Kultur in Algasing:"Das soll so eine Normalität kriegen"

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Geschäftsführer Ary Witte-Kriegner hat an der stark besetzten Podiumsdiskussion nicht selbst teilgenommen, ist aber der Initiator der Kulturaktivitäten in Algasing. (Foto: Renate Schmidt)

Inklusion und Kultur, inklusive weiterer positiver Nebeneffekte: Mit Konzerten, Kabarett und Comedy, Lesungen und Kunstaktionen hat sich das Gemeinschaftliche Wohnen der Barmherzigen Brüder geöffnet. Geschäftsführer Ary Witte-Kriegner hatte die Idee dazu und nun läuft die Sache immer runder.

Von Florian Tempel, Dorfen

Das Gemeinschaftliche Wohnen der Barmherzigen Brüder in Algasing hat eine tolle Lage. Das ist so schön ländlich hier, der Blick geht weit über das Isental Richtung Dorfen. Man kann die Stadt aber nicht sehen, zu der Algasing dazugehört. Das ist nicht das Problem, aber es macht eines deutlich. Man muss sich etwas einfallen lassen und etwas tun, damit die geografische Randlage, an der sich nichts ändern lässt, nicht dauerhaft eine gesellschaftliche bleibt. Ary Witte-Kriegner, der Geschäftsführer des Gemeinschaftlichen Wohnens der Barmherzigen Brüder in Algasing, setzt seit einem Jahr auf die verbindende Kraft von Kulturveranstaltungen.

Vor Kurzem gab es in Algasing eine ganze Kulturwoche, mit mehreren Konzerten und zum Auftakt mit einer stark besetzten Podiumsdiskussion zum Thema "Inklusion und Kultur". Es war eine gute Gesprächsrunde, sagt Witte-Kriegner, nicht nur weil die eingeladenen Personen auf dem Podium bemerkenswerte Dinge sagten, sondern auch das Publikum sich intensiv einbrachte. "Es war schön zu sehen, dass es einen großen Kreis von Menschen gibt, die sich damit beschäftigen, wie wir zukünftig unser Zusammenleben gestalten."

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Das Thema Inklusion ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Gesellschaft, darin waren sich alle einig. "Es geht nicht um Toleranz, sondern um Akzeptanz", brachte es etwa die Autorin und Aktivistin Lena Cornelissen auf den Punkt. In Algasing sagte sie das vor allem in Bezug auf Menschen mit körperlichen und kognitiven Beeinträchtigungen. Doch Cornelissens kluger Satz hat auch in anderen Bezügen Gültigkeit. Das Nachdenken darüber, was Inklusion ganz grundsätzlich ausmacht, lässt sich über Behinderungsbegriffe aber tatsächlich besonders deutlich machen: Es geht darum, Ab- und Ausgrenzungen abzuschaffen und Barrieren klein zu kriegen.

Das ist im Wortsinn wichtig, wie Holger Kiesel, der Behindertenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, darlegte. Kiesel, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, wird zu vielen Veranstaltungen eingeladen. Er besucht jedoch prinzipiell nur barrierefreie Events - und er meinte damit nicht nur eine Rampe für ihn selbst. Wer eine Veranstaltung nicht komplett ohne ausgrenzende Hindernisse konzipiert, der bekommt von Kiesel eine Absage - und fängt dann hoffentlich an, darüber nachzudenken, was immer notwendig ist und nicht nur, wenn man den Behindertenbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung einlädt.

Barrierefreies Miteinander macht - im übertragenen Sinn weitergedacht - den Kern dessen aus, was Inklusion bedeutet. Warum aber eignen sich Konzerte, Kabarett und Comedy, Lesungen und partizipative Kunstprojekte so gut als Motor für Inklusion? Ary Witte-Kriegner hat vielleicht nur eine gute Ahnung gehabt und das richtige Gefühl. Er war früher selbst Musiker, hat lange in einer Indie-Band Schlagzeug gespielt. Das macht was aus. Er ist Musikliebhaber, das ist ganz wichtig. Kunstschaffende sind "besondere Menschen, die wir alle cool finden", sagt er. Dass Soul-König Ray Charles blind war oder der Münchner Saxofonist Klaus Kreuzeder im Rollstuhl saß, was spielt das beim Musikhören für eine Rolle? Gar keine. "Diese Haltung, dass wir das auch ins Leben übertragen, darum geht es."

Das Publikum will Weltmusik-Jazz hören, lernt aber nebenbei das Gemeinschaftliche Wohnen in Algasing kennen

Bei der Kulturwoche in Algasing traten Künstlerinnen und Künstler mit und ohne Beeinträchtigungen auf. Und das Publikum war natürlich genauso gemischt. "Die volle Vielfalt bei uns", nennt das Witte-Kriegner.

Inklusion durch und mit Kultur läuft jedoch nicht nur über das gemeinsame Erlebnis, sondern auch auf weiteren Ebenen. Ein Team von Bewohnerinnen und Bewohnern ist in der Vorbereitung, beim Bühnenaufbau, der Technikausstattung und in der gastronomischen Begleitung mit von der Partie. "Diese Nebeneffekte sind entscheidend", sagt Witte-Kriegner. Damit meint er auch, dass sich Algasing, das ja etwas abseits von Dorfen liegt, auf diese Weise einem neuen Zielpublikum öffnet. Zu einem Konzert hinzufahren ist etwas ganz anders, als Algasing bei einem Tag der offenen Tür zu besuchen. "Inklusion bedeutet auch, die Stadt herzuholen", sagt Witte-Kriegner.

Mit den Kulturveranstaltungen öffnet sich Algasing mit einem niederschwelligen Angebot - wieder so ein Begriff, der den Abbau von Barrieren bedeutet. Das Publikum, das beispielsweise in erster Linie Weltmusik-Jazz von Quadro Nuevo erleben will, lernt wie nebenbei das Gemeinschaftliche Wohnen der Barmherzigen Brüder in Algasing kennen. "Das soll so eine Normalität kriegen", sagt Witte-Kriegner, "das man einfach sagt, da geh ich heute mal hin." Klingt gut und einfach, und sollte genau so sein.

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