Heinar-Kipphardt-Preis:Substanzieller Optimist

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Franz Leutner (Mitte) zusammen mit der GEW-Kreisvorsitzenden Heidi Oberhofer-Franz und Wolfgang Fritz, der das Kunstwerk zum Preis geschaffen hat. (Foto: Renate Schmidt)

Franz Leutner wird für seine vielfachen Aktivitäten im Widerstand gegen den Flughafenbau, für ökologisches Leben, im Umwelt- und Naturschutz sowie seinen unermüdlichen Einsatz in der Flüchtlingshilfe ausgezeichnet.

Von Florian Tempel, Taufkirchen

Als nach den einführenden Ansprachen zum Heinar-Kipphardt-Preis, den biografischen Anmerkungen zum Namensgeber, der Doppel-Laudatio und einer weiteren Lobrede auf den aktuellen Preisträger Franz Leutner selbst das Wort ergriff, war dieser kurz sprachlos, aber nur ganz kurz. Nach all den klugen und schönen Reden sowie dem wunderbar melancholischen Jazz von Dieter Knirsch fand er - natürlich - die richtigen Worte, wie immer ohne Redemanuskript oder Stichwortzettel.

Er freue sich über die Auszeichnung, sagte er, erst recht und besonders, weil das Kinocafé Taufkirchen zur Preisverleihung am Samstagabend voll mit bekannten Gesichtern war. Familie und Freunde, Weggefährten und Mitstreiterinnen waren gekommen, "ich kenne eigentlich alle, die da sind". Seine vielfältigen persönlichen Verbindungen, die ihm und allen anderen an diesem Abend deutlich wurden, seien nicht nur von Sympathie getragen, erklärte er, sondern vor allem auch durch eine Gemeinsamkeit im Denken, Wollen und Handeln. Das Publikum, die versammelten Festgäste, "das ist mein Netzwerk". Als Preisträger stehe er letztlich nur stellvertretend für die vielen anderen Menschen, sagte Franz Leutner, ohne die sein Leben, Tun und Wirken gar nicht vorstellbar wären.

"Es gibt in unserem Land viel Anlass, die Zustände zu beklagen", hatte Laudatorin Hanna Ermann gesagt, "aber der Franz macht was dagegen." Ende der 1960er-Jahre begann er, den Widerstand gegen den Flughafen im Erdinger Moos mitzuorganisieren. Als 15 Jahre später der Kampf verloren war, zog er sich nicht frustriert zurück, sondern "hat die Niederlage durch ein konstruktives Projekt umgestülpt", so Laudator Heiner Müller-Ermann. Der Gründung der Biogenossenschaft Tagwerk lag auch die Idee zugrunde, mindestens so viele Hektar Land wie für den Flughafen verbaut wurden, für eine ökologische Nutzung zu sichern. "Er war auch hier ein Anschieber, bis es lief, zog sich dann in die zweite Reihe zurück und packte etwas Neues an."

"Engagiert und entschlossen, furchtlos und unermüdlich"

Geboren 1951 in Freising verbrachte Franz Leutner seine Kindheit auf dem Domberg, wo sein Vater Hausmeister und seine Mutter Köchin war. Nach einer Lehre als Ofensetzer absolvierte er eine Ausbildung zum Keramiker, machte auf dem zweiten Bildungsweg das Fachabitur und studierte Sozialpädagogik. Leutner wurde früh Vater, lebte mit seiner Frau Christa in ländlichen Wohngemeinschaften im Holzland und in der Nähe von Dorfen, betätigte sich als Gärtner, schrieb zwei Kochbücher. Er gründete den Kreisverband der Grünen und die Dorfener Ortsgruppe des Landesbunds für Vogelschutz, war Kreisrat in Erding und wurde Käser in der Lebensgemeinschaft Höhenberg, die er dann jahrelang leitete, bevor er die letzten Jahre seines Berufslebens im Berufsförderungszentrum Waldkraiburg wieder als Sozialpädagoge arbeitete. Aktuell ist er als Rentner, in Vollzeit, für die Flüchtlingshilfe Dorfen tätig. All das und noch viel mehr tat und tue er stets "engagiert und entschlossen, furchtlos und unermüdlich", sagte Laudator Heiner Müller-Ermann.

Heiner Müller-Ermann und Hanna Ermann hielten gemeinsam die Laudatio auf Franz Leutner. (Foto: Renate Schmidt)

Franz Leutner hingegen fand, es sei fast etwas zu viel der Ehre. Dass die unermüdliche Menschenrechtsaktivistin Maria Brand vor fünf Jahren als Erste den Heinar-Kipphardt-Preis erhielt, den der Erdinger Kreisverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vergibt, sei absolut klar und richtig gewesen. Das habe er sofort verstanden. Womit er sich diese Auszeichnung verdient habe, scheine ihm nun jedoch im selben Maße fragwürdig. An das intellektuelle Niveau des Schriftstellers und Dramatikers Heinar Kipphardt reiche er nicht im Entferntesten heran. Und noch mehr könnte man ihn, seine Mitstreiterinnen und Weggefährten ja auch fragen, "was habt ihr denn erreicht?"

"Wir können die Stimmung in dieser Gesellschaft wieder ändern."

Seine Antwort begann er mit der Gegenfrage, "was wäre wenn", wenn er und andere nichts getan hätten. "Dann würde vielleicht kein Vogel hier mehr fliegen, dann wäre die dritte Startbahn schon gebaut und die verschärfte Asylpolitik schon seit Jahren durchgesetzt." Sein Antrieb und seine Überzeugung, gegen falsche Entwicklungen gemeinsam aktiv werden zu müssen, sei immer von "substanziellem Optimismus" getragen gewesen, "dass wir in der Lage sind, diese Welt zu verbessern". Daran wolle er festhalten, auch wenn er erkenne, "dass diese Zuversicht zu bröckeln beginnt", angesichts der aktuellen Kriege, des Klimawandels und des sozialen Auseinanderdriftens: "Die Reichen werden immer reicher, die Armen werden immer mehr."

Ein entscheidender Punkt für die Zukunft ist für Franz Leutner, wie wir mit der Migration umgehen. Die Ausgrenzung und Abschottung in Deutschland und Europa sei schrecklich. Durch die Aushöhlung von Menschenrechten und zunehmende Gleichgültigkeit "läuft die Gesellschaft Gefahr, dass sie ihren moralischen Kompass total verliert". "Wie wollen wir denn unseren Kindern erklären, dass wir unseren Wohlstand nur aufrechterhalten können, wenn zigtausend Menschen im Mittelmeer ertrinken", fragte er - und gab gleich darauf die Antwort: "Wir können die Stimmung in dieser Gesellschaft wieder ändern."

"Wir wollen mit diesem Preis ein Zeichen setzen", hatte Heidi Oberhofer-Franz, die GEW-Kreisvorsitzende, schon in der Einführung gesagt. Ein Zeichen gegen zunehmenden Antisemitismus, Rassismus und die Verharmlosung des Nationalsozialismus: "Es ist wichtig, auf die Rechtsentwicklung hinzuweisen und noch wichtiger ist es, sie zu bekämpfen. Wir wollen mit dem Preis alle ermutigen, in diesem Sinne zu wirken."

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