Versuchter Mord in Dorfen:"Ohne jegliche Empathie"

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Die Jugendkammer des Landgerichts Landshut sah bei der Tat in Dorfen mehrere Mordmerkmale als gegeben an - zum Glück blieb es nur bei einem Mordversuch. (Foto: Carsten Rehder/dpa)

Bei einem Drogendeal in einem Dorfener Abbruchhaus rauben vier junge Männer ihre "Handelspartner" aus, schlagen sie brutal zusammen und stechen einen Unbeteiligten nieder. Nun werden sie zu mehrjährigen Jugendstrafen verurteilt.

Von Alexander Kappen, Landshut/Dorfen

Es war wie in einem schlechten Gangsterfilm: Ein Drogendeal, stilecht arrangiert in einem Abbruchhaus in Dorfen. Die vermeintlichen Käufer, vier junge Männer beziehungsweise Jugendliche aus dem Landkreis Erding, beschließen, für die Ware nicht zu bezahlen, den Verkäufer und seinen Komplizen "abzuziehen" und auszurauben. Und dann kommt es zu einer hässlichen Gewaltorgie. Die vermeintlichen Käufer der Drogen - vereinbart sind 600 Gramm Marihuana, 50 Gramm Haschisch und 15 Gramm Kokain - schlagen die Verkäufer zusammen. Und als diesen ein unbeteiligter Freund zu Hilfe eilt, wird er von den Angreifern ebenfalls angegriffen und erhält einen potenziell tödlichen Messerstich in die Lunge.

Doch damit nicht genug. "Sie feiern sich für ihren Rauberfolg, gehen jubelnd an den Geschädigten vorbei und posieren für Fotos auf Instagram", schilderte Vorsitzende Richterin Michaela Wawerla das damalige Geschehen nun in der Verhandlung am Landgericht Landshut. Dort mussten sich die vier Angeklagten seit vergangenem September für ihre Taten verantworten. Zum Jubeln war bei der Urteilsverkündung am Donnerstag keinem von ihnen mehr zumute. Die vier Angeklagten - zwei heute 18-Jährige, ein 19-Jähriger und ein 20-Jähriger - wurden jeweils zu mehrjährigen Jugendstrafen verurteilt. Die höchste Strafe erhielt der Messerstecher, ein 18-Jähriger aus Erding, mit sechseinhalb Jahren.

Die beiden Verkäufer der Drogen sind im Juni vergangenen Jahres, damals 17 und 23 Jahre alt, vom Landgericht Landshut zu einer Jugendfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten und einer Gefängnisstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Bei dem missratenen Deal trugen beide erhebliche Verletzungen davon. Der eine multiple Prellungen, ein Schädel-Hirn-Trauma und eine Nasenbein-Fraktur, der andere eine Fraktur der Augenhöhle. Letzteres sei laut eines Rechtsmediziners auch "eine potenziell lebensbedrohliche Verletzung", betonte die Richterin am Donnerstag.

Unter dem Strich war es dann eine ganze Reihe an Delikten, derentwegen die vier "Käufer" verurteilt wurden: besonders schwerer Raub, bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und gefährliche Körperverletzung. Dazu kommen bei zwei der Verurteilten der Besitz beziehungsweise das Weiterleiten von kinderpornografischen Inhalten, weil entsprechende Bilder auf ihren Handys gefunden wurden. Und eben bei dem Erdinger der versuchte Mord.

Nach Ansicht der Kammer, so die Vorsitzende, hätten die Angeklagten vereinbart, die Drogen nicht zu bezahlen, sondern zu rauben. "Sie haben sich auf eine gewaltsame Auseinandersetzung vorbereitet und teilweise bewaffnet." Neben dem Messer, das dann auch zum Einsatz kam, hatte der Drahtzieher des Deals beziehungsweise Drogenraubs auch einen Schlagring dabei. Dass dieser tatsächlich eingesetzt wurde, konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Allerdings müsse gemäß dem Verletzungsbild jemand mit einem Gegenstand auf den Kopf eines Opfers geschlagen haben, "mit was, das wissen wir nicht", so die Richterin.

Der Stich verfehlt das Herz nur um drei Zentimeter

Die gravierendste Verletzung bei der Tat trug der junge Mann davon, der die Dealer im Auto mit nach Dorfen genommen hatte. "Er wollte weiter in ein Fitness-Studio, ob er wusste, was die anderen in dem Haus vorhaben, ist nicht klar geworden", sagte die Richterin. Der Mann eilte, als es dort zu der gewaltsamen Auseinandersetzung kam, nach Ansicht der Kammer "arglos" zum Abbruchhaus. Dort wurde er noch vor dem Gebäude von den Angeklagten überrascht und zusammengeschlagen. Bereits am Boden liegend, bekam er dann besagtes Messer in den Oberkörper gerammt. Und zwar "8,5 Zentimeter vom Rippenbogen bis zur Lunge, 3,8 Zentimeter in die Lunge hinein und nur drei Zentimeter vom Herz entfernt", betonte die Richterin.

Der weitgehend geständige Messerstecher, der zur Tatzeit noch 17 Jahre alt war, habe zwar angegeben, er habe das Opfer "nur anstechen wollen", aber, so die Vorsitzende, "das nimmt ihm das Gericht wegen der Heftigkeit des Stichs nicht ab". Der heute 18-jährige, einschlägig vorbestraft, "hat eine erhebliche Gewaltbereitschaft an den Tag gelegt, ihm fehlte jegliche Empathie für das Opfer", sagte die Richterin. Dieses ließen die Angreifer einfach liegen. Der junge Mann konnte noch selbst seinen Vater verständigen, sodass er rechtzeitig ins Krankenhaus gebracht wurde und überlebte.

Zwei weitere Angeklagte aus Erding und Sankt Wolfgang waren ebenfalls schon vorbestraft und wurden zu drei Jahren und drei Monaten beziehungsweise vier Jahren Jugendstrafe verurteilt. Sie waren teilweise geständig und wie alle Täter bei der Tat durch die eigene Drogenproblematik womöglich enthemmt. Aber man habe keinerlei Hinweis auf eine eingeschränkte Steuerungs- und Schuldfähigkeit, so die Richterin. Der älteste Angeklagte, ein 20-Jähriger aus Dorfen, nicht vorbestraft und nach Ansicht der Kammer ein Mitläufer, war der Einzige, der sich nach der Tat freiwillig gestellt und Aufklärungshilfe bei der Polizei geleistet hat. Er bekam mit zwei Jahren und fünf Monaten die niedrigste Strafe. Allerdings müsse er, wie seine Mittäter, nun "auch mit möglichen ausländerrechtlichen Konsequenzen" rechnen, so die Vorsitzende.

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