Lernpädagogin über Landleben:"Die Familien sind nicht intakter"

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In der Gemeinde Fahrenzhausen gibt es viele schöne Spielplätze. Die Initiative zu deren Gestaltung kam von Carolin Patock, Leiterin der offenen Gesamtschule in Haimhausen. Sie wohnt in Fahrenzhausen. (Foto: Marco Einfeldt)

Carolin Patock erklärt, warum die Jugend auf dem Land heutzutage auch nicht mehr "brav" ist - und warum die Ortsteile von Fahrenzhausen fast alle so schöne Spielplätze haben.

Interview von Alexandra Vettori, Fahrenzhausen

Carolin Patock ist Leiterin der offenen Ganztagsschule in Haimhausen. Auch in ihrer Heimatgemeinde Fahrenzhausen setzt die 37-jährige Mutter Akzente in der Kinder- und Jugendarbeit.

Die Jugend auf dem Land galt früher als die brave Jugend, im Gegensatz zur städtischen Jugend. Ist das immer noch so?

Patock: Ich glaube nicht, vor allem wenn man zum Beispiel Fahrenzhausen mit Freising vergleicht. Im Vergleich mit München ist es in einigen Vierteln vielleicht anders. Generell aber kann man nicht sagen, dass die Jugend auf dem Land weniger Probleme hat. Es gibt Drogen, es gibt Alkohol und auch den Konsum von Dingen und Medien gibt es auf dem Land ganz genauso. Auch die Familien sind nicht intakter. Die Mütter in ländlicheren Orten arbeiten mittlerweile auch fast alle, das ist schon eine finanzielle Frage. Die Vorstellungen vom heilen Landleben sind veraltet. Und da muss man auch nicht traurig sein. Denn es war dort oft auch so, dass die Kinder Prügel bekamen, wenn sie nicht pariert haben. Dass Stadt und Land immer gleicher werden, ist auch nicht nur wegen der sozialen Medien und des Internets, sondern ganz einfach dadurch, dass viele Leute aus der Stadt auf's Land ziehen und sich alles vermischt.

In einigen der 17 Ortsteile von Fahrenzhausen gibt es wunderschöne Spielplätze, in anderen wird geplant und bald wieder gewerkelt. Die Idee war Ihre, wie kam es?

In Haimhausen gibt es das schon lange, dass die Spielplätze in Partizipation mit den Ortsansässigen gebaut werden. Ich habe gesehen, was die für schöne Spielplätze haben, wohne mit meinen Kindern aber in Fahrenzhausen. Schon vor einigen Jahren hat mein Vorgänger im Amt sich mit den Jugendreferenten der Ortschaften getroffen. Das waren Christian Kieslinger und Hedwig Messner. Sie waren Feuer und Flamme für die Idee und haben das voran getrieben. Die haben dem Gemeinderat klar gemacht, in was für einem katastrophalen Zustand die Spielplätze sind. Dann gab es den ersten Aufruf, dass man mit den Bewohnern ein Spielplatzkonzept entwickeln will. Nachdem uns der Kollege verlassen hat, habe ich das übernommen und gemerkt, wie viel Spaß mir das macht.

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Wie ist es dann weiter gelaufen?

Es wurde ein Budget vom Gemeinderat genehmigt, 50 000 Euro pro Jahr über fünf Jahre. Wir haben das Budget nach den Zahlen der Kinder auf die Ortschaften aufgeteilt. Ganz vorne waren Fahrenzhausen und Unterbruck, was ja der Hauptort ist. Aber wir waren doch überrascht, dass in Viehbach-Bachenhausen 91 Kinder im Alter bis 13 Jahren leben, Weng hat 47 Kinder, Kammerberg sogar 103. Die erste Ortsgruppe, die sich gebildet hat, war Lauterbach. Die haben gleich Vollgas gegeben und einen Spielplatzplan erstellt. Auch Jarzt und Appercha und Weng waren sehr aktiv. 2017 haben wir dann mit Lauterbach angefangen. Es musste noch auf so Sachen wie Fallschutz und Abstandsflächen geachtet werden, doch die Kooperation mit den Ortsansässigen war super. Wir haben eine Seilbahn, ein Tipi, einen Marterpfahl und einen Sandkasten mit Wasserpumpe gebaut. Da war ein unglaubliches Engagement da. Als beim Graben für die Schwengelpumpe einfach kein Wasser kam, haben sie einen Tank besorgt, eingegraben und die Schwengelpumpe da dran gebaut. Und die Lauterbacher Feuerwehr befüllt den jetzt, im Sommer bis zu einmal die Woche. Das wird auch alles total liebevoll gepflegt. Das ist genau das, was wir bewirken wollten. Toll ist auch, dass die Kinder überall einbezogen waren, sowohl bei den Wunschlisten, als auch bei der Planung und auch beim Bau.

