Asylpolitik:Argumente gegen und für die Bezahlkarte

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Der Kommunalpass im Landkreis Erding war von 2016 bis 2020 die damals einzigartige Bezahlkarte für Geflüchtete. (Foto: Thomas Daller/OH)

Die Flüchtlingshilfe Dorfen kritisiert die Chipkarte für Asylbewerber und Geduldete, Innenminister Joachim Herrmann verteidigt sie.

Von Florian Tempel, Erding

Die Bezahlkarte für Asylbewerber und Geduldete kommt, das ist längst sicher und im Landkreis nichts Neues. Vielleicht gäbe es den Kommunalpass, wie hier von 2016 bis 2020 die damals weit und breit einzigartige Bezahlkarte hieß, sogar heute noch, wenn nicht das Unternehmen Wirecard, das die Kommunalpass-Zahlungen abwickelte, pleitegegangen wäre. Nun wird in ganz Bayern eine neue Karte eingeführt, ein genauer Terminplan steht zwar noch nicht fest, doch lange sollte es nicht mehr dauern.

Die meisten stellen den Sinn und Zweck der Bezahlkarte nicht infrage. Sie wird in allen 16 Bundesländern eingeführt, wobei Bayern und Mecklenburg-Vorpommern eigene Wege gehen. Die restlichen 14 Länder haben sich vor ein paar Tagen auf eine gemeinsame Vorgehensweise geeinigt. Es gibt aber auch nach wie vor Kritik. Im Landkreis Erding kommt sie vor allem von der Flüchtlingshilfe Dorfen. Das Vorstandsteam des Vereins - Michaela Meister, Ingo ter Meulen und Franz Leutner - hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ausführlich geschrieben und der Minister hat ebenfalls ausführlich geantwortet.

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Die Flüchtlingshilfe hatte sich im November 2023 an Herrmann gewandt, wenige Tage bevor das bayerische Kabinett beschlossen hat, die Bezahlkarte einzuführen. Im ersten Schreiben verwies man auf die Erfahrungen mit dem Kommunalpass. Der sei "alles andere als eine Erfolgsgeschichte" gewesen, da er "bürokratisch aufwendig für die Verwaltung und erniedrigend für die Betroffenen" gewesen sei. Nach Ansicht der Flüchtlingshilfe schränkten Bezahlkarten "die Entscheidungsfreiheit der Geflüchteten über das ihnen rechtlich zustehende Existenzminimum" ein. Zudem könne sich "eine Schlechterstellung und zweitrangige Behandlung dieser Menschen" langfristig für alle negativ auswirken, weil das "soziale Spannungen fördert, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt erheblich belasten können."

Innenminister Herrmann antwortete Mitte Dezember und schrieb, es werde "keine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der Leistungsberechtigten" geben, es komme lediglich zu technischen Einschränkungen. Mit der Bezahlkarte werde man "ähnlich einer EC-Karte" fast überall bezahlen können. Ein kleiner Betrag könne bar an Automaten abgehoben werden. Mit der Karte könnten auch "grundsätzlich alle Waren gekauft werden". Die Karte funktioniere aber nur in Deutschland, "wobei der Einsatzbereich innerhalb Deutschlands weiter beschränkbar sein muss", so Herrmann weiter. Was nicht gehen soll - anders als bei einem Bankkonto - sind Online-Käufe, Überweisungen und Geldtransfers. Herrmann nennt einen der Hauptpunkte, warum die Karte eingeführt wird: um "insbesondere zu verhindern, dass Gelder aus Asyl-Leistungen ins Ausland überwiesen werden können und damit auch Schlepper bezahlt werden können."

"Wünschen wir tatsächlich, dass es erkennbar schlechter gestellte Kinder gibt?"

Zu der befürchteten Konsequenz sozialer Spannung schreibt Herrmann, es sei wichtig sie zu "verhindern oder ihnen zu begegnen, soweit sie schon vorhanden sind". Allerdings würden "die größten Spannungen aber dadurch verursacht, dass viel zu viele Personen (...), die nur aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland gekommen sind", hier staatliche Leistungen bezögen. "Diese Anreize müssen und werden wir daher senken. Wirklich Schutzbedürftige werden davon nicht wesentlich betroffen, denn sie werden ja anerkannt", schreibt Herrmann abschließend.

Im zweiten Schreiben an Herrmann geht die Flüchtlingshilfe mit ihrer Kritik an einer Bezahlkarte mehr ins Detail. Meister, ter Meulen und Leutner weisen darauf hin, dass auch "geduldete Betroffene, darunter viele Familien mit Kindern" weiterhin in Deutschland bleiben werden und dauerhaft die Bezahlkarte nutzen müssen. "Wünschen wir tatsächlich, dass unsere Kinder im Bewusstsein aufwachsen, dass es erkennbar schlechter gestellte Kinder gibt?"

Zur Annahme, dass viele Menschen nach Deutschland wegen der hohen Sozialleistungen für Asylbewerber kämen, bezweifelt die Flüchtlingshilfe Dorfen. Es werden mehrere Studien, Untersuchungen und Expertenmeinungen gegen diese These angeführt. Unter anderem vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, der 2020 über Push- und Pull-Faktoren zusammenfassend schrieb: Es handle sich dabei "im Prinzip nur um eine suggestive Sprechweise".

Die Flüchtlingshilfe Dorfen schreibt an Minister Herrmann, die Behauptungen, mit Asyl-Leistungen würden auch Schlepper gezahlt und weniger Bargeld schrecke Flüchtende davor ab, nach Deutschland zu kommen, "entbehren jeglicher Grundlage und sind nur dem politischen Klima geschuldet. (...) Wir müssen weg von einer Politik des Populismus hin zu einer faktenbasierten Politik."

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