Personalmangel:Pflegekräfte verzweifelt gesucht

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Bis 2030 wird sich die Zahl der Senioren, die auf fremde Hilfe angewiesen sind im Landkreis verdoppeln. Betreuungspersonal ist bereits heute nur schwer zu finden.

Von Ariane Lindenbach

Innerhalb der nächsten 20 Jahre wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen im Landkreis fast verdoppeln. Nach einer Hochrechnung der Krankenkasse IKK Classic soll die Zahl derer, die Hilfe etwa beim Anziehen und Waschen benötigen, bis 2030 um 91,1 Prozent ansteigen. Dabei ist die Personalsituation bei Sozialdiensten, Nachbarschaftshilfen, Seniorenheimen und anderen Anbietern von Pflegeangeboten schon jetzt sehr prekär. Manche versuchen, ihr Personal mit Zusatzverdiensten oder Unterstützung bei der Weiterbildung zu locken.

Die Ursachen für den Mangel an Pflegekräften liegen laut Erfahrungen der Dienstleister auf diesem Gebiet jedoch tiefer. Neben der geringen Bezahlung seien es vor allem die fehlende gesellschaftliche Wertschätzung und der anstrengende Schichtdienst, der diesen Beruf für viele Menschen unattraktiv mache. Manches davon ließe sich durchaus verbessern, beispielsweise indem die Art der Ausbildung verändert würde. In Deutschland hat der Beruf des Altenpflegers ein bisschen das Image eines Sammelbeckens für in der Schule Gescheiterte, die keine vernünftige Ausbildung machen konnten. Wie der Vizepräsident des Deutschen Pflegerates unlängst monierte, sei Deutschland in Sachen Pflege immer noch Entwicklungsland. Franz Wagner verwies auf Finnland, Dänemark und Großbritannien, wo man in einer akademischen Ausbildung zur Pflegefachkraft ausgebildet wird. In Deutschland braucht man nicht einmal das Abitur.

Nach Ansicht von Stephanie Grahl ist die schlechte Bezahlung nur ein Aspekt unter mehreren, der den Beruf so unattraktiv macht. Grahl, Mutter von zwei Kindern, ist Pflegedienstleiterin beim Sozialdienst in Olching. Allein der Schichtdienst mache es für viele Menschen, insbesondere wenn sie Kinder haben und vielleicht alleinerziehend sind, unmöglich in einem Pflegeberuf zu arbeiten. Wer den Stress trotz allem auf sich nehme, werde selten in der Gesellschaft für seine Tätigkeit anerkannt, kaum einer wisse etwa, wie anspruchsvoll die Ausbildung sei. Hinzu kommt, dass sich das Anforderungsprofil nach Grahls Beobachtungen wandelt. "Die Tendenz, ich möchte zu Hause betreut werden, auch auf meinem letzten Weg, steigt." Immer mehr Menschen wollen nicht mehr in ein Heim gehen und, sofern möglich, auch in den eigenen vier Wänden sterben. Das bedeutet für die Pflegekräfte, dass sie intensiv mit dem ambulanten palliativen Versorgungsteam, dem Hausarzt und bei Bedarf weiteren medizinischen Fachkräften zusammenarbeiten müssen. Von der psychischen Belastung ganz zu schweigen.

"Am stärksten dürfte der Bedarf im ambulanten Bereich steigen", vermutet Timm Guggenberger, Abteilungsleiter für Soziales im Landratsamt. Das sei bereits vor vier Jahren im Seniorenpolitischen Gesamtkonzept des Landkreises prognostiziert worden. In dem 277 Seiten langen Werk findet sich auch eine demografische Prognose für 2030, die der von der IKK sehr nahe kommt. Der Landkreis versuche mit Heimplatzbörse, Seniorenfachberatung und der gezielten Werbung von Fachkräften durch die Wirtschaftsförderung - beispielsweise

dem Anwerbebesuch in der spanischen Partnerstadt Almuñécar Ende im vergangen Jahr - der Problematik zu begegnen. "Die Personalsituation als solche ist schwer zu beeinflussen", räumt Guggenberger ein. Immerhin: Im Seniorenheim Jesenwang, das über das Kommunalunternehmen Kreisklinik zum Landkreis gehört, sei die Personalsituation momentan gut. Und bis 2030, also innerhalb der nächsten 15 Jahre, so hofft Guggenberger, werde sich die Ausgangslage für die Pflegefachkräfte generell verbessern.

Danach sieht die Lage derzeit für Winfried Bauer nicht aus. "Wir haben große Probleme im Moment, Pflegekräfte zu bekommen. Der Markt ist leergefegt", sagt der langjährige Vorsitzende des Oekumenischen Sozialdienstes Gröbenzell (Oeks). Die Abschaffung des Zivildienstes hat die Situation zunehmend verschärft. Dabei hat der Verein schon einiges unternommen, um Personal zu gewinnen: Arbeitszeiten wurden geteilt, die Bezahlung aufgestockt. Doch all das half wenig, weshalb sich Vertreter des Oeks vor ein, zwei Jahren zu einer Fahrt nach Rumänien und Bulgarien aufgemacht hatten. Dort, im Banat, leben viele Menschen mit deutschen Wurzeln, die auch noch deutsch sprechen können. Denn ohne ausreichende Sprachkenntnisse könne keine Pflegekraft eingesetzt werden, so Bauer. Ein, zwei Kräfte habe man dort gewinnen können. Doch die bürokratischen Hürden in Deutschland sind hoch: Sprachtest, Anerkennung ausländischer Papiere und so weiter. "Das muss kommen, dass die Ausbildungen aus anderen Ländern anerkannt werden", fordert der Vorsitzende neben einer besseren Bezahlung. Er erzählt von einer Ärztin aus Rumänien, als es noch nicht zur EU zählte. Die musste erst Kurse in Deutschland absolvieren, bevor sie beim Oeks als Krankenschwester anfangen konnte. Da ist es mit EU-Ausländern einfacher. Die neue Pflegedienstleiterin kommt aus Österreich.

© SZ vom 20.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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