Porträt:Der Avantgardist aus Bruck

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Monatelang haben die Mitarbeiter des Stadtmuseums ihr Team an der Ausstellung zu Henrik Moor gearbeitet - und dabei viele neue Fakten zusammengetragen. Nun werden sie präsentiert

Von Anna landefeld-Haamann

Henrik Moor, Künstler und Weltbürger: geboren 1876 in Prag, Aufenthalte in New York, Wien, München, Paris, London - und eben Fürstenfeldbruck. Hier ließ er sich 1908 nieder und wohnte bis zu seinem Tod 1940 in einem schlichten Häuschen in der Emmeringer Straße. Was den rastlosen und stets von Geldsorgen geplagten Maler nach Bruck verschlug und vor allem dauerhaft dort gebunden hat - das weiß keiner so genau. Diese Frage konnten auch die Kuratoren des Museum Fürstenfeldbruck, Angelika Mundorff und Eva von Seckendorff, nicht klären. Dafür haben sie in den vergangenen Monaten gemeinsam mit ihren Mitarbeitern andere spannende und bisher unbekannte Fakten über den Maler zusammentragen.

Über 800 Bilder aus privatem und öffentlichen Besitz haben sie gesichtet und teilweise restaurieren lassen, über 1000 Dokumente aus europäischen Archiven transkribiert und ausgewertet. Zum ersten Mal ließ sich so eine vollständige Biografie des Künstlers rekonstruieren. Darunter auch die brisante Frage, wie die jüdische Familie Moor während der Nazi-Zeit in Emmering überleben konnte. Auch konnten viele, bislang unidentifizierte Personen, in seinen Bildern eindeutig benannt und ein erstes Werkverzeichnis angelegt werden. Das Ergebnis ist die Retrospektive "Henrik Moor. Avantgarde im Verborgenen", die vom 12. Mai bis zum 26. September im Museum Fürstenfeldbruck und im Kunsthaus gezeigt wird. Sie ist mit 278 Werken nicht nur die größte, sondern auch die erste Moor-Ausstellung seit über zwei Jahrzehnten.

Das Bild "Moses blickt in das gelobte Land" aus dem Jahr 1927 zeigt die für Henrik Moor typische "dynamische Malerei". (Foto: Wolfgang Pucher)

Das Werk Henrik Moors lässt sich nur schwer ohne seine Biografie begreifen. Immerhin spiegeln sich darin auch die Zäsuren der deutschen und europäischen Geschichte. Der Ausstellungsteil im Museum versucht beides zu verknüpfen: biografische und ästhetisch-stilistische Entwicklungen des Malers. Vor der Jahrhundertwende sind die Einflüsse eines James Whistler in den Porträts deutlich spürbar. Die Landschaften erinnern an William Turner, an Franz von Lenbach mit ihren intimen ausdrucksstarken Stimmungen, den Hell-Dunkel-Kontrasten. Moor stellt im Münchener Glaspalast aus, beteiligt sich in Paris am "Salon des Indépendants" und in Venedig an der Biennale.

Dann kommt der Weltkrieg und Moor wird nie wieder an diese Erfolge anknüpfen können. Vergeblich versucht er Anschluss an die "Neue Sezession" in München zu finden. Nicht nur künstlerisch, sondern auch wirtschaftlich sind es schwere Zeiten für ihn und seine siebenköpfige Familie. Überwiegend verdient er sein Geld mit Porträtmalerei. Industrielle, Künstler und Politiker samt ihrer Verwandtschaft stehen ihm Modell. Mit der Weltwirtschaftskrise verlieren viele davon ihr Vermögen - und Moor seine Auftraggeber. Es folgen experimentelle Jahre, in denen er expressiv bis hin zur Abstraktion malt, mit Material und Farben spielt. Diese Phase endet abrupt im Jahr 1933 mit der "Machtergreifung" durch die Nazis und für die jüdische Familie Moor beginnt ein Bangen um ihre Existenz.

Neben der Malerei bestimmt vor allem die Musik das Leben Henrik Moors. Diesen Aspekt zeigt das Museum in den Räumen des Kunsthauses. Sein Vater Rafael Moor ist Opernsänger und Kantor, Bruder Emanuel ein gefeierter Pianist, Komponist und Instrumentenbauer. Zu den Musikerkollegen seines Bruder pflegt auch Henrik Moor regen Kontakt. Über ihn lernt er auch den weltberühmten Cellisten Pablo Casals kennen, den er 1913 in seinem Haus in Fürstenfeldbruck porträtiert. Innigkeit spricht aus diesem Ölporträt, das weitaus mehr ist als ein gewöhnliches Musikerbildnis. Es wirkt wie eine Synästhesie. Der versunkene Gesichtsausdruck Casals, die Körperhaltung, der rhythmisch-dynamische Pinselduktus - so kann nur jemand malen, der die Musik begreift und spürt.

Neben weiteren Portraits ist die Musik selbst zentrales Motiv in seinen Werken. Man weiß, dass Moor die groß angelegten Sinfonien Bruckners besonders beeindruckt haben. Im Münchener Odeon hat er sie wohl gehört, das damals besonders en vogue gewesen ist. In vielen Studien Ende der Zwanziger versucht er in dem für ihn typischen Stil, der "dynamischen Malerei", einzelne Farbbausteine wie Töne in der Musik zu einem Ganzen zusammenzufügen. Ähnliche Versuche, Musik in Malerei umzusetzen, findet man auch bei Klee und Kandinsky.

Häufiger dagegen porträtierte er prominente Zeitgenossen. So auch den damals weltbekannten Cellisten Pablo Casals im Jahr 1913. (Foto: Wolfgang Pucher)

Anders als seine Zeitgenossen vom "Bauhaus" und dem "Blauen Reiter" hat Henrik Moor keine Kunsttheorien hinterlassen. Wenn er schrieb, dann klagte er meistens über Geldprobleme. Seine künstlerische Ambition war Zeit seines Lebens geteilt: Einerseits suchte er Anschluss an die Maler der Avantgarde. Andererseits musste er als Ernährer einer Großfamilie das malen, was sich verkaufen ließ. Den großen Durchbruch hat er nie erlebt - weder künstlerisch noch finanziell. Schon allein deswegen kann der Beitrag, den das Museum Fürstenfeldbruck nicht nur zur Brucker Kunstgeschichte leistet, kaum hoch genug eingeschätzt werden.

"Henrik Moor (1876-1940). Avantgarde im Verborgenen" im Museum Fürstenfeldbruck. Vernissage am Donnerstag, 12. Mai, von 19.30 Uhr an. Danach zu sehen bis 26. September.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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