Kirchbergers Woche:Zuhause mit der Frau schunkeln

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Zehn Tage Volksfest daheim, auch dafür braucht man Kondition

Von Johann Kirchberger

Eigentlich wäre gestern das 91. Freisinger Volksfest eröffnet worden. Ein Festzug hätte sich auf verschlungenen Pfaden durch die Innenstadt zur Luitpoldanlage geschlängelt, der OB hätte den Messinghahn in ein Fass getrieben, "O'zapft is" gerufen und weißen Schaum in die Maßkrüge für seine Stadträte und andere Honoratioren der Stadt fließen lassen. Dazu hätte die Blaskapelle gespielt und die Böllerschützen hätten es krachen lassen. Danach hätten die Bedienungen Maßkrüge und Hendl zu den Tischen geschleppt und alles hätte gerufen: Oans, zwoa, gesuffa!

Eigentlich, doch heuer ist aus hinlänglich bekannten Gründen alles anders. Kein Bierzelt, kein Steckerlfischbrater, kein Karussell. In der Luitpoldanlage parken Autos und die darf man nicht, wie beim Autoscooter, mit Schwung anfahren. Dabei ist das Volksfest mehr als nur Gaudi und Besäufnis. Es ist ein Ort der Begegnung. Denn wo sonst trifft man so viele Freunde und Bekannte, die man üblicherweise das ganze Jahr nicht zu Gesicht bekommt? Aber heutzutage ist es ja eh so, dass fast alles virtuell erledigt wird. Parteien oder Vereine übertragen ihre Versammlungen im Internet. Eingekauft wird online, zunehmend werden auch Lebensmittel, nicht nur Tiefkühlprodukte, sondern auch frisches Obst und Gemüse, ins Haus geliefert. Da veröden zwar die Innenstädte, aber es ist so praktisch, bald werden wir die heimischen vier Wände gar nicht mehr verlassen müssen.

Die Schulen bereiten sich bereits auf Homeschooling vor, falls die Corona-Zahlen nach oben gehen. Gearbeitet wird weitgehend im Homeoffice, die Kollegen sieht man nur noch im oder am Computer, Konzerte oder Theater werden ins Netz gestellt. Die Fußball-Bundesliga spielt in leeren Stadien, die Zuschauer sitzen bequem auf der Wohnzimmercouch. Nächtliche Kneipenbesuche fallen aus. Auslandsreisen sollte besser auch nicht unternehmen, wer bei der Rückkehr nicht in Quarantäne will.

Auf das Volksfest allerdings muss man nicht ganz verzichten, man muss sich nur was einfallen lassen. Hendl kann man an einem der fahrbaren Grillstände kaufen, Festbier gibt es günstig im Getränkemarkt. Daheim kann man sich eine Maß einschenken, das Hendl genussvoll abfieseln, Blasmusik von einem geeigneten Tonwiedergabegerät abspielen, mit der Frau schunkeln und wer will (Zimmerhöhe beachten!) kann auch auf einen Stuhl oder Tisch klettern, grölen und ein Prosit der Gemütlichkeit ausstoßen. Wer technisch in der Lage ist, kann sich sogar mit Freunden vernetzen und mit denen eruieren, ob der alte Holzmichel noch lebt.

Ja, so ein zünftiges Volksfest-Dahoam hat auch seine Vorteile. Man muss sich weder über laute Musik noch über langsame Bedienungen ärgern. Vor allem aber verkürzt sich der nach dem Genuss einiger Maß Bier oft beschwerliche Heimweg ganz erheblich. Für die paar Meter vom Wohn- ins Schlafzimmer braucht man keine Fischsemmel als Wegzehrung und das Geld für Lose kann man sich auch sparen. Man muss nur durchhalten, auch ein virtuelles Volksfest dauert zehn Tage.

© SZ vom 05.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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