Die Millionenstadt München, die mit ihrem Olympiapark den Welterbestatus erringen möchte, aber mit dem Englischen Garten dem ersehnten Ziel sehr viel näherkäme, hat den beiden großen Volksparks in ihrem Stadtgebiet in den letzten Jahren immer wieder schweren Schaden zugefügt. Das reiche München tut dabei so, als verfüge es über unerschöpfliche Reserven an Grünflächen. In Wahrheit rangiert die Stadt, was den Anteil an nicht versiegelten, also grün nutzbaren Flächen angeht, im Ranking der 15 größten deutschen Städte an allerletzter Stelle.
Anlässlich der Olympischen Spiele 1972 hat die Stadt auf dem gigantischen ehemaligen Militärgelände Oberwiesenfeld den bald schon weltberühmten Olympiapark mit dem Wunderwerk der Zeltlandschaft geschaffen. Doch dieses damals neu erschlossene, fabelhaft weite Gelände ist von der Stadt nie richtig als Erholungslandschaft akzeptiert und entsprechend geschützt worden. Seit der Eröffnung ist der Park von allen Seiten so gierig angefressen worden, dass zwischen den weggebissenen Riesenstücken außer dem Olympiaberg, den man bislang nur einmal als Slalomhang vermarkten konnte, und dem Zubringerweg von der U-Bahnstation zu den Sportbauten eigentlich nur das zentrale Achsenkreuz mit dem am Olympiasee entlangführenden Ost-West-Weg und dem das Gelände geradlinig durchschneidenden Nord-Süd-Weg übrig geblieben ist.
Der zweite potenzielle Anwärter auf den Welterbestatus, der weit über 200 Jahre alte Englische Garten, der dem Freistaat gehört, spielt im touristischen Selbstbild Münchens zwar eine bedeutende Rolle, ist von den Ämtern der Stadt aber eigentlich immer nur als riesiges stadträumliches und verkehrstechnisches Problem wahrgenommen worden. Dieser fünf Kilometer lange, bis zu einem Kilometer breite Landschaftspark liegt wie ein mächtiger Lungenflügel im Organismus der sich ständig weitenden Stadt und bildet, da ihm jeder Durchstich schwersten Schaden zufügen würde, ein Verkehrshindernis von schwer überbietbaren Ausmaßen.
Fast 150 Jahre lang konnten sich die fürstlichen, königlichen und schließlich staatlichen Verwalter dieses einzigartigen Landschaftsparks gegen einen Straßendurchbruch wehren, wie ihn die um den Garten herumgewachsene Stadt immer dringlicher forderte. Doch in der Nazizeit brachen die Dämme. Im Jahr 1934 wurde die "Omnibusstraße" in das Gelände gefräst. Sie führt auf der noch heute benutzten Trasse von der Martiusstraße aus am Chinesischen Turm vorbei zur Tivolibrücke hinüber. Drei Jahre später eröffnete man ein Stück weiter nördlich eine zweite Querverbindung: die "Lastenstraße", die von Schwabing aus am Kleinhesseloher See vorbei nach Bogenhausen führte.
Die Stadt will Straßenbahnen mit Akku-Betrieb im Englischen Garten einsetzen
Beide Trassen wurden nach dem Krieg für den öffentlichen Durchgangsverkehr freigegeben, waren aber dem zu erwartenden Ansturm nicht lange gewachsen. Und so begann man 1960 im Rahmen des Ausbaus des Mittleren Rings mit den Arbeiten am vierspurigen Isarring, der mit seinen ausladenden Zubringerstraßen ein beträchtliches Stück aus dem Park herausschneidet und ungefähr im Goldenen Schnitt alle um 1800 von dem Stadt- und Gartenplaner Friedrich Ludwig Sckell bei der Planung des Englischen Gartens angelegten Nord-Süd-Spazierwege kappt, ja eine grässliche Lärm- und Abgasschneise durch das Gartenkunstwerk walzt. Mit botanisch völlig widersinnigen Nadelbaumwänden hat man die Wunde zwar zuzupflastern versucht, aber gleichzeitig die beiden Parkteile durch Mauern voneinander getrennt.
