Zwischen Welten:Friedhöfe voller Flaggen

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Emiliia Dieniezhna (Foto: Bernd Schifferdecker)

Unsere Kolumnistin macht sich Gedanken darüber, welchen Preis ihr Volk für die Unabhängigkeit der Ukraine bezahlt.

Kolumne von Emiliia Dieniezhna

Vor gut einer Woche, am 24. August, hat die Ukraine den Tag der Unabhängigkeit gefeiert. Meine Landsleute auf der ganzen Welt haben gefeiert, natürlich auch die Tausende Ukrainer in Bayern. Doch den Krieg haben wir dabei nicht vergessen: Eine Demo am Stachus war vielleicht eine der größten Protestveranstaltungen im Freistaat gegen den russischen Angriff auf die Ukraine.

Auch namhafte Gäste haben teilgenommen, darunter Kultusminister Michael Piazolo, Justizminister Georg Eisenreich und der Generalkonsul der Ukraine in München, Juriy Yarmilko. Die Generalkonsule der Partnerländer, der USA, Polen, Großbritannien, Niederlande und Litauen, haben ihre weitere Unterstützung für die Ukraine zugesichert.

Das Leitmotiv der Demo lautete, sich in Deutschland und Bayern für die Solidarität mit der Ukraine zu bedanken, sowohl bei den Politikern als auch bei den Menschen, die hier leben. Natürlich schwang dabei auch die Hoffnung mit, weiter unterstützt zu werden, damit mein Volk den Angriff überlebt. Bei der Veranstaltung haben wir uns gegenseitig Sieg und Frieden gewünscht.

Ich habe auf der Demo viele bekannte Gesichter gesehen. Freunde, Kollegen, Aktivisten, Schülerinnen und ihre Eltern, Bekannte aus dem Wandern-Team. Gekommen waren nicht nur Ukrainer aus München, sondern auch aus anderen Städten und Gemeinden in Bayern wie aus Pullach, Augsburg oder Nürnberg. Ich hatte das Gefühl, dass ich wahrscheinlich jede zehnte Person kenne. Das hat mir auch verdeutlicht, wie lange ich schon hier in Bayern wohne, wie lange der Krieg schon dauert - und wie lange er noch dauern kann.

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Obwohl der Tag der Unabhängigkeit ein Fest sein soll, habe ich mich schwer getan, in Feierstimmung zu kommen, denn der Tag hat längst auch einen bitteren Beigeschmack. So versucht schon seit Jahrzehnten Russland, wie zuvor auch die Sowjetrepublik, meinem Land die Unabhängigkeit zu nehmen. So denke ich in diesen Tagen sehr viel an den Preis, den mein Volk für diese Unabhängigkeit bezahlt.

Es gibt jetzt in der Ukraine Tausende Friedhöfe mit frischen Gräbern. Die Fotos von diesen Friedhöfen kann man sehr oft in den sozialen Medien sehen. Sie sehen auf den Fotos sehr schön aus. Jedes Grab von Soldaten oder Soldatinnen, die für die Ukraine im Krieg gestorben sind, wird mit der ukrainischen Flagge geschmückt. Ganze Friedhöfe sind inzwischen mit Flaggen bedeckt. Das sind Bilder von so ergreifender wie auch dramatischer Schönheit.

Für meine gute Bekannte Anastasiia ist der Preis der Unabhängigkeit noch ein anderer: die Kriegsgefangenschaft ihres Mannes. Er ist ein früherer Kollege von mir, wir haben lange zusammen für ukrainische Medien gearbeitet. Er war immer gut gelaunt und positiv und ist freiwillig an die Front gegangen, um unser Land zu verteidigen. Nun ist er Kriegsgefangener. Alle Soldaten sagen, dass das Schlimmste sei, das ihnen passieren könne: in russische Kriegsgefangenschaft zu geraten, schlimmer als der Tod. Schon seit mehr als 15 Monaten hat Anastasiia so gut wie keine Informationen von oder über ihren Mann. Das ist ihr Preis für unsere Unabhängigkeit.

Emiliia Dieniezhna, 35, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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