Kultur:Babylon Fürstenfeldbruck

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Das Charlestonkleid steht symbolisch für das neue Selbstverständnis der Frau und die ausgelassene Tanzkultur. (Foto: Jana Islinger)

Eine eindrucksvolle Ausstellung im Museum Fürstenfeldbruck beschäftigt sich mit der Zeit der Weimarer Republik im Landkreis und der Verklärung der "Goldenen Zwanziger".

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Nicht erst seit dem riesigen Erfolg der Fernsehserie "Babylon Berlin" üben die 1920er Jahre eine ungeheure Faszination auf viele Menschen aus. Die Goldenen Zwanziger mit ihren ausgelassenen Tanzpartys, eine märchenhaften Wirtschaftsaufschwung und purer Lebensfreude werden nicht selten zu einer Art deutschem Paradies verklärt, in dem es keine Probleme gab. Dass sie, eingeklemmt zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg, eher rot-gold-braune Zwanziger waren, wird dabei gerne vergessen.

Mit einer unglaublich umfangreichen Ausstellung widmet sich das Museum Fürstenfeldbruck nun genau dieser Zeit zwischen 1918 und 1933. Sie ordnet den Hype der Goldenen Zwanziger in den historischen Kontext ein und - das ist ihr großer Verdienst und unterscheidet sie von ähnlichen Ausstellung - zeigt anhand des Landkreises Fürstenfeldbruck, wie sich die Weimarer Republik in der Provinz entwickelt. Und welche Auswirkungen die modernen Strömungen, die man vor allem mit Berlin verbindet, auf die Menschen außerhalb der großen Städte hatten. Und so trägt die Ausstellung auch den passenden Titel "Goldene 20er? Die Weimarer Republik in der Provinz".

Kurze Haare, modische Kopfbedeckungen: In der Weimarer Republik werden die traditionellen Rollenbilder hinterfragt. (Foto: Jana Islinger)

Aufteilen lässt sich die Ausstellung grob in vier Bereiche: Die Nachkriegszeit mit der Ausrufung der Republik, dem Aufstieg der Kommunisten und der konservativ-nationalen Gegenbewegung während der Wirtschaftskrise mit ihrer rasenden Inflation, die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs und steigender Konsumnachfrage, die Kunst- und Partyszene der goldenen Zwanziger, die in Fürstenfeldbruck eng verknüpft sind und letztlich der Aufstieg der Nationalsozialisten während des erneuten Wirtschaftsabschwungs.

Den Ausstellungsmacherinnen und Leiterinnen des Museums, Barbara Kink und Verena Beaucamp, ist es dabei ganz eindrucksvoll gelungen, all diese Themen anhand von lokalen Protagonisten und teilweise eindrucksvollen Fotos vor allem aus Fürstenfeldbruck zu erzählen und visualisieren. Viele Figuren, etwa den Maler Henrik Moor, den deutschlandweit gefragten Emaille- und Metallkunsthandwerker Albert Bunge und das Künstlerehepaar Adolf und Selma Des Coudres, durften die Besucher des Museums schon in Einzelausstellungen in den vergangenen Jahren kennenlernen. Nun aber wird erstmals klar, wie sie in der selben Zeit gelebt und miteinander in Verbindung gestanden haben.

Ein Grammophon mit Münzeinwurf sorgte in Gaststätten für Unterhaltung. (Foto: Jana Islinger)

Die Entwicklung der Kunst- und Kulturszene steht dabei quasi stellvertretend für die Spannung zwischen Tradition und Aufbruch in die Moderne, die dieses verlängerte Jahrzehnt ausmacht. Auf der einen Seite sind es vor allem die Faschings- und anderen Feste der damals neu gegründeten Künstlervereinigung Fürstenfeldbruck, die einen Hauch des mondänen Nachtlebens in den Landkreis brachten. "Statt in den Rosenkranz geht man zum Schimmitanz und pfeift im Ampertal einfach auf die Moral", heißt es etwa in einem Programmheft aus dem Jahr 1927.

Gleichzeitig aber orientieren sich die meisten Künstler inhaltlich und stilistisch weiter an konservativen Ansätzen. Geprägt waren sie dabei von der Szene in München, mit der ein enger Austausch bestand. Einige Mitglieder symphatisieren früh mit der nationalsozialistischen "Blut und Boden"-Ideologie. Auch politisch bleibt Bruck während der ganzen Zeit stramm konservativ. Nach den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Freikorps, bei denen auch im Fürstenfeldbruck sieben Menschen sterben und viele Häuser zerstört werden, bildet sich, wie überall in Bayern, auch hier eine sogenannte Einwohnerwehr. Ein Foto zeigt sie mit ihrer Flagge bei einer großen Versammlung zwischen Tausenden anderen in München.

Zu sehen auch eher skurrile technische Erfindungen wie diese Fingertrockenhaube. (Foto: Jana Islinger)

Was der Ausstellung herausragend gelingt: Immer wieder arbeitet sie den Spannungsbogen zwischen den Polen Aufbruch Richtung Freiheit, Demokratie und Konsumkapitalismus und dem Festhalten an "alten", traditionellen Werten und Gesellschaftsstrukturen heraus. Auf der einen Seite werden Limonade und Chabeso auch hier zu beliebten Getränken und die Menschen beginnen nach der Einführung des Acht-Stunden-Tages ihre Freizeit beim Schwimmen und Turnen, im Lichtspielhaus und bei Musik zu gestalten und genießen. Die Eisenbahnverbindung von München nach Fürstenfeldbruck lockt Touristen an.

Auf der anderen Seite dominiert durchgehend die konservative Bayerische Volkspartei BVP, und als ein Nazi-Funktionär das Denkmal eines Mitglieds des Hitlerputsches von 1923 vor dem alten Rathaus einweiht, versammeln sich die Brucker brav um zu applaudieren. Auch das ist auf einem der vielen Fotos zu sehen, die einem nach dem Besuch der Ausstellung im Kopf bleiben. Ebenso wie eine Aufnahme der letzten Postkusche von Bruck nach Maisach, die symbolisch für den Übergang in eine neue Zeit steht.

Und so bietet die Ausstellung viele kleine und große Aha-Momente, ist lehrreich, erschreckend und oft auch unterhaltsam. Etwa, wenn man vor dem großen Fingertrockner steht, einer der damaligen Erfindungen. Oder den Klängen des Münzwurf-Grammophons lauscht.

Ausstellung "Goldene 20er? Die Weimarer Republik in der Provinz", Museum Fürstenfeldbruck, zu sehen bis zum 9. Juni 2024, geöffnet dienstags bis samstags von 13 bis 17 Uhr und sonn- und feiertags von elf bis 17 Uhr. Der Eintritt kostet sechs, ermäßigt vier Euro.

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