Landtagswahl im Landkreis Freising:Aushalten, was der andere zu sagen hat

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Wahlplakate zur Landtagswahl in Bayern an der Bahnhofstraße in Freising. (Foto: Marco Einfeldt)

Viel und oft ist derzeit von der Spaltung der Gesellschaft die Rede. Von den unterschiedlichen Lagern, die sich bekämpfen und sich unversöhnlich gegenüber stehen. Wie kann die Politik dem entgegenwirken und inwieweit ist sie dafür selbst verantwortlich?

Von Birgit Goormann-Prugger, Freising

Fünf Fragen, sechs Direktkandidaten: Die SZ Freising befragt Benno Zierer (Freie Wähler), Helmut Markwort (FDP), Melanie Hilz (AfD), Florian Herrmann (CSU), Alina Graf (SPD) und Johannes Becher (Grüne) zu fünf aktuellen Themengebieten. Diesmal geht es um die Debattenkultur. Der politische Diskurs wird immer provokanter, die Anhänger der einzelnen Parteien und Gruppierungen und Parteien stehen sich in den verschiedenen Lagern unversöhnlich gegenüber. Von einer tief greifenden Spaltung der Gesellschaft ist immer öfter die Rede. Gibt es die schon länger, was sind die Ursachen und was kann die Politik tun, um dem entgegenzuwirken? Und ist die Politik nicht auch ein Stück weit selbst dafür verantwortlich?

Sicher, es ist Wahlkampf, da geht es schon mal ein bisschen härter zu. Aber ist es gut, wenn Florian Herrmann, CSU, jüngst bei der Veranstaltung des Kreisjugendrings vom "Bayern-Gen" spricht, das vor allem die Grünen nicht hätten, weil sie nicht wüssten "wie Bayern tickt"? Ist das nicht auch eine Form von Ausgrenzung? Ist es wirklich wahr, dass in der Gesellschaft gerade "die größte Protestwelle seit Bestehen der Bundesrepublik" rollt, wie Helmut Markwort, FDP, das beobachtet haben will?

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Und muss es einen nicht nachdenklich stimmen, wenn bei dem Auftritt von Katharina Schulze in Freising die Grünen richtig froh sind, dass ihre Spitzenkandidatin im Landtagswahlkampf mal nicht gegen wütenden Trillerpfeifenprotest anreden muss, wie sonst landauf, landab?

Was ist passiert mit der Wählerschaft, warum ist sie so wütend? "Jeder befindet sich in seinem Lager und in seiner Blase und sucht gar nicht mehr den Diskurs mit dem Gegner", so beschreibt das Florian Herrmann und ist mit dieser Aussage auf einer Wellenlänge mit der SPD-Kandidatin Alina Graf, die bei ihren Einsätzen an den Infoständen spürt, "dass die Stimmung sehr aufgebracht ist und wenig Bereitschaft besteht, normale Gespräche zu führen, wenn man unterschiedlicher Meinung ist."

Alina Graf (SPD) hat an den Infoständen eine sehr aufgebrachte Stimmung bemerkt. (Foto: Marco Einfeldt)
Aushalten, was der politische Gegner zu sagen hat: Johannes Becher, Benno Zierer (Mitte) und Florian Herrmann bei der Podiumsdiskussion des Kreisjugendrings in Freising. (Foto: Marco Einfeldt)

"Das kann so nicht weitergehen. Das, was wir erleben, ist nicht nur eine Spaltung der Gesellschaft. In Teilen findet man auch Hemmungslosigkeit, eine Verrohung in allen Bereichen, die nicht nur auf die Politik beschränkt ist", schildert das Johannes Becher. Das gebe es zwar schon länger, aber mit dem Erstarken der AfD nehme er wahr, dass das Selbstbewusstsein derer, die von Hass geprägt seien, zunehme. "Was können wir tun? Die Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen, die sind ja nicht von der Hand zu weisen. Wir werden sie aber letztlich nur miteinander lösen können", analysiert Becher. Die Aufgabe der Politik sei es, einen Wettstreit um die beste Lösung zu gestalten und nicht ständig mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Becher empfiehlt, auch denen zuzuhören, die nicht aus dem eigenen politischen Lager stammen, so wie jüngst bei der Grünen-Veranstaltung mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Reden ließ man da auch Ralf Huber, amtierender Bezirkspräsident des Bayerischen Bauernverbands und Listenkandidat bei den Freien Wählern. "Wir sind nicht immer einer Meinung, aber wir reden anständig miteinander, wie hören uns zu, wir erkennen Schnittmengen und wir erkennen auch Unterschiede. Aber wir respektieren uns. Ich glaube, es ist eine urdemokratische Grundhaltung, immer um die besten Lösungen zu ringen, aber auch die Unterschiede der anderen Ansichten zu sehen und diese auch auszuhalten", sagt Becher.

Vielleicht ist er da gar nicht so weit weg von Florian Herrmann, der die Lage so beurteilt: "Ich habe den Eindruck, man sucht gar nicht mehr den Diskurs mit dem Gegner, jeder hält den eigenen Vogel für den Heiligen Geist und teilweise hat man den Eindruck, manche können es gar nicht mehr aushalten, wenn der andere eine andere Meinung hat." Aber genau dieses Aushalten, das sei doch der Kern von Demokratie.

