Puchheim:Protest der Flüchtlinge

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Die frühere Gastwirtschaft Colonial wurde zur Quarantäne-Unterkunft umgebaut. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Bewohner der Quarantäne-Unterkunft behindern Verteilung von Lebensmitteln. Der Bürgermeister fordert eine Betreuung

Von Peter Bierl, Puchheim

Zu einem Zwischenfall ist es jüngst vor der Quarantäne-Unterkunft für Asylbewerber in Puchheim gekommen. Nach Darstellung des Landratsamtes sollen einige Flüchtlinge die Verteilung von Lebensmitteln verhindert haben, sodass die Polizei gerufen wurde. Sie sollen Personal beleidigt und Lebensmittel über den Zaun auf die Straße geworfen haben. Die Darstellung wird aus Helferkreisen im Kern bestätigt.

Die Kreisbehörde hat zwei Häuser in Puchheim-Ort angemietet als Quarantäne-Unterkünfte. Dort würden alle Infizierten sowie ein Teil der Kontaktpersonen untergebracht, hatte das Landratsamt der SZ in der vergangenen Woche erklärt. In einem Brief des bayerischen Gesundheitsministeriums vom Montag heißt es nun aber, die Kontaktpersonen aus der regulären Unterkunft an der Siemensstraße seien geblieben, "von den anderen Asylbewerbern weitestgehend isoliert untergebracht".

Bereits als Infizierte aus der Siemensstraße in die Quarantäne-Unterkunft umziehen sollten, wurde die Polizei gerufen, weil einige sich weigerten. Zwei Streifenwagen-Besatzungen waren am nächsten Tag erneut im Einsatz, weil manche angeblich gegen die Quarantänerichtlinien verstoßen hatten. Die Lebensmittelversorgung habe der Objektbetreuer übernommen. Bei seiner Rückkehr soll es am Montag zu dem Zwischenfall gekommen sein. Landrat Thomas Karmasin (CSU) verurteilte das Verhalten der "Störer" als "völlig inakzeptabel", es werde deshalb "konsequent verfolgt werden". Seine Mitarbeiter arbeiteten "mit Hochdruck", um bei Corona-Verdachtsfällen in den Unterkünften "schnellstmöglich Testergebnisse zu erhalten und durch Ermittlung von Kontaktpersonen nur diejenigen Personen unter Quarantäne zu stellen, für die dies infektionsschutzrechtlich angezeigt und somit verhältnismäßig ist".

Die umgebauten Altbauten in Puchheim dienen nun als Unterkünfte für Asylbewerber. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Auch Bürgermeister Norbert Seidl (SPD) kritisierte das Verhalten der Flüchtlinge als "jenseits der Grenze des Anstands". Allerdings verwies er ebenso wie die Asylhelfer darauf, dass der Unmut sich seit Langem aufstaue. In der Unterkunft in der Siemensstraße sind viele Menschen seit Jahren eingepfercht ohne jegliche Perspektive. "Das ist ein Problem, das löst sich nicht von selbst", monierte Seidl. Manche dürfen nicht einmal einfache Jobs annehmen, obwohl sie gebraucht würden. Die Helfer führen deshalb seit Jahren einen zähen Streit mit Karmasin.

Aufgrund der Corona-Krise haben die Flüchtlinge keinen direkten Kontakt mehr zu den Helfern, und auch Beratungen finden nur noch telefonisch statt. Sprachbarrieren schlagen darum stärker durch. "Der soziale Kitt bröckelt weg", berichtet der Bürgermeister. Er fordert deshalb eine sozialpädagogische Betreuung der Flüchtlinge, die Objektbetreuer dürften nicht alleingelassen werden. Ähnlich äußert sich eine Asylhelferin. "Wegen der Zustände in der Siemensstraße hat sich einiges angestaut, jetzt kommt etwas Neues und Ungewohntes dazu, die Leute sind verzweifelt", sagt Reinhild Friedrich.

Die Asylhelfer hatten den Landrat schon vor einiger Zeit aufgefordert, probeweise ein paar Tage in die Siemensstraße einzuziehen, um die Zustände am eigenen Leib zu erleben. Helfer und Experten wie Willi Dräxler, der Integrationsbeauftragte der Caritas für Oberbayern, hatten schon zu Beginn der Corona-Krise gewarnt, dass die Lage eskalieren könnte. Sie kritisierten immer wieder das Konzept der zentralen Unterbringung. Auch der Bayerische Flüchtlingsrat hatte gefordert, Sammelunterkünfte endlich aufzulösen, weil diese unter dem Gesichtspunkt des Infektionsschutzes katastrophal seien.

Der Bürgermeister hatte in einer ersten Reaktion kritisiert, dass die Flüchtlinge, die nun in Quarantäne sind, auf die Situation "ungenügend" vorbereitet worden seien. Man habe sie aus den Unterkünften herausgeholt, in die neue Behausung eingewiesen und ihnen die Gebote und Verbote mitgeteilt. Eine weitere kommunikative Begleitung der Menschen sei nicht erfolgt. Das sei zuwenig in dieser schwierigen Lage, zumal für jene, die krank und mit Kindern auf engstem Raum leben müssen. Wenn das Landratsamt einen "vernünftigen Betrieb" gewährleisten wolle, brauche es Begleitung und Betreuung. Nach Angaben Seidls sind 19 Menschen in dem einen Gebäude untergebracht, das obendrein abgewohnt ist und geraume Zeit leer stand. Auch die Nachbarn müssten von der Kreisbehörde informiert werden, verlangt der Bürgermeister. Seidl hatte schon früher gerügt, dass ihn der Landrat bei der Einrichtung der Quarantäne-Unterkünfte vor vollendete Tatsachen gestellt habe.

In den regulären Flüchtlingsunterkünften des Landkreises in Bruck, Germering und Puchheim haben sich bis Dienstag insgesamt 38 Menschen infiziert, das Gesundheitsamt ermittelte 182 Kontaktpersonen, die Tendenz ist steigend. Einen Corona-Test für alle Bewohner hält das Landratsamt jedoch für medizinisch nicht sinnvoll.

Asylhelfer vermuten, dass wesentlich mehr Infizierte in den Häusern leben als offiziell angegeben. Aufgrund der beengten Verhältnisse seien Abstandsregeln überhaupt nicht einzuhalten. Robert Pohl, seit fünf Jahren als Helfer im Einsatz, hatte sich deshalb an das Gesundheitsministerium gewandt. Er bezeichnete die überbelegte Unterkunft an der Siemensstraße als "Hotspot" für Corona-Infizierungen und forderte von den Behörden, die Flüchtlinge zu schützen. "Nichtstun und verschleiern ist dagegen fahrlässig."

© SZ vom 06.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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