Kunst und Musik:"Wir schreiten wie betrunken durch unsere Welt

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Lukas Maier hat Bilder von vier Künstlerinnen zum Thema Klimakrise vertont (Foto: Marco Einfeldt)

Lukas Maier hat Gemälde von Künstlerinnen vertont, die sich mit der Klimakrise befassen. Die Uraufführung seiner Orchester-Suite Semikola findet nun am 12. März in der Freisinger Luitpoldhalle statt. Sogar vor Publikum.

Von Niccoló Schmitter, Freising

Während die Streicher das schwerfällige Fabeltier auferstehen lassen, schaut Lukas Maier konzentriert in die Ferne. Er überlegt. "Also der Wolpertinger, der steht für das heute", sagt er. Ein mächtiges, aber dummes Wesen, gierig und naiv zugleich. Es stolpere umher - breit untermalt durch die tiefen Trommeln der Perkussionisten - und könne sich dabei nicht steuern. Im Hintergrundkommt das Orchester nun lautstark zum Höhepunkt, man kann das Tier förmlich aus dem Rahmensteigen sehen. "So fühlt sich für mich die Gegenwart an", resümiert Maier also mit einem schmalen Lächeln und erklärt zugleich, warum er unsere Gesellschaft besonders trefflich in diesem Fabeltier wiedererkennt: "Wir schreiten wie betrunken durch unsere Welt und verstehen nicht, wie zerstörerisch wir dabei handeln."

Der Wolpertinger ist ein ganz besonderer Wolpertinger, er entstammt einem Gemälde der aus Eching stammenden Künstlerin Laura Mayer. Das Orchester hingegen besteht aus den Münchner Symphonikern, sie haben das Wesen zum Leben erweckt. Lukas Maier, der in Haag an der Amper aufgewachsen ist, hat ihnen dafür die Partitur überreicht. Das Stück ist Teil einer dreisätzigen Orchester-Suite namens "Semikola", die er als Abschlussarbeit seines Studiums in "Komposition für Film und Medien" an der Musikhochschule München verfasst hat. Die Suite thematisiert die Klimakrise, die drei Sätze repräsentieren darin Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Frauen mehr Sichtbarkeit verschaffen

Und hinter jedem Satz steckt ein bestimmtes Gemälde einer lokalen Künstlerin. Die Werke dienten Maier, der gerne über die Grenzen einer Kunstsparte hinausdenkt, als Inspiration für seine Komposition. Die Künstlerinnen, neben Mayer sind das Sallie McIlheran und Tanja Riebel, verfolge er schon seit langer Zeit, wie er sagt, die Vertonung ihrer Gemälde sei daher eine leichte Entscheidung gewesen. Außerdem möchte er damit Frauen, die in die Kunst strukturell benachteiligt seien, mehr Sichtbarkeit verschaffen. Das zugrundeliegende Thema ist derweil ein anderes, doch auch das war schnell gewählt: "Die Dinge, die mich als Mensch bewegen, möchte ich mit meinem Schaffen als Musiker kombinieren", sagt Maier. "Und es gibt für mich kein größeres Thema als die Klimakrise.

Lukas Maier mit den Künstlerinnen Laura Mayer, Sallie McIlheran und Tanja Riebel (von links). (Foto: Marco Einfeldt)

"Während die Idee und das Konzept seiner Abschlussarbeit schnell auf sicheren Beinen standen, war Lukas Maier zunächst jedoch mit dem Problem einer weiteren globalen Krise konfrontiert: Der Coronakrise. Im Frühjahr vergangenen Jahres, mitten in der zweiten Welle, begann er mit seiner Komposition, doch wo die Reise hingehen sollte, war für ihn lange unklar. Wird er sein Werk irgendwann live miterleben können? Wird es den Weg in die Öffentlichkeit schaffen? Ja wird es überhaupt erst aufgenommen werden können? "Es ist tatsächlich gar nicht so leicht, während einer Pandemie ein ganzes Orchester in einen Raum zu stecken", sagt Maier und lacht. Anstatt zu verzagen, ging der Komponist einen anderen Weg: Er begriff Corona als Chance. Die pandemiebedingten Einschränkungen verschafften ihm Zeit und Ruhe, Lukas Maier entschied sich, diese für sich zu nutzen.

Er isolierte sich für eine Woche in eine Hütte am Irschenberg, schrieb dort den Großteil seiner Partitur. "Ohne Corona hätte ich mir diese Zeit nicht genommen", erzählter. Zurück in München ging es ans Praktische. Maier musste Aufnahmen, Uraufführung und den Öffentlichkeitsauftritt planen. Er fand die Münchner Symphoniker, die - nach einigen Verzögerungen - unter dem Dirigat von Sonja Lachenmayr seine Suite im Juli in einem Saaleinspielten, wo eigentlich türkische Hochzeiten stattfinden. Die Ästhetik sei zwar etwas eigenwillig gewesen, erzählt er amüsiert, doch sonst habe man keinen Raum gefunden, der groß genug war. Für die Uraufführung hatte Maier das Freisinger Orchester engagiert, ein Termin für den Herbst stand auch schon fest.

"Doch dann hat uns Corona schon wieder reingepfuscht", so der Komponist. Die pandemiebedingten Unsicherheiten hatten Lukas Maier derweil auf eine andere Idee gebracht, seine Arbeit sollte aller Einschränkungen zum Trotz das Licht der Welt erblicken. Also realisierte er seine Orchester-Suite als ein Werk, das auf mehreren Bühnen stattfinden soll. Zusammen mit den Künstlerinnen nutzte der Komponist intensiv die Möglichkeiten des Internets, plante eine Youtube-Uraufführung, betrieb Social-Media-Kampagnen; sogar einen Podcast über das Projekt gibt es nun. So entstand nicht trotz, sondern gerade wegen Corona ein großangelegtes multimediales Projekt, das die Klimakrise aus verschiedenen Ecken beleuchtet. "Ich staune selber, dass daraus so etwas Großes geworden ist", konstatiert Maier.

Ausstellung im Gefängnis

Am 12. März findet in der Freisinger Luitpoldhalle nun die Uraufführung des Stücks statt, endlich live und vor Publikum. Dem Auftritt geht dazu noch eine Kunstausstellung voraus: Noch bis zum 6. März werden neben den vertonten Gemälden auch andere Werke der drei Künstlerinnen im Alten Gefängnis zur Schau gestellt. Es scheint, dass Corona diese Termine nicht torpedieren wird. Doch was die Zukunft bereithält, darauf möchte sich Lukas Maier nicht festlegen, auch im dritten Satz seiner Suite nicht. Die Zukunft, visuell repräsentiert durch eine überflutete Landschaft, hat er zu einem Walzer gemacht; hoffnungsvoll, aber mit reichlich Weltschmerz. Werden wir die Klimakrise überwinden können? Darauf will Maier keine Antwort geben: "Die Erde wird für sich ihren Weg finden. Ob der mit uns Menschen sein wird, das weiß man nicht."

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