Neufahrner Geschichte:Die Bockerlbahn: Quarz für das Berliner Olympiastadion

Lesezeit: 2 min

Nach Massenhausen führten einst die Gleise einer Bockerlbahn, die Material aus dem dortigen Sandwerk zum Neufahrner Bahnhof transportierte, ehe es in große Städte gebracht wurde. Anfangs zogen noch Pferde die Waggons.

Von Alexandra Vettori, Neufahrn

Derzeit schwelgen die knapp 1500 Einwohner von Massenhausen, einer der nördlichen Orte, die zu Neufahrn gehören, in Vorfreude, angesichts des ersten öffentlichen Busses, der dort halten soll. Die Planungen sind gerade angelaufen. Was viele nicht wissen: Einst gab es sogar eine Gleisverbindung vom Neufahrner Bahnhof nach Massenhausen. Auf ihnen verkehrte ab 1905 eine Bockerlbahn. Sie transportierte allerdings nicht primär Fahrgäste, sondern Kiessand. Ein späterer Zeitzeuge erinnert sich allerdings, dass man, je nachdem, wer als Lokführer Dienst tat, durchaus im Führerhaus mitfahren konnte. Und für die Kinder sei es ein Spaß gewesen, sich an den letzten Waggon zu hängen.

Schon im Mittelalter gab es eine Mühle an der Moosach in Massenhausen, dort, wo heute die Fürholzer Straße verläuft. Nach einem Großbrand 1895 erwarb Johann Zwack aus Zwiesel 1903 das Mühlgut. Er begann auch, das dazu gehörende Sandwerk auszubeuten. Bei Recherchen zur einstigen Zugverbindung ist Ernst Keller, Heimatpfleger aus dem Nachbarort Fürholzen, auch auf den Brief gestoßen, in dem Johann Zwack anno 1903 beim Königlichen Bezirksamt Freising die Genehmigung für ein Rollbahngleis zum Bahnhof Neufahrn erbat: "Ich beabsichtige meinen in der Gemeinde Massenhausen liegenden Sandberg, welcher wertvollen Quarzsand enthält, industriell für die Baubranche besonders nach München und den größeren Städten zu verwerten." Noch im gleichen Jahr erging die Genehmigung. Im August 1904 begannen die Bauarbeiten, im Frühjahr 1905 war die Rollbahn fertig.

Steigende Fahrgastzahlen
:Die Linie 692 soll bleiben

Neufahrner Ortsbus wird gut von Fahrgästen genutzt

1910 tauschten die Pferde gegen eine elektrisch betriebene Industriebahn, die vielen Angst machte

Drei Jahre lang mühten sich zwei Pferde mit je fünf eisernen Kippwagen über das auf Querschwellen aufgelagerte Gleis, dann kaufte der Unternehmer Rudolf Spikermann aus Berlin die Anlage. Er gründete die Quarzsandwerk Massenhausen GmbH und baute die Pferdebahn in eine elektrisch betriebene Industriebahn um. Das Maschinenbauunternehmen Orenstein & Koppel AG aus Berlin sorgte für den Strom, erzeugt von einer Turbine in der Moosach. Am 30. September 1910 war die drei Kilometer lange Schmalspurbahn fertig.

Die Menschen fanden das neue Verkehrsmittel zwar beeindruckend, gleichzeitig hatten viele Angst davor. Vor allem, als die ersten beladenen Heuwagen an den nur in fünf Metern Höhe verlaufenden Stromleitungen hängen blieben. Bald warnten an Wegübergängen rote Schilder mit Blitzen und der Aufschrift "Berühren lebensgefährlich". Die Lokomotive erhielt einen Bahnräumer, Signalglocken wurden an Straßenkreuzungen und Stocklaternen an Anfang und Ende der Strecke angebracht. Am Neufahrner Bahnhof, der damals noch ein Stück westlich des heutigen lag, auf Höhe des "Leiß Paule"-Anwesens, wurden die beladenen Kippwagen mit einer Seilwinde auf eine Rampe gezogen. Das Rangieren der Eisenbahnwaggons übernahm der Leiß Paule mit zwei Ochsen. Je nach Bedarf, weiß Heimatpfleger Keller, "hat er seine Rangierochsen auch mitten in der Nacht aus dem Stall holen müssen".

In den 1930er-Jahren kauft eine Dresdner Zigarettenfirma Sandwerk und Anlage, Verwalter wurde Baurat Held. Kurz darauf fuhr die erste Diesellok. Die Qualität des Quarzsands war so gut, dass für den Bau des Olympiastadions 1934 bis 36 Bestellungen aus Berlin kamen. Gut 20 Jahre später aber schien es sich nicht mehr gelohnt zu haben, 1958 stellte Alois Weber den Betrieb der Bockerlbahn ein. Die Gleise wurden zerschnitten und als eiserne Zaunsäulen verkauft, die man noch heute in einigen Gärten findet. Beim Sandabbau, weiß Ernst Keller, traten auch viele versteinerte Pflanzen und Tierteile zutage, weil sich hier vor Jahrmillionen ein Urmeer befand. Einige der Funde sind heute im Freisinger Heimatmuseum. Vieles aber, so Keller, sei "in dunklen Kanälen verschwunden. Mir hat ein ehemaliger Arbeiter von einer Frau aus München erzählt, die regelmäßig gekommen ist und taschenweise Fossilien mitgenommen hat. Den Arbeitern hat sie dafür ein Tragerl Bier dagelassen".

© SZ vom 08.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Jahreshauptversammlung
:Neufahrner Geschichte in den Ort bringen

Sieben Jahre gibt es den Heimat- und Geschichtsverein. Längst ist er über die Rettung des Mesnerhauses hinaus gewachsen

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: