München/Aßling:Klopapier und Lärm

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Der Anwohner eines Aßlinger Supermarkts stört sich am dortigen Lieferverkehr - und klagt vor dem Verwaltungsgericht

Von Viktoria Spinrad, München/Aßling

Für die Richterin ist der Fall nicht nur klar, sondern sogar ein Klassiker: "Ich zieh irgendwo hin und schau, dass um mich herum Ordnung herrscht", umreißt Cornelia Dürig-Friedl den Konflikt. Dann setzt sie ihre grüne Brille auf und blättert kopfschüttelnd durch einen Packen Papier, den ein Aßlinger zusammengestellt hat. Er ist der Grund, wieso Vertreter des Landratsamtes und der Gemeinde jetzt am Münchner Verwaltungsgericht zusammengekommen sind.

Der Aßlinger ist nämlich unzufrieden. Er wohnt direkt gegenüber der Liefer-Zufahrt zum Rewe-Supermarkt in der Gemeinde. Durch sein Fenster kann er sehen und hören, wie tagtäglich die Lastwagen mit Kartoffeln, Klopapier und Kellerbier durch die Einfahrt rumpeln. Er ist der Meinung: Die Bauaufsicht sollte eingreifen, denn es seien mehr Lastwagen als genehmigt, die mehr Lärm verursachten als erlaubt. Das Problem: Er hat keinen Beweis dafür. Die Richterin streckt die Arme aus. "Ich dachte, Sie hätten gezählt", moniert sie. "So sind wir im Glaubensbereich, beim Gefühlten." Maiers Anwalt hält dagegen: "Wir gehen davon aus, dass es so nicht passt." Er will für seinen Mandanten ein neues Lärmgutachten erreichen. Das letzte von 2017 sei nämlich auf der Basis falscher Lastwagenzahlen, Autobewegungen und auch einer falschen Supermarkt-Größe erstellt worden.

Dass dieses überhaupt in Auftrag gegeben wurde, lag ebenfalls an dem Anwohner. Der war im Jahr zuvor in sein Elternhaus schräg gegenüber des Supermarkts eingezogen. Von dort beobachtete er nach eigenen Angaben mehr als die zwei erlaubten Anlieferungen am Tag. Mehr Ruhe bescherte ihm seine Beschwerde beim Landratsamt allerdings nicht, im Gegenteil: Die Aufsichtsbehörde akzeptierte eine angepasste Genehmigung des Supermarkts; von sofort an durften nicht zwei, sondern sechs Lieferwagen am Tag anrücken.

Weil er wieder mehr Verkehr und Lärm als erlaubt wahrnahm und seine abermaligen Beschwerden beim Landratsamt auf taube Ohren stießen, reichte der Anwohner jetzt Klage gegen den Freistaat ein: Die Bauaufsicht solle einschreiten. Ein Anliegen, dem die Richterin gleich zu Anfang wenig Aussicht auf Erfolg ausspricht: "Mir drängt sich nicht auf, was das soll."

Es ist der Auftakt zu einer eineinhalbstündigen Verhandlung, die sich alsbald im Kreis dreht. Denn: Steht dem Anwohner überhaupt der Lärmschutz eines reinen Wohngebiets zu? Das bezweifelt die Richterin. Zum einen führt der Aßlinger selbst von seinem Haus aus sein Unternehmen, zudem liegt gleich nebenan eine Schreinerei - "das riecht nach einer Gemengelage", so die Richterin. In einem Mischgebiet müsste Maier bis zu 60 Dezibel Lärm ertragen. Und selbst wenn die Lastwagen und Autos noch etwas lauter vor seiner Haustür rumpeln, müsste er das wohl verkraften: "Es ist sozial üblich, dass ein Supermarkt Verkehr hat", so die Richterin. Wobei sich der Lieferverkehr natürlich an die vorgegebenen Zeiten zu halten habe, wie Katharina Schierl, im Landratsamt zuständig für Immissionsschutz, in Richtung ihres rechten Nebentischs betonte. Dort saß der Supermarktbesitzer. Der hatte angedeutet, dass Lieferungen außerhalb der erlaubten Zeiten "ganz normal" seien: "Schließlich muss die Nahversorgung sichergestellt sein."

Was nun? Während sich der Kläger und sein Anwalt zur Beratung zurückzogen, begab sich die Richterin mit Vertretern von Landratsamt und Gemeinde auf die Suche nach Wegen, den Frieden im Ort wiederherzustellen. Eine "sozialhygienische Maßnahme", wie sie sagte. Pflanzen, Lärmschutzwand, Schranke - alle Ideen führten allerdings in eine Sackgasse.

Aus dieser hinausführen soll nun doch ein neues Gutachten, das der Kläger selber bezahlen will. Auf der Grundlage der gezählten Lastwagen und Autos soll die neue Baugenehmigung nochmals überprüft werden. Bis dahin ruht das Verfahren. Nicht aber der Anwohner: "Ich mach das hier nicht zum Spaß", sagt er nach der Verhandlung. Und, angesprochen auf die Kosten für das Gutachten: "Manchmal ist die Wahrheit eben teuer."

© SZ vom 09.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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