Fürstenfeldbruck:Ein Badezimmer für neun

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Kümmern sich um Familien aus der Ukraine (von links): Martyn Cooper, Stefan Sedlmair, Frédérique Bouvier, Doreen Höltl und Paul Roh. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Wie sich der Alltag ändert, wenn plötzlich ukrainische Familien im eigenen Haus wohnen. Welche Regeln dann gelten, wie viel Privatsphäre noch bleibt und warum Geschirr nicht mit der Hand gespült wird.

Von Erich C. Setzwein, Fürstenfeldbruck

Luxus ist, wenn das schmutzige Geschirr nicht von Hand gespült werden muss. Diese Arbeit nach einem gemeinsam eingenommenen Mahl übernimmt im Haushalt der Eichenauer Familie Cooper für gewöhnlich eine Maschine. Sich daran zu gewöhnen, diese Arbeit nicht mit der Hand zu machen, war für die ukrainische Familie aus Wischgorod, die nun bei den Coopers lebt, am Anfang nicht leicht. Zumal die Sprachbarrieren noch größer waren und es mancher erklärenden Worte bedurfte, das in Eichenau Alltägliche zu vermitteln. Das ist eine Episode aus dem neuen familiären Zusammenleben mit Geflüchteten, die Martyn Cooper in einem kleinen Kreis Gleichgesinnter erzählt. Vier Menschen aus dem Landkreis sind in dieser Woche zusammengekommen in den Räumen der Fürstenfeldbrucker Stadtkapelle in Haus 10 in Fürstenfeld, um Erfahrungen auszutauschen und sowohl einander, als auch öffentlich davon zu berichten, wie es ist, Menschen zu helfen, die dem Krieg entkommen sind.

Für Martin Cooper und seine Frau war es selbstverständlich, sich bei der Gemeinde Eichenau auf deren Aufruf hin zu melden und eine Unterkunft im eigenen Haus anzubieten. Cooper ist 69 Jahre alt, wohnt in einer Doppelhaushälfte und hat Platz zur Verfügung. Seit 17. März lebt nun eine dreiköpfige Familie aus Eichenaus ukrainischer Partnerstadt Wischgorod im Haus, und es gibt so einiges, was Cooper über diese Begegnung erzählen kann. Zum einen, dass sich seine Gäste zwar wohl fühlen, aber stets an die nähere Zukunft denken: "Sie freuen sich, wenn sie wieder nach Hause dürfen." Nach Wischgorod, wenn es wieder friedlich ist und nicht bedroht und umkämpft wie in den vergangenen Wochen. Zum anderen, dass es gewisser Regeln bedarf, um so ein Zusammenleben von zwei durchaus unterschiedlichen Kulturen zu bewerkstelligen. Cooper denkt dabei auch an andere im Ort oder im Landkreis, die Flüchtlinge aus der Ukraine für eine Übergangszeit aufgenommen haben und ihr Haus mit ihnen teilen: "Absprachen sind wichtig, Regeln auch."

Und Beschäftigung. Denn sich ständig mit dem Krieg in der Heimat zu befassen, darüber diskutieren, das wollten die Flüchtlinge nicht, fasst Cooper die Stimmungslage zusammen. So seien die Deutschkurse derzeit eine gute Ablenkung. Der Sohn besuche den Kurs im Jugendzentrum am Vormittag, am Nachmittag lernen seinen Eltern die neue Sprache. Bis es damit klappt, wird hauptsächlich Englisch gesprochen.

Das ist in der Familie von Frédérique Bouvier ganz ähnlich. Die Germeringerin hat schon die zweite ukrainische Familie zu Gast, nachdem die erste nach zehntägigem Aufenthalt nach Bulgarien gereist ist, um dort die Zusammenführung der weiteren geflüchteten Familienmitglieder zu übernehmen. Diese Familie war im Urlaub, als Putin den Krieg gegen die Ukraine begann, sie war also in Deutschland gestrandet. Nun hat Bouvier in ihrem Reihenhaus eine Mutter und deren Sohn aufgenommen. "Solidarität war in meiner Familie immer am wichtigsten", sagt sie, "wir hatten immer ein offenes Haus." Das war daheim in Frankreich.

