu monoton: "Wir sind hochgegangen, haben oben in der Hütte Erbsensuppe aus der Dose gegessen, sind zwei Seillängen geklettert und wieder runtergegangen." Neuschnee im April, ein Wintereinbruch im Oktober - all das verkürzte die Saison.

Mitte der Achtzigerjahre stieß Bien auf Arco. "Da war alles ganz anders", sagt er. Die erste Tour kletterte er vormittags, gönnte sich mittags im Ort einen Eisbecher, kletterte nachmittags erneut. Abends ging es dann zu einem der zahlreichen Landgasthöfe - Menüs mit fünf bis sieben Gängen sind dort üblich und richtig lecker. "Da bin ich dem Gardasee verfallen", sagt Bien.

Vier bis fünf Mal im Jahr fährt er hin, er ist Bergführer im Alpenverein, Sektion München und Oberland, und gibt Kurse, auch am Klettersteig für diejenigen, die nicht ganz in der freien Luft hängen wollen. In diesen Wochen trifft man Bien allerdings eher in München, nicht in Arco. "Die meisten Wände sind nach Osten ausgerichtet. Da kann es schnell 40 Grad haben - das ist mir zu heiß", erklärt Walter Bien.

Auch ihm sind die Entwicklungen der vergangenen Jahre nicht verborgen geblieben. Vor allem die erste Begegnung mit einem Base-Jumper wird ihm wohl immer in Erinnerung bleiben. Bien kletterte gerade an einer Wand. "Auf einmal hörte ich ein Pfeifen über mir", erzählt er. Plötzlich flog ein Mensch an ihm vorbei. "Mir ist fast das Herz stehen geblieben. Ich dachte, ein Kletterer wäre heruntergefallen."

Doch dann, 30 bis 40 Meter über dem Boden, zog der Base-Jumper seinen Schirm. "Ein Schock war es trotzdem", sagt Bien und das ist ihm heute noch anzusehen.

Diese Geschichte zeigt, dass es voll geworden ist im weitläufigen Arco. Die Aktiven in einzelnen Sportarten müssen sich arrangieren: Kletterer, Klettersteig-Begeher, Wanderer, Mountainbiker, Base-Jumper und weiter unten in Torbole die Surfer. Nur die Gleitschirmflieger haben sich zum großen Teil wieder verabschiedet. Die ständigen Aufwinde erschweren die Landung. Für die, die doch die Einsamkeit suchen, hat Bien einen Tipp: Je weiter man sich vom Gardasee entfernt, desto ruhiger wird es.

Der Bergführer sieht aber auch die Vorteile des Arco-Booms. "Es wurde viel in den Fremdenverkehr investiert", sagt er. Klettergebiete seien saniert, Campingplätze angelegt, die Gastronomie weiter ausgebaut worden. Und es ist auch nicht so, dass Hans-Martin Götz nicht gerne am Gardasee leben würde.

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Götz und seine Frau führen in Arco zwei Ferienhäuser, in denen jedes Zimmer einen eigenen Charme ausstrahlt.

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Schon in den 70ern zog es Götz an den Gardasee. Dort fand er "ideale Bedingungen" vor: anspruchsvolle, hohe Wände für Geübte...

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...aber auch einfache Routen, an denen Anfänger sich ausprobieren können.

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(Foto: Johannes Simon)

Vor allem aber gefiel dem Münchner der Freigeist, der am Gardasee herrschte. Inzwischen ist hier längst die Kommerzialisierung angekommen.

Doch anders als die Urlauber hat er mit der Bürokratie zu kämpfen. Sein großes Ziel, völlig autonom zu leben, hat er in den vergangenen 30 Jahren noch nicht geschafft. So verläuft zwar ein Bach durch sein Grundstück, Strom darf er dort aber nicht erzeugen. "Ist hier verboten. Norditalien ist manchmal deutscher als die Deutschen", sagt er.

Und manchmal ärgert ihn auch die Tourismusstrategie. "Trentino hat für viel Geld eine Partnerschaft mit dem FC Bayern München gemacht, damit die Fußballer hier trainieren", berichtet Götz. Aus seiner Sicht ist diese Investition nur wenig nachhaltig: "Besser wäre es gewesen, wenn sie in das E-Bike-Netz Geld gesteckt hätten." Denn ein solches fehle in Arco wirklich.

© SZ vom 11.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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