Europawahl 2019:Garantin für Frieden und Freiheit

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Auch zwei Freisinger kandidieren für das Europa-Parlament: Benedikt Flexeder, CSU, und Reinhard von Wittken, Grüne, schildern, warum die EU so wichtig ist und welche Herausforderungen zu bewältigen sind.

Interview von Katharina Aurich und Nadja Tausche

Zwischen dem 26. und 29. Mai wählt Europa ein neues Parlament. Auch zwei Kandidaten aus dem Landkreis Freising treten an: Benedikt Flexeder (CSU) und Reinhard von Wittken (Grüne). Im SZ-Gespräch erzählen sie, wie ihre Chancen stehen, warum Europa jeden Freisinger betrifft und warum sich die EU nicht nur auf den Brexit konzentrieren darf.

SZ: "Europa betrifft mich nicht" - was würden Sie dieser Aussage eines Freisinger Bürgers entgegensetzen? Wo zeigt sich Europa im Landkreis?

Reinhard von Wittken: Wenn die EU scheitert, dann scheitert unser gesamter Lebensentwurf. Denn die EU-Entscheidungen betreffen unsere Lebensqualität. Im Landkreis Freising zeigt sich Europa zum Beispiel am Europäischen Künstlerhaus, dem Schafhof, der fördert den kulturellen Austausch. Vor allem aber hat die dritte Startbahn am Münchner Flughafen europapolitischen Bezug. Unser Nein zur dritten Startbahn bedeutet immer auch ein Ja zu nachhaltiger Mobilität auf europäischer Ebene: Wir müssen das europäische Schienennetz ausbauen.

Mager bestückt ist derzeit noch die Plakatwand vor dem Freisinger Rathaus, auf der sich Kandidaten für die Europawahl vorstellen können. (Foto: Andreas Gebert)

Benedikt Flexeder: Jede dritte kommunale Entscheidung fußt auf einer EU-Gesetzgebung. EU-Fördergelder stecken überall drin, auch wenn man es nicht sieht. Sogar bei uns in Inkofen zeigt sich Europa, an einer Streuobstwiese, die durch EU-Fördergelder mitfinanziert wurde.

Warum kandidieren Sie bei der Europawahl?

Von Wittken: Wir erleben zurzeit eine Renaissance des nationalstaatlichen Denkens. Vieles, was wir für sicher hielten, gerät unter Beschuss: der respektvolle Umgang miteinander, die Freiheit, in der wir leben. Ich möchte den Bürgern das Versprechen Europas wieder mehr bewusst machen, dass seine Bürger in sozialem Frieden und in einer Demokratie leben.

Flexeder: Es gibt große Veränderungen in der EU. Man sieht am Brexit, was passiert, wenn Populisten und Nationalisten die Oberhand gewinnen. Die Menschen wurden falsch aufgeklärt, manchmal zu abstrakt. Mein Anspruch an Politik ist anders: Ich möchte den Menschen die EU erklären, sodass sie sie mehr schätzen.

Wie stehen Ihre Chancen, tatsächlich ins Europaparlament einzuziehen?

Flexeder: Meine Chancen sind schlecht. Ich kandidiere trotzdem, weil ich gerne mit Menschen diskutiere und mir ihre Sorgen anhöre.

Von Wittken: Es wird ein starkes grünes Ergebnis geben, die Grünen erhalten eventuell einen Europabonus. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich hinein komme.

Was haben Sie im Wahlkampf im Landkreis konkret geplant?

Von Wittken: Es wird einen Europa-Frühschoppen geben, wo wir über kommunale Themen reden. Außerdem planen wir ein Gründonnerstagskabarett und Infostände. Auch die Grüne Jugend ist im Einsatz. Ich bin bayernweit unterwegs.

Flexeder: Bei uns wird es zum Beispiel die Europa-Lounge geben, das ist ein offenes Treffen, bei dem wir über das Thema Europa reden. Wir machen auch Haustürwahlkampf. Ich bin dafür in ganz Oberbayern unterwegs, im Mai werde ich mich dann vor allem auf Freising konzentrieren. Für uns ist diese Europawahl so wichtig wie die Bundestags- oder Kommunalwahl.

Was sehen Sie als größte Herausforderung für Europa in nächster Zeit?

Flexeder: Dass Europa wieder zusammenkommt, dass wir einen friedlichen Austausch haben. Wir müssen auf Osteuropa aufpassen und dürfen uns nicht nur auf Großbritannien konzentrieren.

Benedikt Flexeder, 29, kommt aus Haag an der Amper und arbeitet als Elektriker. In der CSU ist er seit dem Jahr 2011 aktiv. (Foto: Andreas Gebert)

Von Wittken: Europa muss seine innere Zerrissenheit überwinden. Es gibt viele Herausforderungen, die sich nicht in nationalen Grenzen denken lassen: die Digitalisierung, der Arbeitsmarkt.

Die Agrarpolitik ist der größte Haushaltsposten der EU. Sollte man Agrarsubventionen stärker an Auflagen zum Umweltschutz knüpfen?