Seit 30 Jahren lebt sie nun in Deutschland, seit acht Jahren in Germering, arbeitet Vollzeit im Vertrieb eines großen Unternehmens und lebt diese Solidarität nun vor dem Hintergrund des Kriegs. In einem Mix aus Französisch, Englisch und Ukrainisch wird sich verständigt, aber über den Krieg wird dabei möglichst selten gesprochen. Dafür entdeckt Frédérique Bouvier wieder die Gesellschaftsspiele am Abend, die sie früher mit den vier Kindern gespielt haben. Da die Kinder aus dem Haus sind, ist Platz übrig, der nun anders genutzt wird. Für wie lange, das weiß noch niemand zu beantworten.

Stefan Sedlmair hatte auch Wohnraum zur Verfügung und hat zwei Mütter mit drei Kindern im Alter zwischen zehn und 16 Jahren bei sich in Grafrath aufgenommen. "Man gibt Privatsphäre auf, aber das ist überhaupt kein Problem", sagt er nach den ersten Wochen des Zusammenlebens. Die Ukrainerinnen mit ihren Kindern haben eigene Zimmer in seinem Haus, es wird gemeinsam gekocht und gegessen, alle halten sich an die Regeln. Nur mit dem Trennen beim Abfall hat es etwas gedauert. "Aber jetzt haben sie unser Müllsystem durchdrungen", berichtet er heiter. Manche Praxis ist ja außerhalb des Landkreises völlig unbekannt.

Paul Roh, Kapellmeister der Stadtkapelle Fürstenfeldbruck, in Kasachstan geboren und mit einer Fürstenfeldbruckerin verheiratet, hat fünf Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen und ist zu einem "Player" in der Flüchtlingshilfe geworden, wie sich Doreen Höltl aus Stabsstelle Soziale Angelegenheiten ausdrückt. Zwei Mütter mit deren sechs, sieben und 13 Jahre alten Kinder sind bei ihm, seiner Frau und den beiden Kindern eingezogen und haben sich nicht viel ausgeruht. "Sie organisieren sich in Bruck", sagt Roh. Es gibt Deutschkurse im Mehrgenerationenhaus, und auch im Übungsraum der Stadtkapelle in Haus 10 in Fürstenfeld finden Treffen statt.

Roh kommt jetzt zugute, dass er einmal Russisch gelernt hat und es nun wieder im Alltag anwenden kann. Auch wenn der Deutschunterricht gut besucht wird und es tägliche Angebote für die Kinder gibt - unter anderem Tanz bei der Heimatgilde - so hat Roh eins festgestellt: "Lachen ist das Wichtigste." Die Mütter könnten sich, wenn sie nicht mit Behördenkram oder der Suche nach Arbeit beschäftigt sind, in der Volkshochschule an Gymnastikstunden teilnehmen. Und allen sei wichtig, dass sie sich untereinander treffen, mit Bus und Bahn die Gegend kennenlernen und München besuchen.

Dass es bislang noch nicht zu schweren Krisen oder Konflikten gekommen ist, führt Doreen Höltl auch darauf zurück, dass traumatische Erlebnisse vielleicht erst später zu erwarten sind. Ihre Abteilung im Rathaus sowie das Referat für Familie und Jugend haben Beratung von der KBO-Klinik bekommen und können die Tipps weitergeben. Höltl sagt deshalb Menschen, die ukrainische Geflüchtete aufnehmen wollen ganz offen, dass es zu einer Krise kommen kann und wer welche Hilfe anbietet.

Dass die Flüchtlinge bislang so geräuschlos untergebracht worden sind, liegt nach allgemeinen Dafürhalten an dem Mut und der fast uneingeschränkten Solidarität der vielen Ehrenamtler und all derjenigen, die eine Unterkunft zur Verfügung stellen. Deshalb gilt der Dank Höltls auch vor allem jenen aus den wiederbelebten Asylhelferkreisen, der Corona-Nachbarschaftshilfe und dem Netzwerk der Brucker helfen der Ukraine. Ohne unterstützende Ehrenamtliche sei dies alles nicht zu schaffen: "Das ist von Behörden nicht zu bewältigen."

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