Unsterblich ist die "schöne Lisbeth" längst. Dafür hat ihr Mann gesorgt, der Maler August Macke, der sie immer wieder auf Gemälden und Zeichnungen verewigte. Doch es dauerte lang, bis die Forschung neben der Muse auch dem Menschen Elisabeth Erdmann-Macke nachzuspüren begann. Leicht war ihr Leben nicht, das Schicksal mutete ihr harte Schläge zu.
Erst den frühen Kriegstod Mackes, der im September 1914 in Frankreich fiel. Dann starb 1927 ihr Sohn Walter Macke siebzehnjährig an Scharlach. Zwölf Jahre später verlor sie ihren zweiten Mann, den Journalisten Lothar Erdmann, den die Nazis 1939 im Konzentrationslager Sachsenhausen zu Tode folterten. "Zwei Kriege, so viele Opfer und trotzdem hat sie nie resigniert", sagt Margret Greiner, die in der lesenswerten Romanbiografie "Mutig und stark alles erwarten" den Lebensweg dieser Frau nachzeichnet.
Über Gabriele Münter oder Maria Marc, die anderen Frauen der Künstlergemeinschaft Blauer Reiter, sei inzwischen viel geschrieben worden, findet die Münchner Germanistin und Historikerin, die bereits mehrere Frauenbiografien vorgelegt hat. Doch Elisabeth Macke nähmen weiterhin viele nur als das Model ihres Mannes wahr. Inzwischen hat ein Umdenken eingesetzt. Im Vorjahr würdigte das LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster, das ein großes Macke-Konvolut mit mehr als 400 Gemälden, Zeichnungen und Aquarellen besitzt, in einer Ausstellung nicht nur den Maler, sondern auch seine "Managerin". Schließlich ist es Elisabeth Erdmann-Macke zu verdanken, dass Macke-Ausstellungen überhaupt stattfinden können. Sie war es, die sein Werk zusammenhielt, früh in einem "Cassa-Buch" auflistete, welche Werke zu welchem Preis an wen verkauft und welche verschenkt wurden. Ein Jahr nach seinem Tod begann sie, seine Arbeiten systematisch zu registrieren und Korrespondenzen zu archivieren.
Greiners Biografie liest sich sehr lebendig, dank der vielen fingierten Dialoge sowie der zahlreichen Originalzitate aus Tagebüchern und Briefen. Kennengelernt hat Elisabeth Gerhardt, wie sie damals hieß, ihren künftigen Ehemann als 15-Jährige im Jahr 1903. Beide gehen noch zur Schule. "Weib gesehen, reine Zigeunerin (ev.), Bruder Oberprimaner, gesagt, er hätte fabelhaft interessantes Gesicht. (Ihn daher gezeichnet.) So in erste Familien geschlichen", beschreibt der 17-jährige Macke reichlich pubertär die Anfänge der Beziehung. Doch der Umweg über den Bruder funktioniert, bald darf er die behütete Tochter der begüterten Bonner Kaufmannsfamilie zeichnen. Die wiederum schwänzt bald die Schule, um mit ihm spazieren zu gehen. Als Macke die Schule abbricht, um an der Akademie in Düsseldorf Kunst zu studieren, beginnt die Zeit der sehnsuchtsvollen Briefe.
Die junge Frau liebäugelt mit der Schauspielerei, überlegt Gesang zu studieren, hegt den Traum, Schriftstellerin zu werden. An Macke schickt sie Gedichte und Märchen. Der lobt sie überschwänglich, spart aber nicht mit Kritik und Verbesserungsvorschlägen. "Wenn Du von einem Morgenzauber sprichst, kannst Du sagen: 'Ein schöner Morgen stieg herauf'." Sein "Lieselchen" hört jedenfalls auf zu schreiben, nachdem er ein ihm zu Weihnachten 1907 gewidmetes Gedicht Zeile für Zeile zerpflückt. Klug und gebildet darf Elisabeth sein, aber eben nur, soweit das der eigentlichen Berufung als Frau nicht im Weg stand, beschreibt Greiner Mackes Frauenbild. Rollentausch undenkbar. Was aber wirklich in Co-Produktion entstand, waren die wundervollen Stickereien Elisabeths. August lieferte dazu die Vorlagen.
