Kandidat für den Tassilo 2018:An der Grenze zu bescheuert

Lesezeit: 3 min

Philipp Potthast ist Poetry Slammer, weil ihm Sprache und Reime schon immer wichtig waren - und vielleicht auch, weil er "assonante Doppelreimketten" kann. Für Rap dagegen findet er sich nicht wütend genug.

Von Clara Lipkowski, Freising/München

Von einem Texthänger lässt sich Philipp Potthast nicht verunsichern. Ein einziges Mal hatte der Poetry Slammer einen bösen Blackout - auf der Bühne in Konstanz. Er hatte schon losgeredet, den Text hatte er schon an die 50 Mal vorgetragen, da fiel ihm nicht mehr ein, wie es weiterging. "Kollegen haben für solche Fälle einen Zettel hinten in der Hosentasche. Aber das mag ich nicht. Also habe ich dem Publikum gesagt: Ja! Ich mach' jetzt 'nen anderen Text!"

Weiter ging's, schließlich hatte und hat er richtig Lust auf die Bühne, auf das Spiel mit Wörtern und schnelles Reimen. "Haspler hat man immer mal. Aber dann guckt man nett, sagt ,Sorry' und macht weiter." Was er nicht sagt: Er fährt sich dann auch durch die blonden Locken und grinst in seinem "Schwiegersohn"-Look. Er strahlt die Begeisterung eines Künstlers aus, dem beim Schreiben ständig neue Redewendungen und Metaphern einfallen. Jetzt ist der 23-jährige Philipp Potthast für den SZ-Tassilopreis nominiert worden.

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Im Münchner Werksviertel kommt man schnell ins Gespräch. Potthast ist zum Studium aus Freising in die Landeshauptstadt gezogen, zuerst hat er ein Jahr Germanistik probiert, dann war Jura doch interessanter, mittlerweile ist er scheinfrei. Und so fragt man ihn im Café nach seinen Texten aus, klar, dass einer über den "Klischeejuristen" geht, der mit ihm im Hörsaal sitzt, ein anderer über sein freiwilliges Jahr bei der Freisinger Caritas, das ihn einiges über Gut- und Böse-Sein gelehrt hat.

Oder seine Geschichte über zwei Dresdner Neonazis, die sich kennenlernen und verlieben. Es stellt sich heraus, dass der Mann sich auf der Pegida-Demo bloß verlaufen hatte und die Frau eine V-Frau war. Irgendwann geht es um Karl Marx und die "Internationale". "Mich reizen Übertreibungen", sagt Potthast, "ich mag es, wenn es an die Grenze geht von bescheuert, wenn Sachen brutal absurd sind. Wo man nicht damit rechnet - und auch immer ein bisschen zu viel." Wenn er dann noch eine Botschaft vermitteln kann und die Leute nicht nur unterhalten werden, findet er das richtig gut.

Er gibt Workshops, hat in der "Tintenfrische" veröffentlicht und schreibt Auftragstexte

2013 hat er als Bühnenpoet angefangen, mittlerweile gibt er Workshops an Schulen, manchmal schreibt er Auftragstexte, zum Beispiel zur deutsch-französischen Freundschaft oder über seine Heimatstadt, kürzlich war er im Radio. Und was hat er sich beim Text "Die traurige Ballade vom ewigen Mutterficker" gedacht? Echt jetzt? Er grinst. "Meinen Eltern ist das furchtbar peinlich." Damit aber hat er es in die Edition "Tintenfrische" geschafft, eine Jugendanthologie für Poetry Slammer, vor ihm hat die bekannte Schweizer Slam-Poetin Hazel Brugger dort veröffentlicht. Über Hazel sagt er nur Gutes. Dass sie hinter der Bühne einfach nett sei, gerade richtig steil gehe, mit Auftritten im TV und so weiter.

"Es gibt viele Slammer, die schreiben vor allem lyrische Geschichten", sagt Potthast, "das habe ich auch lang gemacht. Aber irgendwann wollte ich das aufbrechen und hab' gedacht: Was ist die bescheuertste Geschichte, die man machen kann? Bei ,Mutterficker' zucken ja immer schon alle zusammen, aber im Text dekonstruiere ich das Wort halt." Er erklärt genau den Wortwitz im Text, der nach hinten einen unerwarteten Dreh bekommt, er lacht selbst bei der Pointe. Aber der Text ist eben auch schlüssig gereimt, auch so eine Philipp-Potthast-typische Sache: Oft mehrfach hintereinander. "Was ich gerne mache" - er zitiert ein bisschen was - "sind assonante Doppelreimketten, au, ei, au, ei, zum Beispiel."

Schon mit dem Großvater dichtete Potthast Kinderlieder um

Sprache und Reime sind ihm wichtig, seit er denken kann. Als Kind dichtete er mit dem Großvater die "Vogelhochzeit" um (er singt ein bisschen was vor), in der Schule liebte er es, Erlebniserzählungen zu schreiben und fand es "ganz schlimm", als irgendwann in der Siebten nur noch Sachtexte dran kamen. "An dem Punkt habe ich einfach weitergemacht. Und Rap-Texte geschrieben. Und das hat sich dann halt verselbständigt." Zu Rap könnte er jetzt auch einiges sagen, mit einem Freund, Johannes Berger, tritt er unter dem Namen "Natürlich Blond" auf, in Anspielung an den Film und ihre Haarfarbe. Aber inzwischen sei er "ein bisschen weg" vom Hip Hop.

"Natürlich Blond"
:Feine Reime von zwei Rappern

Philipp Potthast und Johannes Berger bilden das Rapper-Duo "Natürlich Blond". Zum Schreiben ihrer Texte fahren die Beiden immer für eine Woche an die Nordsee.

Von Anne Gerstenberg

"Ich hab mich mit der Attitüde dahinter irgendwann nicht mehr wohl gefühlt. Man muss ja irgendwie jung sein und wütend und was darüber zu erzählen haben. Aber ich hatte sowieso schon nie was zu erzählen, weil ich ziemlich behütet aufgewachsen bin und eigentlich gar nicht so wütend war. Und vielleicht fühlt man das mit 18 auch noch mehr als mit 23."

Große Worte über sich macht er nur, wenn er daraus einen Spaß machen kann. In einem Text spricht er von sich als dem "schönsten Menschen der Welt", aber eigentlich kritisiert er Oberflächlichkeit. Dass er bald in der Elbphilharmonie auftritt, fällt ihm irgendwann am Rande ein. Die Tassilo-Nominierung hat ihn hörbar überrascht. "Ich hab noch nie so einen Preis gewonnen", sagt er, und wie großartig das wäre. Ein Unbekannter ist er aber nicht mehr: Bei der deutschen Poetry-Slam Meisterschaft hat er im Team den 3. Platz gewonnen, 2016 und 2017 war er im Finale der bayerischen Meisterschaft und bei der Münchner Stadtmeisterschaft war er mehrfach unter den besten drei.

Zum Slammen nahm ihn erstmals seine damalige Freundin mit. Er kam, sah, das kann er auch, suchte sich später eine Bühne und... siegte. Nur würde er das niemals ernsthaft so sagen.

© SZ vom 22.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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