Helmut Markwort bei der Veranstaltung "Anekdötchen aus dem politischen Leben" im Bayerischen Hof in München. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Jetzt in der Schlussphase des Wahlkampfes sei die Haut bei allen sehr dünn, stellt auch Benno Zierer von den Freien Wählern fest, viele würden über das Ziel hinausschießen, man habe den Eindruck, im Wahlkampf würden alle Dämme brechen. Die Aussagen über den politischen Gegner seien teilweise beleidigend, manches werde sich aus den Fingern gesogen. "Das finde ich bedauerlich", sagt Benno Zierer. Was also tun? Zierer empfiehlt, weiter sachlich zu diskutieren und nicht zu versuchen, politische Gegner ständig anzugreifen. "Vielleicht normalisiert sich das ja im nächsten halben Jahr wieder, man kennt sich ja eigentlich, man ist sich ja nicht fremd", hofft Zierer.

Suche nach der "größtmöglichen krawalligen Form des Protestes"

Alina Graf meint dennoch, "dass man als Politikerin in der Öffentlichkeit eine Riesenverantwortung trägt. Man muss reflektieren, wie verhalte ich mich selber? Wie reagiere ich auf andere Meinung, wie rede ich über andere Parteien, wie rede ich über die Wähler und Wählerinnen?" Auch Helmut Markwort sagt, "die Protestwelle", werde nicht abflachen, wenn man die Wählerinnen und Wähler beschimpfe. Dass die AfD in vielen Teilen Deutschlands bei über 30 Prozent liege, das sei unfassbar. "Das sind Wähler, die wir zurückholen müssen. Die haben vor ein paar Monaten bei Umfragen noch CDU/CSU und FDP gewählt. Die sind jetzt nicht über Nacht zu Nazis geworden. Sie suchen sich einfach die größtmögliche krawallige Form des Protestes. Weil sie insgesamt unzufrieden sind", denkt Markwort.

Der Grund der Unzufriedenheit sei, so Markwort, auch die Politik in Berlin. "Die SPD tut so wenig wie der Kanzler Scholz, die FDP versucht verzweifelt, eine Oppositionsrolle innerhalb der Ampel auszuführen und die Grünen dominieren die Geschehnisse", beschreibt das Markwort. Die Wählerinnen und Wähler würden sich darüber aufregen, dass in alle privaten und persönlichen Lebensbereiche hineinreguliert werde. "Und wir müssen uns alle zusammen ernsthaft und gemeinsam mit dem Thema Migration beschäftigen. Darum strömen die Leute doch alle zur AfD: Aber das Thema wird von den meisten Politikern wie ein heißes Eisen nicht angefasst."

Alina Graf verweist hier einmal mehr auf die Verantwortung, die man als Politiker oder Politikerin habe. "Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht weiter hochkocht. Man darf keine populistischen Aussagen und darf keinen Hass streuen." Als Politiker müsse man auf einer Ebene bleiben, "wo wir immer wieder offen halten: wir können miteinander reden". Aber es sei wichtig, dass die Brandmauer nach rechts stehen bleibe. Auch auf kommunaler Ebene.

Melanie Hilz möchte für die AfD gern in den Landtag einziehen. (Foto: Marco Einfeldt)

Melanie Hilz, Direktkandidatin der AfD, sieht einen Riss, der durch die Gesellschaft geht. Und "wir sollten uns fragen, warum das so ist". Aber nicht Worte hätten die Gesellschaft gespalten, sondern Taten: AfD-Kandidatin nennt hier die "Ausgrenzung von Ungeimpften, hohe Sprit- und Energiekosten und die steigendenden Lebensmittelpreise". Ein höflicher Umgang oder schmeichelnde Worte könnten diese Risse höchstens übertünchen. Nur eine bessere Politik, die sich am Wohl der Menschen orientiere, könne die Spaltung überwinden, sagt sie.

Wie man die Gesellschaft zusammenbringt, das hat nach Meinung von Alina Graf sehr viel mit politischer Kommunikation zu tun und sie erklärt das am Beispiel Ampel-Bashing. Die Regierung müsse einfach besser herausstellen, welche Erfolge sie bereits erzielt habe und was das für die Bürger und Bürgerinnen im Einzelnen konkret bedeute. "Ich höre so oft, die Ampel macht nichts. Aber wenn man dann nachfragt, dann kommen ganz diffuse Aussagen. Das können viele gar nicht genau formulieren. Alina Graf hat den Eindruck, dass die "Politik im Moment sehr gefühlsbasiert" sei. "Man kann aber nicht einfach sagen, das ist schlecht. Man muss sich anpassen und in der Kommunikation darauf eingehen. Wenn jemand sagt, er habe finanzielle Ängste, muss die Politik Lösungen anbieten."

Handeln aus der "Perspektive der normalen Bevölkerung"

"Politik muss der Seismograf der Lebenswirklichkeit sein", sagt dazu Florian Herrmann. Dazu gehöre ein Analyse der Lage, ohne Ideologie und akademische Erhöhung auf der einen Seite, aber auch ohne Wut und Hass auf der anderen Seite. "Politik darf man weder mit dem erhoben Zeigefinger noch mit dem ausgestreckten Mittelfinger machen." Handeln müsse die Politik aus der "Perspektive der normalen Bevölkerung", aus der Sicht der Menschen, die mit einem normalen Einkommen ein normales Leben bestreiten müssten. Den Menschen müsse das Gefühl vermittelt werden: Da gibt es nicht irgendwo eine Blase, die weit weg von ihnen ist.

"Sie müssen das Gefühl haben, die Menschen, die Politik machen, in den Parlamenten und in den Regierungen, die interessieren sich wirklich für unsere Anliegen. Das führt dazu, dass Politik wieder eine stärker integrierende Kraft hat", glaubt Florian Herrmann. Eine Regierung aber, die mit dem Kopf durch die Wand gehe, "weil sie sagt, unsere Politik, so wir das wollen, die ist genau die Richtige", die werde keine Erfolg haben.

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