Eine Beziehung auf Augenhöhe
Als Elisabeth 1909 schwanger wird, muss sofort geheiratet werden. Zum Heimchen am Herd wandelt sich die junge Mutter nicht, sie bleibt eine selbstbewusste junge Frau, lebt eine Beziehung auf Augenhöhe. "Macke zeigte ihr jedes Bild und vertraute ihrem Urteil", sagt Greiner. Dieses Vertrauen zeigt sich schon, als ihm am Düsseldorfer Schauspielhaus eine feste Stelle als Bühnenbildner angeboten wird. Er sympathisiert mit dem festen Einkommen, sie sieht seine Pläne als Maler gefährdet. Macke sagt ab.
Für den jungen Maler ist es ein Glück, in eine so gutsituierte Familie einzuheiraten. Elisabeths Familie finanziert das Bonner Atelierhaus, ihr Onkel Bernhard Koehler ist Augusts größter Sammler. Außer an ihn verkauft Macke zu Lebzeiten kein Bild. "Elisabeth war für ihn die große Ermöglicherin", sagt Greiner. Und Macke, das "Sonnenkind" (Greiner), offen, humorvoll und ständig Wilhelm Busch zitierend, kann das annehmen, ohne dass es sein Selbstbewusstsein angreift.
Mann im Schatten: Lothar Erdmann
Ganz anders Lothar Erdmann, Elisabeths zweiter Mann, mit dem sie drei Kinder hat. Der Journalist und spätere Redakteur beim Internationalen Gewerkschaftsbund, der sein Geschichts- und Philosophiestudium abgebrochen hatte, ist ein Freund Mackes, im Unterschied zu diesem aber national gesinnt, der freiwillig in den Krieg zieht. Ihm vermacht der Maler am letzten Abend vor seinem Ausrücken "die Lisbeth, die Kinder und alles". Der Satz sei aber nicht der Anlass für die Heirat im Jahr 1916 gewesen, sagt Greiner. Die Initiative dazu sei von Elisabeth ausgegangen. In den Tagebüchern habe sie zahlreiche Hinweise auf eine erotische Anziehungskraft gefunden. "Das lief über die Sprache." Von ihr schwärmt Elisabeth immer wieder. Doch ihr Anspruch ist hoch, sie erwartet, dass er als Dichter so Glanzvolles leistet wie August als Maler. "Das konnte er nicht erfüllen, vielleicht wollte er auch nicht", sagt Greiner.
Erdmann leidet mehrmals unter schweren Depressionen, fühlt sich als Versager, weil er lange nicht in der Lage ist, die Familie zu ernähren. Die Beziehung gestaltet sich schwierig, nicht nur wegen der gefühlten Dauerpräsenz des ersten Ehemanns - "das war fast eine ménage à trois" (Greiner) -, sondern auch wegen der politischen Differenzen über die Politik der Nazis. Elisabeth verabscheut deren Verunglimpfung Andersdenkender und die Verfolgung der Juden. Lothar, geblendet vom Wiedererstarken deutscher Größe, entschuldigt dies, wie so viele Intellektuelle der Zeit, als Kinderkrankheiten. Bis Mai 1933 tritt er als Gewerkschaftsvertreter für eine Verständigung mit den Nationalsozialisten ein, beschwört "die nationale Organisation der Arbeit". Die Nazis bringen ihn trotzdem um.
Elisabeth aber bleibt ihrem Lebenswerk treu, dem Einsatz für Mackes Werk. Bis zu ihrem Tod am 17. Mai 1978 ist sie die zentrale Anlaufstelle für Kuratoren und Museen. Die Kunstwelt verdankt ihr wirklich viel.
Margret Greiner: "Mutig und stark alles erwarten". Elisabeth Erdmann-Macke. Leben für die Kunst. btb Verlag, 352 Seiten, 24 Euro.