Verkehrspolitik:Klar zum Wenden - nur wohin?

Winter in Bayern

Auf den Straßen in München geht es eng zu - aber manche freuen sich ja schon, wenn auf dem Mittleren Ring überhaupt was vorwärts geht.

(Foto: dpa)
  • Geht es nach Oberbürgermeister Dieter Reiter sollen die Münchner Parteien Farbe bekennen, in welche Richtung die Verkehrspolitik künftig gehen soll.
  • Die CSU will den Platz für Radwege und Busspuren vor allem durch den Bau von Tiefgaragen schaffen.
  • Reiters Partei, die SPD, hat für die Sondersitzung einen Masterplan mit diversen Stadtratsanträgen zum Thema Verkehrswende ausgearbeitet.

Von Dominik Hutter und Andreas Schubert

Natürlich kann man auch auf den Nonstop-Stau warten. Eine ganztägige Hauptverkehrszeit auf allen Ring- und Einfallstraßen - das Planungsreferat prophezeit dieses Szenario für das Jahr 2030. Im Rathaus gilt der Stillstand motorisierter Massen jedoch als wenig erstrebenswert; und geht es nach Oberbürgermeister Dieter Reiter, beginnt die Münchner Verkehrswende spätestens an diesem Mittwoch. Zumindest formal. Denn eigentlich hat sich der Stadtrat offiziell bereits dazu bekannt, den Anteil des Autoverkehrs deutlich herunterzufahren. Nun aber will Reiter, dass die Fraktionen unmissverständlich Farbe bekennen, in welche Richtung die Verkehrspolitik künftig gehen soll. Man solle "nicht nur die Lippen spitzen, sondern auch pfeifen", mahnt der SPD-Politiker.

Die Gelegenheit dazu bietet eine Sondersitzung, die ganz allein dem Thema Verkehr gewidmet ist. Zündstoff gibt es bereits: Der Bündnispartner CSU will den Platz für Radwege und Busspuren vor allem durch den Bau von Tiefgaragen schaffen. "Das ist insgesamt nicht meine Zielrichtung", sagt Reiter. Bei aller Einsicht, dass es auch Parkplätze braucht, erinnere ihn diese Sichtweise doch sehr "an die Siebzigerjahre, an die Idee der autogerechten Stadt". Der Oberbürgermeister will nicht mehr so viel auf die Bedenkenträgerei geben, die aus seiner Sicht immer wieder eine wirkungsvolle Verkehrswende ausgebremst hat. Was die CSU da vorschlage, erinnere an das Prinzip "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass".

Reiter stellt sich den Kurswechsel eher so vor: "Wenn wir einen Radweg für wichtig erachten, dann bauen wir ihn halt. Auch wenn dafür Parkplätze wegfallen." Und wenn irgendwo eine Busspur sinnvoll ist, solle sie einfach eingerichtet werden - notfalls eben zu Lasten einer Auto-Fahrspur. Reiters Partei, die SPD, hat für die Sondersitzung einen Masterplan mit diversen Stadtratsanträgen zum Thema Verkehrswende ausgearbeitet. Damit will sie die CSU dazu zwingen, eindeutig Position zu beziehen. Das Paket steht unter dem Motto "Schluss mit dem Klein-Klein". Darin enthalten: die autofreie Altstadt, neue Buslinien, neue Parklizenzgebiete und ganz allgemein mehr Raum für Fußgänger, Radfahrer und den MVV.

Bei Letzterem ist ganz prinzipiell auch die CSU dabei. Nur dürfe eben nicht alles auf Kosten der Autofahrer gehen. Bürgermeister Manuel Pretzl, der in Personalunion auch CSU-Fraktionschef ist, will erklärtermaßen Angebote schaffen und nicht nur mit Verboten agieren. Deshalb solle die Stadt mit einem Sonderprogramm besonders auch in Wohngebieten neue öffentliche Tiefgaragen bauen - unter anderem auch im Bereich der Leopoldstraße, wo für den geplanten Radschnellweg in Richtung Garching und Unterschleißheim rund 1000 Stellplätze wegfallen sollen. Zudem wolle man vorhandene Parkplätze von Unternehmen nutzen, sagt Pretzl. Es gehe darum, den Parksuchverkehr zu reduzieren, der inzwischen 30 Prozent des Autoverkehrs in der Stadt ausmache. Zumindest die Hälfte davon könnte künftig entfallen. Dazu sollen auch moderne, mit Sensoren ausgestattete und über App aufrufbare Parkflächen beitragen, ebenso wie private Parkplätze, die sich die Bürger teilen. Denkbar sind aus Sicht der CSU auch Zuschüsse für Bauherren, um nicht nur Parkplätze für den Eigenbedarf zu bauen.

Diese Forderungen hat die CSU in sieben Anträge geschrieben - das ist ihr Beitrag zur großen Verkehrsdebatte. "Wer gut 1000 Stellplätze an der Leopoldstraße streichen möchte, sich aber über vernünftige und attraktive Alternativen keine Gedanken macht, löst keine Probleme, sondern schafft neue", mahnt Pretzl an die Adresse derjenigen, die gerne rigoros vorgingen. "Die Autos verschwinden deshalb ja nicht von heute auf morgen von den Straßen, sondern man verlagert das Problem nur."

Die Grünen dürften bei der Sondersitzung wohl eher auf Seiten der SPD stehen - auch wenn sie finden, dass das alles reichlich spät kommt. Verkehrsexperte Paul Bickelbacher unterstellt Reiter indirekt Ideenklau: "Der OB schwadroniert über die autofreie Innenstadt, dabei hat er vor zwei Jahren eine Beschlussvorlage dazu wieder von der Tagesordnung abgesetzt." Der damalige Antrag der Grünen sah vor, innerhalb des Altstadtrings den Autoverkehr nur noch ausnahmsweise und mit Sondergenehmigung zuzulassen. Überhaupt fehle der Stadt bislang der Mut für größere Eingriffe.

Nach Reiters Willen soll es nach der großen Verkehrsdebatte Schlag auf Schlag weitergehen: Das Planungsreferat solle ein tragfähiges Konzept für die autofreie Altstadt ausarbeiten, erste Kandidaten als Fußgängerzonen sind das Tal und die Dienerstraße. Was am Mittwoch geschehe, sei "der erste große Aufschlag seit langer Zeit zum wichtigsten Thema, das wir in der Stadt haben", sagt Reiter. Es gehe um mehr als nur die Mobilität allein: um Aufenthaltsqualität, um die Stadt der Zukunft. Das Thema Parkplätze sei da "sehr kurz gesprungen".

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