Es ist immer so eine Sache. Albin Zauner war schon einmal für den Tassilopreis nominiert, vor neun Jahren. Doch es gibt Anlass, ihn unbedingt noch einmal als Kandidaten für den Kulturpreis der SZ vorzuschlagen. Im vergangenen Jahr hat der Dorfener seine ziemlich einzigartige Graphic Novel "Im Demenzlabyrinth" veröffentlicht. Es ist ein außergewöhnliches Kunstprojekt zu einem Thema, dem zwar seit einigen Jahre aus allen möglichen Blickwinkeln große Aufmerksamkeit gewidmet wird. Doch mit der Art, wie sich Albin Zauner dem Komplex der Demenzerkrankung nähert, nicht beschreibend von außen, sondern einfühlsam von innen, ist ihm etwas Besonderes gelungen.
In seinem Buch setzt Albin Zauner ganz und gar auf die Kraft des Visuellen. Es besteht aus Bleistiftzeichnungen, die den Betrachter auf eine innere Reise eines an Demenz erkrankten Menschen mitnehmen. "Im Demenzlabyrinth" kommt ohne Text aus. Anders als bei üblichen Graphic Novels gibt es keine Gedanken- und Sprechblasen oder Textkästen. Das ist stringent. Der Verlust der sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten ist ein zentraler Aspekt einer Demenzerkrankung. Es ist deshalb ein immanentes Problem, wie man den mentalen Verfall in wohlgesetzte Worte fassen könnte. Es ist wie mit dem Erleben von Farben, deren Leerstellen ein Farbenblinder einem nicht davon Betroffenen nicht sprachlich - oder nur sehr unzureichend - erklären kann.
Der Betrachter von Zauners Buch bekommt einen anderen Zugang angeboten: zu schauen und mitzuerleben, wie der Protagonist des Buches durch seine Welt geht, die ihm immer fremder und wunderlicher wird, die sich allmählich und am Ende wirklich auflöst.
Ganz verzichtet Zauner aber nicht auf Texte. Er hat an einigen, wenigen Stellen Gedichtzeilen in seine Zeichnungen eingewebt. Auch das ist ein schöner Kunstgriff. Lyrik von Friedrich Hölderlin oder Nelly Sachs ist nicht narrativ, sondern kommt mit starken Bildern auf einem anderen Weg an. Gedichte und Lieder gehören zudem, wie es viele schon selbst erlebt haben, zu den tiefsten Erinnerungsinhalten demenzkranker Menschen.
Albin Zauner schöpft aus vielen Jahren beruflicher Erfahrung mit Demenzkranken. 1964 in Innsbruck geboren, hat er in den 1980er-Jahren die Münchner Kunstakademie absolviert. Er war dort ein künstlerischer Außenseiter: "Ich habe Malerei studiert und keinen Pinselstrich gemalt." Er hat stets gezeichnet. Nach dem Abschluss seines freien Kunststudiums studierte er als einer der ersten seinerzeit Kunsttherapie ebenfalls an der Münchner Akademie. Das passte bei ihm auch deshalb so gut, "weil ich mich schon immer für Outsider-Kunst interessiert habe". Als Kunsttherapeut begann er in der psychiatrischen Klinik in Haar und wechselte dann auf eine feste Vollzeitstelle in Taufkirchen. Er hat mit Drogenabhängigen gearbeitet und war 15 Jahre in der Gerontopsychiatrie tätig.
Tassilo 2023:Berührend. Begeisternd. Bereichernd
Die Süddeutsche Zeitung verleiht zum zwölften Mal den Tassilo-Kulturpreis, um Kulturschaffende in der Region rund um München für ihr Können und ihr Engagement auszuzeichnen. In den kommenden Wochen werden die Kandidatinnen und Kandidaten vorgestellt.
Sein Buch "Im Demenzlabyrinth" hat Albin Zauner freilich nicht nur zeichnen können, weil er so viel berufliche Erfahrung mit Demenzkranken gesammelt hat. Er hat sich mit vielen anderen, zeichnerischen Projekten geradezu perfekt auf dieses Buch vorbereitet. Der Einblick in sein Schaffen, die seine Homepage bietet, zeigt eine große Menge hoch interessanter Werke. Seine Bilder-Serie Urbane Schlafwandler ist beispielsweise ein fantastischer Spaziergang durch die Kunstgeschichte mit vielen unerwarteten Begegnungen. In "Der letzte Mensch und sein Schatten" nimmt er die Betrachter ebenfalls auf eine surreale Reise mit. Aktuell arbeitet er an einer Serie unter dem Titel "Flucht ins Virtuelle" mit einem präsenten Thema, das er natürlich konsequent analog in Zweidimensionalität und schwarz-weiß angeht.
Neben seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Zeichnen, ist Albin Zauner allerdings auch ein großartiger Bildhauer, der filigrane Holzskulpturen und Objekte aus Naturmaterialien, aber auch aus Glas und Papier schafft. Auch hierin ist Zauner, wie bei seinen Zeichnungen: nie aufdringlich, nie langweilig, sondern immer überraschend und nachdenklich.