Theaterkritik:Mit Bissfreude

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Eigentlich geht es nur um einen Grill. Doch der sorgt für Zündstoff unter den Tennis-Partnern Erol (Jörg Pauly) und Melanie (Yael Hahn) sowie Vereinspräsident Heribert (Gerhard Wittmann) und seinem Vize Matthias (Thomas Stegherr, von links). (Foto: Sebastian Back)

Die Satire "Extrawurst" ist der Renner auf vielen deutschsprachigen Bühnen. In München inszeniert sie Michael von Au in der Komödie im Bayerischen Hof.

Von Barbara Hordych

Die delikate Versuchsanordnung erinnert an die des französischen Gesellschaftsstücks "Der Vorname", in dem sich scheinbar aufgeklärte Gemüter über die Vergabe des Namens "Adolf" erhitzen. In dem Stück "Extrawurst" des Autorenduos Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob, die auch an Fernsehformaten wie "Stromberg" und der "Heute Show" mitwirkten, ist es indes die Anschaffung eines Grills, die während einer Sitzung in einem Tennisclub irgendwo in der deutschen Provinz die Gemüter zum Köcheln bringt.

In schön spießiger Gemütlichkeit mit Holztheke und Nudelsalat ist das Vereinsheim in der Komödie im Bayerischen Hof eingerichtet. Als weltoffen empfindet man sich im Club TC Grün-Gold Lenheide dennoch, wie auch nicht, denn mit Erol (Jörg Pauly) ist es ein türkischstämmiger Rechtsanwalt, der gemeinsam mit Melanie (Yael Hahn) im Vorzeige-Doppel den sportlichen Ruhm des Vereins mehrt. Dass Melanie dazu die Ehefrau des weniger ballbegabten Torsten (Heiko Ruprecht) ist, eines Werbetexters, der sich in ironischer Distanziertheit gefällt, stört dabei niemanden.

Vorbildlich integriert ist jedenfalls dieser Erol, wenn da nicht der Umstand wäre, dass ihm als Moslem verboten ist, die Schweinewürste zu essen, die demnächst auf den Grill kommen sollen. Doch für ihn und seine Familie sei eine Feier ohne Wurst kein Problem, erklärt Erol entspannt. Diesen einseitigen Verzicht will Melanie aber nicht akzeptieren, weshalb sie für die Anschaffung eines Zweitgrills plädiert. Dagegen schlägt der sparsame Vereins-Vize Matthias (Thomas Stegherr) die weitere Verwendung des alten Grills allein für Wurst halal vor. Aber hat er den nicht gerade ersetzen wollen, weil bei ihm schon Ruß und Rost durchschmeckten, beides auch noch Krebs auslösend? Da hat es schon ein Geschmäckle, genau dieses Modell für das einzige Vereinsmitglied mit Migrationshintergrund zu verwenden, findet Melanie. Um die erregten Gemüter zu beruhigen, bringt der joviale Präsident Heribert (Gerhard Wittmann) seinen Elektro-Grill ins Spiel - der verstaube bislang unbenutzt auf seinem Dachboden. Ein kleiner Elektro-Grill neben der voluminösen Neu-Anschaffung eines Geräts "XQ 3200", das empfindet Erol nun aber doch als kränkendes symbolisches Bild.

Und schon ist man mittendrin in einer Diskussion, in der "Würste" für die deutsche (Grill-)Kultur stehen; dem steif-bürokratischen Matthias unterstellt Melanie rechtes Gedankengut; doch der will raus aus der "Nazi-Schublade", es kommt zu Handgreiflichkeiten, bei denen Erol Melanie zu Hilfe eilt. Ihrem latent eifersüchtigen Ehemann Torsten passt das gar nicht, sarkastisch provoziert er seinen muslimischen Gegenspieler mit einem Versuch des Verhaltensforschers Konrad Lorenz: Frisch geschlüpfte Küken, die ihn als erstes sahen, liefen ihm fortan hinterher - sie nahmen an, seine Gummistiefel seien ihre Mutter. So laufe Erol seinem Gott hinterher, weil der Glaube an ihn ihm von Geburt an vermittelt wurde. Die Beißreflexe nehmen zu, dabei wechseln schon mal die Fronten. Etwa wenn Erol beim Thema Integration argumentiert, dass die "Dorf-Türken", die man sich in Deutschland als Arbeiter ins Land geholt habe, "auch in Istanbul nicht integriert wären". Das erzeugt Schnappatmung bei den einen, Applaus von den anderen.

Als Zuschauer muss man in dieser Eskalationsspirale seine Sympathien und Antipathien ständig nachjustieren, so temporeich und punktgenau fliegen die Argumente zwischen den Darstellern hin und her. "Genau die Frage nach der eigenen Positionierung ist das, was ich an dem Stück so reizvoll und spannend finde", sagt Regisseur Michael von Au. "Extrawurst" entwickelt sich derzeit deutschlandweit zu einem Bühnenhit - auch in Hamburg und in Berlin wird die satirische Vereinsposse gespielt, die den Rassisten in einem jeden herauskitzelt. In München begeistert das Stück als ein pointiert inszenierter Mikrokosmos einer Mehrheitsgesellschaft, in der sich die Spieler bei der Frage, wie mit Verschiedenheiten umzugehen ist, gekonnt an die Kehle gehen.

Extrawurst, bis 24. Juli, Komödie im Bayerischen Hof

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