Flüchtlinge in München:"Ich bin Uigurin und Münchnerin"

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"Das, was ich erlebt habe, hat mich anscheinend sehr geprägt", sagt die 28-jährige Suli Kurban. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Als Kind flüchtete Suli Kurban aus China. Heute studiert sie an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) und dreht Filme - über Flüchtlinge.

Von Kerstin Kerscher, München

"Abschied nehmen mochte ich nie", sagt die Frau mit den langen schwarzen Haaren mit fester Stimme. Suli Kurban sitzt im Scheinwerferlicht auf der Bühne des Giesinger Bahnhofs auf einem schwarzen Stuhl, die Beine übereinander geschlagen. Auf dem kleinen Tisch vor ihr liegt ein schmales Buch. Es ist die Geschichte ihrer Vergangenheit, von der Flucht als Kind aus China. Es ist aber auch die Geschichte ihrer Zukunft, in München, als Filmemacherin.

Suli Kurban hat ihre Geschichte für ein Buchprojekt von Refugio München, dem Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer, aufgeschrieben. Im Sammelband "Die Hoffnung im Gepäck" erzählt die 28-Jährige neben 16 anderen Geflüchteten aus unterschiedlichen Ländern von ihrem Schicksal.

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Als Elfjährige ist sie 1999 mit ihrer Mutter und ihrem Bruder aus China nach München geflohen, der Vater kam zwei Jahre später nach. Sie sind Uiguren. Ungefähr zehn Millionen Menschen gehören diesem muslimischen Turk-Volk an, die meisten von ihnen leben in dem autonomen Gebiet Xinjiang im Nordwesten Chinas. Neben Tibetern und Mongolen zählen die Uiguren zu den größten ethnischen Minderheiten in China, werden diskriminiert und unterdrückt.

Wie alle Geschichten in dem Band macht Kurbans Geschichte Hoffnung. "Ich bin Uigurin und ich bin Münchnerin", sagt sie heute. Sie ist angekommen, will hier nicht mehr weg. Seit 2011 studiert Kurban Dokumentarfilmregie an der renommierten Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF), sie hat ihre Leidenschaft und ihren Platz gefunden. Doch der Weg dorthin war nicht leicht.

Beim Vorlesen auf der Bühne erlebt Suli Kurban das Vergangene noch einmal, versetzt sich in die Zeit zurück. Sie schmunzelt, wenn es um ihren Schlepper Mischa geht, der zwar furchterregend aussah, eigentlich aber sehr herzlich war. Über ihre Ankunft an der Erstaufnahmeeinrichtung in München blickt sie auf: "Ich weiß noch, wie wir zu den Sicherheitsbeamten gegangen sind und ,Asyl' gesagt haben. Mehr konnten wir auf Deutsch nicht sagen." Das Publikum ist still, gespannt, bewegt. Schnell wird klar: Das Leben der Filmemacherin scheint selbst wie ein Film.

Auf der Theaterbühne merkt sie: "Ich muss mich nicht verstecken"

Sechs Jahre lang lebt die Familie in einer Asylbewerberunterkunft in Fürstenried. Hellblaue Baracken, außenrum ein Maschendrahtzaun - keine freundliche Architektur zum Wohlfühlen, sagt Kurban. Das Ankommen fällt ihr schwer, die Sprache, die Isolation, Probleme in der Schule. Durch Zufall wird beim Straßenfußball ein Dokumentarfilmer auf sie und ihre Freundin aufmerksam, dreht einen Film über sie. Durch Zufall stolpert sie in ein Casting bei den Kammerspielen, spielt in dem Theaterstück Fluchten 1-4 mit.

Auf der Bühne erkennt sie: "Ich kann was, ich brauche mich nicht mehr verstecken." Durch Zufall werden bei einer Aufführung Redakteure des Bayerischen Rundfunks auf sie aufmerksam; laden sie ein, Radiobeiträge für das Jugendprogramm zu machen. Einer ihrer Beiträge gewinnt den Europäischen Civis-Medienpreis. Suli Kurban schafft es ohne Abitur an die HFF.