Schon in den Siebzigern war zu befürchten gewesen, dass das autobahnbreite Nadelöhr durch den Englischen Garten dem wachsenden Verkehr irgendwann nicht mehr standhalten würde. Doch die vor einigen Jahren begonnenen Planungen für einen sechsspurigen Ausbau des Isarrings, also für eine weitere Verschiebung der grünen Abschirmwände in den Garten hinein, konnten im vergangenen Jahr gestoppt werden durch ein von engagierten Architekten und Landschaftsplanern erarbeitetes Gutachten. Dieser Vorschlag zeigt in überzeugender Klarheit, wie logisch all die grausamen verkehrstechnischen und landschaftsplanerischen Probleme, die bei einer Straßenverbreiterung zu erwarten wären, gelöst werden können durch einen Tunnel unter dem Englischen Garten.
Dass die Stadt sich an dieser Stelle zu dieser deutlich anspruchsvolleren, aber raumplanerisch einzig sinnvollen Lösung durchgerungen hat, ist hoch zu loben. Der Gewinn für den Garten wird gewaltig sein. Über dem Tunnel kann der Park, den man zuvor mit so viel Aufwand zersägt hat, wieder zu jenem harmonischen Landschaftskunstwerk zusammenwachsen, das der Stadt vor fast einem Vierteljahrtausend anvertraut worden ist.
Doch an der anderen Problemstelle im Park, an der "Omnibusstraße", will die Stadt endlich durchboxen, was sie seit 100 Jahren verlangt. Schon in den Zwanzigern des vorigen Jahrhunderts, als die heute befahrenen Querwege noch gar nicht existierten, hat sie mehrfach eine Straßenbahnlinie durch den Englischen Garten gefordert. Doch die Staatsregierung und die zuständigen Ministerien waren sich damals verblüffend einig, "dass diese Linienführung unter allen Umständen unmöglich sei, und dazu niemals die Zustimmung gegeben werden könne." Auch alle späteren Versuche, Schienen quer durch den Park zu verlegen, sind konsequent abgeschmettert worden.
Doch nun, da der staatliche Widerstand schwächer zu werden scheint, kommen die alten Pläne wieder auf den Tisch. Zwar haben die eindrucksvollen frühen Simulationen, mit denen Parkschützer zeigten, wie grotesk eine zweigleisige Trambahntrasse mit begleitenden Elektromasten in der Baum- und Wiesenlandschaft aussehen würde, die Verkehrsplaner der Stadt zum Umdenken gezwungen. Man verzichtet jetzt also auf Oberleitungen im Parkbereich. Doch ob die Einführung eines mit tonnenschweren Akkus beladenen Straßenbahntyps, der auf allen übrigen Strecken mit Oberleitung fahren würde, wegen des 900 Meter langen Parkstücks sinnvoll ist, darf bezweifelt werden.
Ist ein Tunnel ein beste und günstigste Lösung?
Die Arbeitsgruppe, die schon am Isarring die Stadt mit der Tunnellösung überzeugen konnte, schlägt auch an dieser Stelle einen Tunnel für die Trambahn vor. Angesichts der finanziellen und technischen Risiken bei Einführung einer Akku-Tram könnte das sogar die günstigste Lösung sein. Wirklich zu retten ist dieser Abschnitt des Englischen Gartens aber nur dann, wenn die Stadt auf die Straßenbahn ganz verzichtet und zustimmt, dass die asphaltierte Straße, die, obwohl dort heute nur noch Busse und Fahrräder verkehren, immer noch so wirkt wie eine Landstraße im Wald, so weit als möglich renaturiert und mit ihren harten Kurven endlich in das sanft schwingende Sckellsche Wegesystem integriert wird.
Angesichts der drohenden Zerstörung im Englischen Garten formiert sich der Widerstand in der Öffentlichkeit immer deutlicher. So wird sich das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München in mehreren Veranstaltungen mit dem Problem beschäftigen. Im Eröffnungskolloquium am Mittwoch reden prominente Gartenhistoriker über die Zukunft des Englischen Gartens; um 18.30 Uhr ist dann das Publikum zu einer Diskussion über das Thema im Max-Joseph-Saal der Residenz eingeladen.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Textes stand, beim Bau der Tramlinie müssten im Englischen Garten an neun Stellen Ampeln oder Sperrgeländer errichtet werden. Die Stadtwerke München betonen, dies sei nicht der Fall.