Sterbebegleitung:"Es gibt keine professionelle Nähe. Es gibt nur Nähe"

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Bei der Jubiläumsveranstaltung erinnern der ärztliche Leiter Karlheinz von Jan (links) und Geschäftsführer Helmut Leonhardt an die Geschichte des ambulanten Palliativteams. (Foto: Johannes Simon)

Seit zehn Jahren gibt es das ambulante Palliativteam Fürstenfeldbruck. Bei der Jubiläumsfeier erfahren die Besucher viel über die Arbeit der Pfleger und Ärzte - und über deren Gefühle.

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Es ist ein Abend, an dem man immer wieder tief Luft holen muss. Nicht einmal. Nicht zweimal. Sondern immer wieder. Etwa, wenn Karlheinz von Jan von den letzten Lebensmonaten einer unheilbar kranken 32-Jährigen erzählt. Davon, wie wütend die zweifache Mutter über ihr Schicksal ist. Die ihm bei seinen Besuchen von ihren Alpträumen erzählt - und davon, dass ihr, sobald sie aufwacht, wieder klar wird, dass die Realität - ihre Realität - noch viel schlimmer ist, als jeder Alptraum es sein könnte. Und wieder, wenn von Jan, der erfahrene Arzt und Palliativmediziner, davon spricht, wie er irgendwann selbst mit einem Druck auf der Brust zu den Besuchen fährt, weil er die junge Frau nicht erreicht, ihre Wut und ihren seelischen Schmerz nicht lindern kann. "Es konnte alles geregelt werden. Außer das Schlimmste. Dass diese Frau so jung sterben muss."

Also bittet er sie um ein Gespräch. Um etwas zu tun, was er als Palliativmediziner nur selten macht: Über sich sprechen, darüber, wie es ihm mit der Situation geht. "Ich kann Ihnen nichts versprechen. Nur eines: Ich verspreche Ihnen, dass wir Sie nie alleine lassen, solange Sie das nicht wollen", habe er ihr damals gesagt. "Daraufhin hat sie so angefangen zu weinen. Wir haben uns umarmt. Und ich habe mit geweint. Von diesem Moment an waren es ganz andere Besuche. Die Atmosphäre war plötzlich vertrauensvoll."

Funktionierendes Netzwerk

Geschichten wie diese bekommen die Besucherinnen und Besucher der Feier zum zehnjährigen Bestehen des ambulanten Palliativteams Fürstenfeldbruck am Donnerstagabend im Churfürstensaal des Klosters einige zu hören. Weit über 100 Gäste sind gekommen, um dieser besonderen medizinischen Einrichtung zum Geburtstag zu gratulieren: Pflegekräfte, Kooperationspartner, Unterstützer. Denn, und auch das wird an diesem Abend schnell klar, die Arbeit des Teams läuft nur deshalb so gut und kontinuierlich, weil es ein funktionierendes Netzwerk aus unzähligen Menschen und Institutionen im Umfeld gibt. Ärzte, Sozialverbände, Apotheken, Pflegekräfte.

Das ambulante Palliativteam kümmert sich um Menschen, die so schwer krank sind, dass sie als medizinisch austherapiert gelten und man damit rechnen muss, dass sie bald sterben werden. Das Besondere an der Arbeit des ambulanten Teams ist, dass es Menschen versorgt, die im Sterbeprozess möglichst lange zuhause bleiben wollen.

Es ist damit eine Ergänzung zur Palliativstation in der Kreisklinik und zum vor gut einem Jahr eröffneten Hospiz in Germering. Knapp 6000 Menschen hat das Fürstenfeldbrucker Palliativteam in den zehn Jahren seines Bestehens begleitet. Dabei kümmert sich das Team mit etwa 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht nur um Patienten im Landkreis, sondern ist auch für einen Teil des Landkreises Starnberg und seit 2019 auch für den ganzen Landkreis Landsberg am Lech zuständig.

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Was das faszinierende an dem Beruf sei? Darauf hat Palliativpflegekraft Rebecca Defain, die wie der ärztliche Leiter von Jan von Anfang an Teil des Teams ist, eine klare Antwort: Es gebe wohl keinen Job, in dem man einem anderen Menschen so ganzheitlich nahe komme, körperlich bei der Pflege und seelisch und spirituell in den Gesprächen.

Auch Defain erinnert in ihrer Rede an besondere Patienten, die sie in ihren letzten Monaten begleiten durfte. Dass das Palliativ-Team wirklich zu jeder Zeit und in allen Bereichen für die Sterbenden - und auch ihre Angehörigen - da ist, wird an einer kleinen Anekdote deutlich. Einmal habe sie einen jungen Mann unterstützt, der seine kranke Mutter über Monate gepflegt und aus Unsicherheit bei jedem Schritt angerufen habe. Eines Abends habe wieder das Telefon geklingelt. "Er hat mir gesagt, dass seine Mutter jetzt einen Reiberdatschi will. Ob ich vielleicht das Rezept hätte."

Zum Abschluss stimmt Karlheinz von Jan noch einmal ernste Töne an. Man müsse in der Palliativpflege aufpassen, dass bestimmte Begriffe nicht zum Label verkommen. So halte er nicht viel von Bezeichnungen wie "professionelle Nähe" oder "professionelle Distanz". "Damit kann ich nichts anfangen. Es gibt keine professionelle Nähe. Es gibt nur Nähe." Und natürlich nehme man die Gefühle, die bei der Arbeit entstehen, auch mit nach Hause. "Es gibt Momente, in denen ich darüber sprechen muss, wie mich diese Gefühle überfluten. Das ist Empathie im besten Sinne".

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