Murnau:Auf den Spuren von Gabriele Münter

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Nach ihrer Rückkehr nach Murnau malte Gabriele Münter das Haus, den Garten und die Umgebung wieder und wieder, hier ein Stillleben mit rotem Buch aus den 1940er-Jahren. (Foto: Nikolaus Steglich/Schlossmuseum Murnau; VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Das Schlossmuseum Murnau hat umgebaut und präsentiert die Höhepunkte seiner Expressionismus-Sammlungen in neuem Licht.

Von Sabine Reithmaier, Murnau

"Liebten wir Blau..." - der Satzfetzen, in weißer Schrift auf eine tiefblaue Wand gepinselt, zitiert Wassily Kandinskys Begründung, warum sich die Künstlergruppe um ihn und Franz Marc einst Blauer Reiter nannte: "Den Namen erfanden wir am Kaffeetisch in der Gartenlaube in Sindelsdorf. Beide liebten wir Blau, Marc - Pferde, ich - Reiter..." Im Schlossmuseum Murnau stimmt das Zitat ein auf die Geschichte der berühmten Vereinigung. Freilich beginnt aus Murnauer Sicht alles mit Gabriele Münter. Hätte die Malerin dort nicht 1909 ihre Villa gekauft, um mit Kandinsky die Sommer zu verleben, und wäre sie nicht, viele Jahre nach dem Bruch mit ihm, wieder in den Markt zurückkehrt, um hier bis zu ihrem Tod zu leben und zu arbeiten, hätte sich die Bedeutung Murnaus in der Kunstgeschichte erheblich reduziert, und das Schlossmuseum würde vermutlich keine so großartige Münter-Sammlung besitzen.

Münters Motive kann man zudem mit einem Blick aus dem Fenster entdecken

Der nach 30 Jahren notwendig gewordene Umbau im historischen Burggemäuer bot daher den willkommenen Anlass, Münter noch stärker als bisher ins Zentrum zu rücken. Wo bislang im ersten Stock des Westflügels die Geschichte des Markts stattfand, sind nun die zwei bisher räumlich voneinander getrennten Kernsammlungen des Hauses - "Gabriele Münter" und "Expressionismus" - miteinander vereint worden. Der Vorteil: Münters Leben und Wirken wird nicht mehr chronologisch als Einzelbiografie erzählt, sondern ihre Geschichte verknüpft sich mit der anderer Künstler. "Außerdem gibt es nur bei uns die Möglichkeit, mit einem Blick aus dem Fenster Münters Motive in der Landschaft wiederzuentdecken", sagt Sandra Uhrig, Leiterin des Schlossmuseums.

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Jede Sequenz beginnt mit einem Zitat der Malerin. Am Anfang stehen die Werke, die auf ihren frühen Reisen mit Kandinsky entstanden, gefolgt von den Gemälden aus dem legendären Malsommer 1908, als das Paar gemeinsam mit Marianne von Werefkin und Alexej Jawlensky in Murnau malte. Die Aufbruchstimmung mündete Anfang 1909 in die Gründung der Neuen Künstlervereinigung München, der unter anderen auch Erma Bossi, Adolf Erbslöh oder Alexander Kanoldt angehörten. Uhrig hat Werefkin, Münter und Bossi auf einer gemeinsamen "Damenwand" (Uhrig) vereint, eine ungewöhnliche, aber geglückte Kombination.

Im Schlossmuseum Murnau ist nun das Stillleben mit Karaffe von Erma Bossi, entstanden um 1912 (Schenkung Volker Westerborg, Frankfurt) neben Münter und Werefkin zu sehen. (Foto: Schlossmuseum Murnau)

Nicht zu übersehen auch das Porträt von Adolf Erbslöh, der den Vorsitz der Neuen Künstlervereinigung übernahm, als Kandinsky Anfang 1911, verärgert über die wachsende Kritik an seinen immer abstrakter werdenden Bildern, das Amt abgab. Gemeinsam mit Marc und Münter verließ er im Dezember 1911 die Gruppe. Keine wirklich spontane Aktion, sonst wäre es wohl kaum gelungen, zeitgleich zur dritten Ausstellung der Künstlervereinigung die erste Ausstellung der "Redaktion Der Blaue Reiter" zu zeigen.