Wie geht es weiter?

Bis 2022 haben wir noch ein Budget. In Kammerberg und Weng sind wir fertig, da haben sich die Leute einen Fun Court mit Kunstrasen gewünscht, den gibt es schon, jetzt kommt noch eine Grillstelle. Viehbach und Bachenhausen haben einen Spielplatz zwischen den Dörfern, der Jarzter Spielplatz ist eher so ein Ausflugsspielplatz weiter draußen, der wird jetzt zum Thema "Dschungel" umgestaltet. Ein Vorteil in den kleinen Orten ist, dass es da viele Höfe gibt und uns die Landwirte mit ihren Maschinen unterstützen. Was wir auch festgestellt haben, ist dass es in manchen Orten, Jarzt oder Appercha etwa, fast keine Kinder mehr gibt, und wenn doch, haben alle große Gärten, die voll ausgestattet sind. Deshalb hat man sich dort einen Treffpunkt mit Feuerstelle gewünscht.

In der 4000-Einwohner-Gemeinde Fahrenzhausen wird es bald einen Waldkindergarten geben. Das ist aber schon ungewöhnlich für eine Landgemeinde...

Ja schon, aber der Bedarf ist grundsätzlich da. Auch im städtischen Umfeld ist ein Waldkindergarten ein Nischenprodukt, das spricht nicht die breite Masse an. Aber in der jüngeren Elterngeneration findet ein Umdenken statt in Richtung Nachhaltigkeit, Naturbewusstsein, Entschleunigung, weg vom Konsumdenken. Die Waldkindergartengruppe hat von der Gemeinde einen Bauwagen als Unterschlupf bekommen, und wenn ganz schlechtes Wetter ist, können wir auch in den Jugendtreff gehen. Die Idee für das Angebot ist aber aus der Not entstanden. Voriges Jahr hat es kurz so ausgesehen, als würde die Gemeinde nicht alle Kindergartenkinder unterbringen. Wir haben überlegt, was man mit relativ wenig Aufwand machen kann, da lag der Waldkindergarten nahe. Träger wird der Zweckverband Jugendarbeit sein. Das ist dann unser erster Kindergarten. Wieder war die Größe von Vorteil: Dadurch, dass wir so einen großen Personalstamm haben, waren sofort welche da, die sich für die Idee, draußen zu arbeiten, interessierten. Die Anmeldung für die Eltern ist am Tag der zentralen Kindergartenanmeldung am 11. März im Alten Wirt.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten für die Kinder und Jugendlichen in Fahrenzhausen, was wäre das?

Das wäre, ganz klar, ein neuer Jugendtreff. Der jetzt ist miniklein, das war ein früheres Bankhäusl, im Endeffekt besteht es nur aus einem Raum. Da gibt es keinen Bandübungsraum oder ähnliches. Geöffnet ist er an zwei Tagen die Woche, im Schnitt kommen 40 Jugendliche im Monat. Ja, was braucht die Jugend? Dringend einen Raum, in dem sie feiern kann. Das Juz in Indersdorf etwa ist fast jedes Wochenende vermietet. In Fahrenzhausen gibt es einen großen Musikverein, aber wo geht die Punkrock-Band hin, die üben will? Da fehlen Gebäude, der Keller im alten Rathaus wäre vielleicht was. Was es gibt und was immer eine Besonderheit der Jugend auf dem Land ist, sind die Bauwagen. Die stellen die Jugendlichen auf Grundstücke befreundeter Bauern. Das ist super, weil sie sich selbst organisieren. Aber andererseits sind sie da völlig unbegleitet.

© SZ vom 24.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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