Die Lesung mit Kurban ist der Auftakt zu einer Reihe von Veranstaltungen, die unter dem Titel "Frauen auf der Flucht - Impulse des politischen Unbehagens" die Geschichten von geflüchteten Frauen erzählt.

Dabei wollte Kurban lange Zeit mit ihrer Vergangenheit nichts zu tun haben: "Ich habe mich geschämt, habe verheimlicht, wo ich herkomme und wo ich wohne. Damit meine Mitschüler nichts merken, bin ich aus dem Bus immer schon eine Station früher ausgestiegen und das letzte Stück zum Asylbewerberheim zu Fuß gelaufen."

Mittlerweile aber hat sie gemerkt: "Egal, wie viele Ecken ich umgehe, ich komme immer wieder zurück. Das, was ich erlebt habe, hat mich anscheinend sehr geprägt." Acht Filme hat sie bisher gemacht, mehr als die Hälfte davon beschäftigen sich mit Migration und Flucht.

Auch in ihrem aktuellen Projekt, dem "Dreier", spiegelt sich ihre eigene Geschichte. Er ist der dritte von vier Filmen, die die Studenten an der HFF im Lauf ihres Studiums drehen müssen. Einen Tag vor der Lesung, im Foyer der Hochschule, erzählt Kurban, worum es geht in ihrem neuen Film. Sie hat gerade mit der Cutterin das letzte Material vom Dreh eingespielt.

Ist ihr etwas wichtig, weiten sich beim Sprechen ihre dunklen Augen. Und die Geschichte hinter ihrem dritten Studienfilm ist ihr sehr wichtig, weil sie eben so eng verwoben ist mit ihrer eigenen: Der Film handelt von einem jungen irakischen Kurden, der als Kind mit seiner Familie nach Deutschland floh. Sein Name ist Saran Kassem, er wächst in der Asylbewerberunterkunft in Fürstenried auf - genau wie Kurban. Der Junge ist ein Jahr älter als Kurban, ein Freund ihres Bruders. Sie spielen zusammen, verbringen in der Enge der Unterkunft viel Zeit miteinander.

Als Jugendlicher gerät Saran Kassem auf die schiefe Bahn, nimmt Drogen, landet im Gefängnis. Nach elf Jahren in Deutschland wird er abgeschoben in seine alte, fremde Heimat. Von dort will er wieder zurück, sieht seine Zukunft in Deutschland. Anfang vergangenen Jahres steigt er in ein kleines Fischerboot, das ihn über das Mittelmeer bringen soll. Die Überfahrt überlebt er nicht.

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Im Film begibt sich Kurban auf Spurensuche, sie will der Geschichte ihres Kumpels Saran nachspüren. Dazu ist sie im vergangenen Sommer nach Kurdistan gereist und hat auch in München die Orte besucht, an denen sie zusammen ihre Kindheit und Jugend verbracht haben. Der Film ist damit auch eine Reise in ihre eigene Vergangenheit. Sie habe viele Mentoren gefunden, die sie anleiteten, sagt Kurban, Saran habe nicht so viel Glück gehabt, sei aus dem System gefallen.

Kurban sagt: "Ich bin nicht die süße Uigurin, nicht nur die Migrantin. Ich bin Suli Kurban, die Filmemacherin." Deshalb versucht sie auch, andere Themen zu finden. Aber Migration und Flucht sind ihre Lebensthemen. Dagegen will sie sich auch gar nicht wehren; durch die Filme habe sie ihre Sprache gefunden und einen Weg, sich auszudrücken, auf Schicksale und Probleme aufmerksam zu machen. "Andere können vielleicht nicht darüber sprechen. Und wenn es hilft, wenn es zu Dialog und Verständnis beiträgt", sagt Kurban, "bin ich gerne die Migrantin, die viel redet." Und viel filmt.

Die nächste Veranstaltung der Reihe "Frauen auf der Flucht - Impulse des politischen Unbehagens" findet am 16. März statt. Dann wird von 20 Uhr an im Giesinger Bahnhof die Afghanin Wahida Samad von ihrer "Hoffnung auf ein besseres Leben" berichten. Informationen unter: www.frau-kunst-politik.de/projekte und www.giesinger-bahnhof.de

© SZ vom 15.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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