Rettungsdienste am Limit:"Das System ist krank"

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Viel zu tun hatte im vergangenen Jahr der Rettungsdienst des Freisinger Roten Kreuzes. (Foto: Stephan Jansen/dpa)

Personalmangel, Kostendruck, Pandemie: Die Arbeit von Rettungsdiensten wird immer schwieriger. Ohne die Ehrenamtlichen wäre all das längst nicht mehr zu stemmen.

Von Birgit Goormann-Prugger, Freising

Immer mehr Einwohner, die immer älter werden, immer mehr Großevents, zweieinhalb Jahre Pandemie mit all ihren Folgen, eine steigende Anspruchshaltung in der Bevölkerung, explodierende Energiekosten, zermürbende Verhandlungen mit den Krankenkassen über Kosten, Personalmangel und Hochwassereinsätze: Die Arbeit der Rettungskräfte von BRK, Maltesern, der Wasserwacht, THW oder Navis wird immer schwieriger. So lautet ein Fazit der jährlichen Blaulichtgesprächsrunde mit Staatsminister Florian Herrmann im Weihenstephaner Bräustüberl. Und es wurde klar: Wenn es die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter nicht gäbe, wäre die Arbeit der Rettungskräfte nicht zu stemmen und nicht mehr zu finanzieren.

Was die Rettungskräfte im Moment unter anderem beschäftigt, ist folgende Vorgabe: Ende 2023 endet die vom Gesetzgeber festgelegte Übergangsregelung für Rettungsassistenten. Diese müssen sich zwingend zum Notfallsanitäter nachqualifizieren, wollen sie auch künftig für die Betreuung von Notfallpatienten zuständig sein. Tun sie das nicht oder schaffen sie die Prüfung nicht, ist Schluss. Das wäre jetzt erst mal grundsätzlich kein Problem, schildert das Hubert Böck vom BRK Freising. "Wir bilden unsere Leute ja selber aus, da hätten wir kein Fachkräfteproblem, doch der Kostenträger, die Krankenkasse, gibt uns eine Quote vor und sagt, wir dürfen nur eine bestimmte Anzahl an Notfallsanitätern einstellen."

Viele Kräfte im Gesundheitsbereich fallen aus Krankheitsgründen aus

Dabei sei der Personalmangel bereits jetzt zu spüren. Schon weil viele Kräfte im Gesundheitsbereich aus Krankheitsgründen ausfallen. Corona sei nach wie vor ein Thema. Im Klinikum würden dann Betten abgemeldet, weil das Personal fehle. Der Rettungsdienst könne sich nicht einfach abmelden. "Wir testen unsere Leute jeden Tag, weil ich es nicht verantworten kann, wenn jemand mit Corona im Rettungswagen mitfährt", berichtet Böck. Und jeden Tag sei jemand dabei, der positiv getestet sei, wenn auch noch symptomlos. "Wenn es da nicht die ehrenamtlichen Mitarbeiter gäbe, die einspringen würden, würde das Ganze nicht funktionieren", erzählt Böck weiter. Auf die steigende Zahl der Einsätze und die zunehmende Belastung des Personals reagiert das BRK in Freising mit einer Umstellung der Schichten vom 1. Oktober an. Künftig werde nicht mehr im Zwei-Schicht-System á zwölf Stunden gearbeitet, sondern in drei Schichten á acht Stunden. Eine lange Autofahrt oder ein schwerer Einsatz am Ende einer Zwölf-Stunden-Schicht sei nicht mehr zu verantworten.

Von den ausgebildeten Notfallsanitätern wiederum blieben nicht alle dort, wo sie ausgebildet würden. Sie wechselten beispielsweise zur Berufsfeuerwehr nach München, wo sie verbeamtet würden oder in die freie Wirtschaft, wo sie mehr verdienten.

Kommentar
:Wirklich bewundernswert

Die haupt- und ehrenamtlichen Rettungsdienste erledigen ihre wertvolle Arbeit unter schwierigsten Bedingungen.

Von Birgit Goormann-Prugger

Was den Rettungskräften im Moment zusätzlich Probleme bereitet, ist der Mangel an Standorten für Rettungswagen in der Landeshauptstadt München. "Es gibt ein Gutachten, das besagt, dass in München neun Standorte für Rettungswagen fehlen, was die Krankenkassen als Kostenträger so noch nicht anerkannt haben", erläutert Hubert Böck. Die Folge: Fährt zum Beispiel ein Rettungswagen aus Erding oder Freising einen Notfallpatienten in eine Klinik nach München, kann er über das System dort vom Disponenten der zuständigen Leitstelle geortet werden und wird zu einem nächsten Einsatz in München beordert - und fehlt dann in seinem eigenen Landkreis. "Es ist an so einem Tag fast unmöglich aus München rauszukommen", schildert das ein Vertreter der Malteser. "Das System ist krank", formuliert das Hubert Böck.

Die ehrenamtlichen Rettungskräfte vermissen die Wertschätzung ihrer Arbeit

Dringend angemahnt wurde von den ehrenamtlichen Rettungskräften eine bessere Wertschätzung der Arbeit der ehrenamtlichen Mitarbeiter. "Die machen das ja in ihrer Freizeit, das ist ja ihr Hobby", sagt Hubert Böck. Es werde immer schwieriger, junge Menschen für den freiwilligen Sanitätsdienst am Wochenende bei großen Festivals zu gewinnen, "wo sich die Feiernden das ganze Wochenende wegbeamen und dann kann man sich auch noch beschimpfen lassen", sagt ein Vertreter des BRK in Moosburg. Nicht nur Großereignisse in der eigenen Region müssten abgesichert werden. Hinzu kämen Hilferufe der Rettungsdienste aus ganz Bayern, denen auch das Personal fehle. Immer öfter sagten Ehrenamtliche den freiwilligen Sanitätsdienst am Wochenende ab, weil sie einfach Geld verdienen müssten.

Umsonst ist natürlich die Arbeit der Rettungsdienste nicht zu haben und die steigenden Energiekosten sind auch dort zu spüren. Abgerechnet wird mit den Krankenkassen aber erst am Jahresende. Vorher müssen die Rettungsdienste in Vorleistung gehen. "Und manchmal hat man auch das Gefühl, man muss sogar Geld mitbringen, um helfen zu können", schilderte ein Vertreter der Erdinger Malteser einen Fall nach einem Hochwassereinsatz in Dorfen. "Unsere Ausgaben lagen da unterhalb einer Grenze von 2500 Euro, die als Selbstbeteiligung gilt. Darum haben wir sie nicht erstattet bekommen", erzählt er.

"Wir bringen auch Geld mit", beschreibt Iris Menzinger, Fachdienstleiterin beim Kriseninterventionsteam für die Landkreise Freising, Erding und Ebersberg die Lage. Das Team betreut Angehörige in einer psychischen Ausnahmesituation nach einem plötzlichen Todesfall eines Familienmitglieds. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter fahren dann mit dem Privatfahrzeug oft weite Strecken zum Einsatz. "Die Spritpreise steigen, wir können das nicht abrechnen, auf Dauer können wir uns das nicht mehr leisten", sagte sie. Die Einsätze würden nach zweieinhalb Jahren Pandemie immer belastender. Ihr Eindruck: "Die Menschen sind sehr dünnhäutig geworden, alle sind durch." Bei der Suche nach Nachwuchskräften hat das KIT das Problem, dass die Mitarbeiter nicht jünger als 23 Jahre alt sein dürfen. Die Ausbildung sei überdies langwierig. "Und Remmidemmi mit Blaulicht können wir auch nicht bieten".

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