Historische Fotografien von Freising gibt es viele. Sie dokumentieren, wie sich die Altstadt seit Ende des 19. Jahrhunderts verändert hat. Wie aber sahen Stadt und Umland um 1700 aus? Zeugnis davon geben die detailgenauen Landschaftsbilder, die der Maler Valentin Gappnigg für den Fürstengang am Domberg schuf - inzwischen hängen dort Kopien. Allerdings sind sie für die Öffentlichkeit in der Regel nicht zugänglich. Ein Projekt der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT) rückt die Veduten im großen Freisinger Jubiläumsjahr "1300 Jahre Korbinian" in den Fokus.
Die Bilder erlauben nicht nur einen nostalgischen Blick auf die wenig besiedelte Landschaft. "Wir versuchen, uns auch Inspirationen zu holen, was für die Zukunft wichtig ist", sagt Jörg Ewald, der Initiator des Gappnigg-Projekts. Er hat an der HSWT die Forschungsprofessur Diversität und Funktionen von Gebirgsökosystemen inne. Das ganze Jahr über sind Führungen im Fürstengang, eine Ausstellung, wissenschaftliche Symposien, Fahrradtouren zu den Motiven und öffentliche Workshops geplant. Auch einige der Punkte, von denen aus Gappnigg seine Ansichten schuf, werden gekennzeichnet, einer davon in Tuching. Der erste Workshop findet bereits an diesem Freitag, 5. April, statt und dreht sich darum, wie die Isar Freising geprägt hat - aber auch was sich die Teilnehmenden für die Zukunft wünschen.
Valentin Gappnigg, geboren in der Steiermark, war 1698 nach Freising gekommen. Fürstbischof Johann Franz Eckher von Kapfing und Liechteneck hatte ihn beauftragt, für den Fürstengang seiner Residenz Gemälde von den Besitzungen des Fürstbistums anzufertigen. Die 32 Bilder zeigen Ansichten von Freising, Massenhausen, Ottenburg, Erching, Ismaning, Ober- und Unterföhring, aber auch von Garmisch, Mittenwald, Innichen und Waidhofen an der Ybbs. Die Stadt in Niederösterreich ist auch einer der Projektpartner.
Die Idee, sich mit den detailreichen Landschaften Gappniggs und den Veränderungen intensiver auseinanderzusetzen, kam Ewald privat. Er ist Mitglied im Domchor. Um für bestimmte Auftritte auf die Empore des Doms zu gelangen, gehen die Sängerinnen und Sänger durch den Fürstengang, vorbei an den Kopien der Gappnigg-Bilder. Die lichtempfindlichen Originale lagern im Archiv des Diözesanmuseums. Selbst Ewald hat sie noch nicht gesehen.
Nur wenige Insider seien sich des Informationsgehalts der Veduten bewusst, sagt Ewald. Der künstlerische Rang Gappniggs sei mit anderen im Diözesanmuseum vertretenen Künstlern nicht zu vergleichen. Für Freising und seine Partnerstädte aber seien die Darstellungen "total spannend". Ein Planungsbüro aus der Nähe von Waidhofen beantragte für das transnationale Projekt erfolgreich eine Förderung durch das Leader-Programm der EU, das Maßnahmen im ländlichen Raum unterstützt. Damit konnten die informative Website ( www.gappnigg.eu) erstellt und ein Teil der Bilder dort hochwertig wiedergegeben werden. Alte und aktuelle Ansichten lassen sich direkt vergleichen.
An der HSWT befassen sich eine Master- und mehrere Bachelorarbeiten mit verschiedenen Aspekten der Gappnigg-Veduten, etwa wie sich das Landschaftsbild verändert hat und wo der Standpunkt des Malers damals gewesen sein muss. Teilweise lasse sich das aufgrund der Bebauung heute nur mit Drohnen rekonstruieren, schildert Ewald.
Mit ihrer Gappnigg-Initiative will die HSWT Denkprozesse anstoßen. Bei den interdisziplinären Symposien - das erste fand bereits in Waidhofen statt - kommen Fachleute mit ganz unterschiedlichen Blickwinkeln zusammen. Letztlich geht es um "Visionen, wie sich eine Stadt weiterentwickeln kann", sagt Ewald. Ein Blick in die Vergangenheit könne dabei helfen - nicht nur, um etwas zu konservieren, sondern auch für Neuinterpretationen. Als Beispiel nennt er die Moosach-Freilegung in der Freisinger Innenstadt - auch früher schon floss der Bach offen durch die Altstadt, bevor er unter Asphalt verschwand. Auch die Krautgärten von damals gibt es heute wieder, beispielsweise kurz hinter der Schlüterbrücke. "Die Gartenkultur hat in Freising einen besonderen Stellenwert."
Es gehe nicht darum, Landschaft möglichst genau so wiederherzustellen, wie sie auf den historischen Bildern dargestellt wird. Aber man könne ihr langfristiges Potenzial erkennen und sollte sie wertschätzen, sagt Ewald. Für ihn sind die Gemälde mit ihrem Detailreichtum wie "Wimmelbilder". Dies seien gute Anknüpfungspunkte, auch für die Freisinger, die ihre Vorstellungen in die Diskussion einbringen sollen. Am Ende soll keine fertige Stadtplanung stehen, "wir versuchen, Impulse zu geben." Durch den Blick zurück, die Selbstvergewisserung, den Austausch entwickle sich Landschaft weiter.
Bleibt dafür aber auch in dieser eng besiedelten Region Raum? Gerade "in diesem Hotspot" sei es wichtig, Reste der Landschaft zu erhalten, "sie sind wie ein Rückgrat". Als positives Beispiel nennt Ewald den Schutz der Heidelandschaft im Münchner Norden. Fast unverändert ist Schloss Erching - auch das hat Gappnigg im Bild festgehalten - geblieben, es "ist wie eine Oase, wo die Zeit stehen geblieben ist". Mit Radtouren und Aussichtspunkten will das Projekt aber auch das Bewusstsein, das Interesse für fast vergessene Orte wie das zerstörte Schloss in Massenhausen wecken und zu einer Spurensuche animieren. "Viele Leute wissen gar nicht, dass dort in der Barockzeit ein großes Schloss stand."
Mitmach-Workshop
Die Veranstaltungsreihe zu den Landschaftsbildern von Valentin Gappnigg startet an diesem Freitag, 5. April, mit einem Mitmach-Workshop (15 bis 17 Uhr) zum Thema "Wie die Isar Freising prägt" im Pavillon der Musikschule, Kölblstraße 2. Unter der Leitung von Jörg Ewald erkunden die Teilnehmenden bei einem Spaziergang an der Isar, was sich verändert hat und was sie sich für die Zukunft wünschen. Die Teilnahme ist nach Anmeldung unter www.gappnigg.eu/programm kostenlos.