Von Wittken: Das ist eine Kernforderung von uns Grünen. Wir fordern eine Agrarpolitik, die Agrarsubventionen nicht nur an die Fläche koppelt. Gleichzeitig müssen wir die kleinbäuerlichen Strukturen erhalten und dürfen die ökologische Frage nicht gegen die Bauern ausspielen.

Flexeder: Für die Umwelt wäre es gut, wenn man Subventionen auch an Umweltauflagen koppeln würde. Aber mit europäischen Agrarsubventionen wird zum Teil ziemlich Schindluder betrieben. Gerade Österreich ist ein Vorreiter, wenn es darum geht, Subventionen einzustecken, die ihnen eigentlich nicht zustehen.

Das Volksbegehren zum Artenschutz war in Bayern extrem erfolgreich. Wäre hier ein europaweiter Vorstoß möglich?

Von Wittken: Das Volksbegehren hat ein internationales Presseecho hervorgerufen. Insofern glaube ich, dass es eine Vorbildfunktion haben kann für Nachfolge-Volksbegehren. Ein einleuchtendes Beispiel, um auf europäischer Ebene etwas für den Klimaschutz zu tun: grenzüberschreitende Biotope. Und warum besteuern wir Plastik nicht stärker? Wir Grünen fordern auf Europa-Ebene eine solche Steuer, um die Plastikflut einzudämmen. Wie hoch die sein soll, haben wir allerdings noch nicht festgelegt. Und auch CO₂ muss entsprechend besteuert werden.

Reinhard von Wittken, 31, promoviert an der TU München in Weihenstephan. Seit 2015 engagiert er sich bei den Grünen. (Foto: Andreas Gebert)

Flexeder: Wobei man da sagen muss: Steuerfragen sind Ländersache und bedürfen im Europäischen Rat Einstimmigkeit. So einfach wird man das nicht umsetzen können. Wir haben auf europäischer Ebene gerade eine inflationäre Nutzung von Klimazertifikaten, da sollte man den Markt begrenzen. Meiner Meinung nach sollte jedes Land für sich die Regeln festlegen. Aber gewisse Umwelt- und Artenschutzmaßnahmen sollten in der Europäischen Union einen neuen Stellenwert bekommen. Ich würde sagen: Gehen wir kleine Schritte, was das angeht.

Eine Forderung im Volksbegehren war, 30 Prozent der Landwirtschaft auf Bio umzustellen. Das könnte man europaweit so kaum durchsetzen.

Flexeder: Quasi jede Partei hat sich zum Ziel gesetzt, das Klima zu schützen. Wo wir unterschiedlicher Meinung sind, ist wie der Weg ausschaut. Es gibt da recht radikale Vorschläge, gerade was den Biomarkt angeht. Die CSU dagegen sagt, wir müssen auf Dialog setzen. Wir müssen das Ganze verträglich für die Bauern hinbekommen - und ich kann das nicht reglementieren, während auf der anderen Seite die Verbraucher nicht mitziehen.

Von Wittken: Es bedarf eben entschiedener Schritte. Ich würde mir wünschen, dass die CSU nicht immer nur reagiert, wenn sie merkt, dass ein Thema eine gewisse Bedeutung in der Bevölkerung bekommen hat, und dann aufspringt. Die Grünen sind das Thema aktiv angegangen. Die Zeit der Freiwilligkeit war lange, aber irgendwann ist sie vorbei.

Flexeder: Wer mit dem größten Artensterben seit den Dinosauriern geworben hat, war im Landtagswahlkampf vor allem die ÖDP. Wir von der CSU-Seite agieren nicht aus der Opposition, wir müssen als Volkspartei alle im Blick haben. Da kommen eben gewisse Sachen nicht ganz so poppig, nicht ganz so radikal rüber.

Muss die EU eingreifen, wenn Länder demokratische Spielregeln aushöhlen?

Von Wittken: Wir müssen darüber nachdenken, was die EU tun kann, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Eine Möglichkeit ist, Gelder nicht mehr an die Regierung auszuzahlen, sondern direkt an Kommunen. So unterstützen wir nicht die Tendenz etwa von Viktor Orbán, in eine illiberale Demokratie zu gehen.

Flexeder: Es gibt gewisse Grundwerte in der EU, denen sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet. Dazu gehört eine unabhängige Justiz. Wenn diese Werte verletzt werden, muss die EU eingreifen.

Zum Schluss: Was bedeutet das Brexit-Chaos für Europa?

Von Wittken: Der Brexit führt uns täglich vor Augen, was passiert, wenn Europa scheitert. Jetzt wird offensichtlich, dass anti-europäische Kräfte eine Stimmung ausgenutzt haben, aber eigentlich nie einen Plan hatten. Es ist eine verantwortungslose Politik, die da betrieben wird. Aber es ist auch klar, dass die Briten in der EU jederzeit wieder willkommen wären.

Flexeder: Was da momentan passiert, ist die beste Werbung für die Europawahl. Man sieht, wie einfach und schnell es gehen kann, wenn man nicht zu einer wichtigen Wahl geht. Diese Europawahl ist auch eine wichtige Wahl - wenn man nicht hingeht, steht man am nächsten Tag eben vielleicht vor einem Scherbenhaufen.

© SZ vom 18.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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