Famos ist die Wand mit Hinterglasbildern, eine Kunst, die die Mitglieder des Blauen Reiters faszinierte. Sie begannen nicht nur selbst zu sammeln, sondern malten ebenfalls hinter Glas. Marc und Kandinsky wählten auch Arbeiten aus der Sammlung des Murnauer Braumeisters Johann Krötz für ihren Almanach "Der Blaue Reiter" aus, in Murnau sind zwei davon im Original zu sehen.

Der Erste Weltkrieg beendet die künstlerische Aufbruchsstimmung jäh. Marc und Macke fallen, die russischen Künstler Kandinsky, Werefkin und Jawlensky müssen das Land verlassen. Münter reist viel, lebt einige Jahre in Skandinavien und überlegt nach ihrer Rückkehr immer wieder, das Sommerhaus in Murnau zu verkaufen. Doch 1931 kehrt sie zurück, begleitet von ihrem neuen Lebensgefährten Johannes Eichner. In diesem Jahr malt sie auch "Ödön von Horváth in roter Jacke". Sie malt und zeichnet ihn nicht nur mehrmals, sie wandert auch mit dem Schriftsteller, wie Tagebucheintragungen belegen.

Von 1936 an leben Münter und Eichner ganz in Murnau, das Haus ist inzwischen winterfest. Die Malerin entdeckt den Markt neu, malt das Murnauer Moos, die Berge, ihr Haus, ihren Garten und immer wieder Schloss und Kirche. Eine schwierige Zeit für Münter, die gern künstlerisch sichtbar bleiben möchte. Sie beteiligt sich mit der "Olympiastraße" an der Ausstellung "Hitlers Straßen für die Kunst". Doch 1937 nach einer Ausstellung im Kunstverein München, in der sich NSDAP-Gauleiter Adolf Wagner über ihre Arbeiten empört, zieht sie sich zurück. Das "Dorf mit grauer Wolke" (1939) verdeutlicht in seiner dräuenden Düsternis das ganze Grauen.

An Franz Marcs "Der Turm der blauen Pferde", eine verschollene Ikone des Expressionismus, erinnert die verstörende Intervention von Norbert Bisky aus dem Jahr 2017. (Foto: Schlossmuseum Murnau; VG-Bild-Kunst, Bonn 2023)

Münters Kunst wird nicht beschlagnahmt, bis dahin hatte kein Museum ein Werk von ihr gekauft. Anders ergeht es manchem Werk ihrer Kollegen. An Franz Marcs "Der Turm der blauen Pferde", eine verschollene Ikone des Expressionismus, erinnert eine verstörende Intervention von Norbert Bisky, auf die der Besucher ganz unerwartet stößt.

Marcs 1913 entstandenes Gemälde hing im Berliner Kronprinzenpalais, bis es 1937 in München in der Ausstellung "Entartete Kunst" gezeigt wurde. Als der Deutsche Offiziersbund dagegen protestierte - schließlich war Marc für Deutschland gefallen -, wurde es dort abgehängt, eine Gelegenheit, die Hermann Göring nutzte, um es für seine Sammlung zu erwerben. Das weitere Schicksal des Gemäldes ist unklar.

Bisky malte 2017 aus Anlass der Ausstellung "Vermisst! Der Turm der Blauen Pferde von Franz Marc", organisiert vom Berliner Haus Waldsee und der Graphischen Sammlung München, eine originalgetreue Kopie. Dann warf er das Bild aus dem Fenster, schoss mit einer Luftdruckpistole darauf und zündete es an. Was übrigblieb, ist jetzt im Schlossmuseum zu sehen.

Eine eindringliche Mahnung, sich an die Geschichte der hier präsentierten Bilder zu erinnern und nach ihren ehemaligen Besitzern zu fragen. Und ein nachhaltiges Beispiel dafür, wie Zerstörung in der analogen Realität aussieht. Auf jeden Fall anders als in der digitalen Ferne.

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