Pop:Mit Liebe gegen den Weltschmerz

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Alles ist eine Frage der Inszenierung: Das beginnt bei "Florian Paul und die Kapelle der letzten Hoffnung" schon bei den Bandfotos. (Foto: Florian Paul & Die Kapelle der letzten Hoffnung)

"Auf Sand gebaut" heißt das neue Album von Florian Paul und seiner "Kapelle der letzten Hoffnung" - ein Pop-Jazz-Varieté-Werk, das virtuos die vergangenen zwei Jahre einfängt.

Von Eva Goldbach , München

Kaffee, Kippe und eine leicht heisere Stimme. So klingt die Stimme nach einem guten Wochenende an einem Montagmorgen um 10 Uhr. Ist vielleicht aber auch die Stimmung, man könnte sagen: der Vibe von Florian Paul, der während seiner Tournee in München pausierte. Florian Paul, das ist der mit der vielleicht melodramatischsten, rauchigsten Stimme Münchens, die auf dem Album "Auf Sand gebaut" (Millafon) von ihm und der Kapelle der letzten Hoffnung zu hören ist.

Ziemlich locker erzählt Florian Paul gerne und viel, über den Alltag in München, seinen Musikfilm und die Herausforderungen des Musikgeschäfts. Er wirkt wie der lässige Typ von Nebenan, von dem man sich gerne mal eine Kippe schnorrt. Das machen auch gleich zwei Leute innerhalb einer halben Stunde. Seit einigen Jahren lebt der Musiker in München, ursprünglich kommt er aus dem Ruhrgebiet, fast dem Bergischen Land. Eine ganz andere Mentalität. Dass der BR ihn fälschlicherweise als Münchner, der die hiesige Kulturszene liebt, vorgestellt hat, nimmt er mit Humor, ist aber nicht ganz korrekt. Denn auch wenn Paul noch so lässig von München schwärmt und "man die Leute in München recht schnell kennt", stellt er fest: "Wenn du kein Bayer bist, wirst du keiner mehr sein." Und das ist auch ok.

Alle Bandmitglieder sind ausgebildete Filmmusiker

Nach seinem Filmmusikstudium bei Gerd Baumann ist Florian Paul in der Musikszene - nicht nur Münchens - unterwegs. Florian Paul und die Kapelle der letzten Hoffnung ist der lange dramatische Name seiner Band, er und die anderen Mitglieder sind ausgebildete Filmmusiker. Das erklärt "Auf Sand gebaut", ein vielseitiges, dramatisch erzähltes Album. Auffallend minimalistisch kommt das gelbe Cover des Albums daher, zu sehen ist eine behandschuhte Hand, eine weiße Lilie zwischen Zeige und Mittelfinger. Neben der imposanten Selbst-Inszenierung der Band im Look der Zwanzigerjahre und umfangreichen filmmusikalischen Geschichten überrascht das Album mit seiner lauten Bescheidenheit, die völlig untertreibt, denn "Auf Sand gebaut" ist virtuos und wert, dass man sich ihm aufmerksam widmet.

Paul ist reflektierter und ernster als auf der letzten Platte "Dazwischen". Die Musik wirkt mit unterschiedlichen Genre-Einflüssen, zum Beispiel jazzigen Passagen, klassischen Elementen und nachdenklichen Texten, wie aus der Zeit gefallen. Musik, die ohne Trends und Genre-Labels überzeugt ist eine Leistung, sie muss sich aber auch durchsetzen. Kurzfristig sei das aber schwierig, so Paul. Auch in Zeiten von Spotify. Zwar gebe es "Acts, die wie Pilze aus dem Boden wachsen und dann schnell wieder verschwinden", sagt Paul, Musiker können einen Trend mitmachen, wenn sie in den Zeitgeist passen. Zeitlosen Bands aber fehlt der Zug, auf den sie aufspringen können, beobachtet er und raucht die nächste Kippe.

Das Album spiegelt die intensiven vergangenen zwei Jahre wieder

Ganz zeitlos ist "Auf Sand gebaut" inhaltlich jedoch nicht, bei Songtiteln wie "Zeitgeist" wäre anderes auch nicht zu erwarten. Das Album spiegelt die intensiven, vergangenen zwei Jahre wieder. Die Sorge, dass "Auf Sand gebaut" nicht mehr aktuell sein würde, ist unbegründet. Heute ist das Album in einer Welt voller Krisen und Veränderungen vielleicht zeitgemäßer als beabsichtigt. Dennoch präsentiert die Band Stücke über Liebe. Balladen in denen es um die Abkehr von der Außenwelt und Zuwendung zum Inneren geht. Beinahe liebevoll und überhaupt nicht bitter singt Florian Paul Texte wie: "Der Himmel brennt, die Flammen schlagen schon ans Fenster/ und es heulen die Sirenen in der Nacht/ mach das Licht aus, schau die Welt geht endlich unter/ doch wir haben uns eine neue ausgedacht." Im Weltschmerz liegt bei Florian Paul die Besinnung auf das, was eigentlich wichtig ist: Liebe und Zweisamkeit. Und das zieht doch für gewöhnlich immer, oder?

So lebt das Album auch von der Detailbeobachtung und spiegelt die Realität von Generation Y. Paul, der sich selbst vielleicht als einen der Schlimmsten dieser Generation wahrnimmt, regt sich in seinen Texten darüber auf: "Warum bauen die ihr scheiß Parkhaus direkt vor mein Fester? / Und seit wann schaut aus dem in der Straßenbahn keiner mehr raus? / Warum gibt es auf dieser Party schon um elf kein Bier mehr?", singt er in "Zeitgeist".

Diesen Sommer starten Florian Paul und die Kapelle der letzten Hoffnung auf Festivals in Bayern, die Vorverkäufe der Tour waren weniger gut als erwartet, das dämpft die Stimmung. Es kommt viel zusammen, Corona, Unsicherheit, die Bereitschaft Tickets zu kaufen. Immerhin finden endlich wieder Festivals statt, und es herrscht viel Programm-Stau, nächstes Jahr spielt die Band dann auf vielen Open-Airs - hoffentlich. Die Resonanz auf das Album sei ja sehr positiv gewesen. Worauf sich Fans freuen können, ist der Musikfilm zum neuen Album, der in aufwändigen Theater-Bühnen-Settings, Zwanzigerjahre-Kostümen und virtuosen Tänzen, "Auf Sand gebaut" visuell umsetzt und der im September veröffentlicht wird. Dank Crowdfunding und kulturellen Förderungen kann dieses Projekt verwirklicht werden. Nach dem zweiten Kaffee und der letzten Kippe geht es wieder nach Hause. Am nächsten Tag geht die Tour weiter. Hoffentlich begeistert Florian Paul bald auch mehr Festivalbesucher. Denn seine Musik ist zwar aus der Zeit gefallen, aber sehr tanzbar.

Alle Konzerttermine unter www.florian-paul.de

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