Chorszene im Landkreis:Ansingen gegen den Schwund

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Wer gerne im Chor singen möchte, aber sich bisher noch nicht so richtig getraut hat, hat jetzt die Gelegenheit. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Projektchor "Musik der Familie Bach" in Zorneding ist ein Versuch, wieder mehr Menschen für das gemeinsame Singen zu begeistern - denn die positiven Auswirkungen sind vielfältig. Ein Probenbesuch.

Von Johanna Feckl, Zorneding

24. Eigentlich wäre alles darauf hin ausgerichtet - nicht nur die Adventszeit, die am 24. Dezember mit dem Heilig Abend ihren Höhepunkt findet. 24 wäre auch die Wunschbesetzung von Eckhardt Meißner für seinen Projektchor Musik der Familie Bach gewesen. Denn dann könnten einige der Lieder sogar achtstimmig intoniert werden. Drei Sängerinnen beziehungsweise Sänger pro Stimme, so viele müssten es schon sein, damit es nach was klingt, erklärt der 62-Jährige - das ergibt eben 24. Im Moment sind sie aber nur zu zwölft. Den Traum von der Achtstimmigkeit hat Meißner deshalb aufgegeben. Aber alles nicht so schlimm, zwölf Sängerinnen und Sänger, das sind immerhin doppelt so viele wie im Kammerchor a cappella, dem Stammchor hinter dem Projekt.

Mittlerweile zählt der Projektchor "Musik der Familie Bach" zwölf Mitglieder. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Zornedinger Kammerchor ist nicht die einzige Singgemeinschaft in der Region, die zu kämpfen hat. So hat sich beispielsweise erst im vergangenen Sommer der Ebersberger Landfrauenchor nach 40 Jahren aufgelöst, von anderen Ensembles ist zu hören, dass sie sich zwar noch zum gemeinsamen Singen treffen, aber zu wenige seien, um noch öffentlich auftreten zu können. Die Gründe klingen überall ähnlich: Überalterung und Schwund. "Nach 20 Jahren ist auch unser Chor einfach in die Jahre gekommen, und wir haben es bislang nicht geschafft, genügend jüngere Leute zu begeistern", sagt Eckhardt Meißner. "Bei den sechs Leuten, die wir im Stammchor aktuell sind, noch von einem Chor zu sprechen, ist eigentlich vermessen." Und die Pandemie, in der zeitweise überhaupt kein gemeinsames Singen möglich war, hat vermutlich auch nicht unbedingt dazu beigetragen, dass Chöre viele neue Mitgliedsanfragen zu sehen bekommen hätten.

Früher sah die Situation anders aus. Als Eckhardt Meißner und seine Frau Gabriele vor gut 20 Jahren von München nach Zorneding gezogen sind, gab es sehr viele Chöre im der Umgebung. Nur einen Kammerchor - also einen Chor, in dem das wichtigste und einzige Instrumente die Stimmen der Sängerinnen und Sänger sind - gab es nicht. Also gründeten die Eheleute ihren eigenen, "a cappella" sollte er heißen. Eckhardt Meißner wurde dessen Leiter, 2006 schloss er seine Ausbildung zum staatlich anerkannten Chorleiter mit Auszeichnung ab, Gabriele Meißner war die erste Altistin des Ensembles. Zu sechst fingen sie dann so richtig an, nach und nach kamen immer mehr Mitglieder hinzu, zwischenzeitlich zählte der Chor sogar 20 aktive Sängerinnen und Sänger.

Vor 20 Jahren riefen Eckhardt Meißner und seine Frau Gabriele den Zornedinger "Kammerchor a cappella" ins Leben. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Wenn ich nach einem schlechten Tag zur Chorprobe gehe, dann ist von dem Schlechten schon bald nichts mehr übrig", erzählt Gabriele Meißner von dem Gefühl, das Singen bei ihr auslöst. "Gerade in einem Kammerchor kann sich jeder auf den anderen verlassen", sagt einer der Sänger, "wir funktionieren nur in der Gemeinschaft - wenn zwei mal fehlen, dann wird's schon schwierig." Ein anderer Sänger pflichtet bei: "Ohne Orchester kann niemand seinen Gesang hinter irgendwas verstecken" - doch das sei ja überhaupt nicht schlimm, schließlich "ist die Stimme immer noch das schönste Instrument".

Verschiedene Studien belegen die positiven Effekte von Singen im Chor

Und tatsächlich sind das keine rein subjektiven Eindrücke. Dass Singen glücklich macht, vor allem im Chor, und noch weit mehr positive Auswirkungen hat, wird durch die Ergebnisse verschiedener Studien belegt. So fasst der Musikprofessor Gunter Kreutz verschiedene seiner wissenschaftlichen Untersuchungen in seinem Sachbuch "Warum Singen glücklich macht" zusammen und schreibt, dass gemeinsames Singen das Wohlbefinden steigere, indem Glückshormone wie Endorphine oder Serotonin freigesetzt würden, ebenso wie das sogenannte Kuschelhormon Oxytocin - das Singen im Chor wirke also noch einmal stärker als das Singen alleine. Außerdem würden Abwehrkräfte und die eigene Atmung gestärkt, was sich positiv auf den Kreislauf auswirke.

Viele gute Gründe also, um sich einem Chor anzuschließen. Warum dann trotzdem die Nachwuchsprobleme? "Unser Eindruck ist, dass zeitlich begrenzte Engagements im Moment mehr gefragt sind", sagt Gabriele Meißner. In solch unsicheren Zeiten, in denen es mal eine Pflicht zum Home-Office gibt, mal die Kinder zu Hause betreut werden müssen, oder eine Krankheit die gesamte Familie für eine gewisse Zeit an das eigene Zuhause bindet - Zeiten, in denen es in vielen Branchen zu betriebsbedingten Kündigungen kommt und nun obendrein steigende Preise vielen Menschen Sorgen bereiten - wer will sich da schon langfristig an ein Freizeitprojekt binden?

Klassik sei im Vergleich zu Pop oder Gospel vielfältiger, findet Gabriele Meißner

Hinzu komme, so Eckhardt Meißner, dass sich Jüngere, wenn sie sich denn engagieren möchten, dies vermehrt in Gospel- oder Pop-Chören täten. "So etwas singen wir in unserem Stammchor auch, aber eben nicht nur." Die Harmonien in der klassischen Musik seien zwar anspruchsvoller und in einem kleineren Kammerchor falle ein "Versinger" schneller mal auf - "aber die Musik ist einfach auch vielfältiger", sagt Gabriele Meißner. "Da ist richtig was los, in einem klassischen Lied." Wer etwas Geduld mit sich selbst und Liebe zur Musik mitbringe, der werde von der Klassik ziemlich sicher nicht enttäuscht.

Der Projektchor Musik der Familie Bach unter Leiter Eckhardt Meißner nun ist ein Versuch, dem Trend in Richtung Minimalbesetzung etwas entgegenzusetzen. Seit Oktober wird einmal pro Woche geprobt, enden wird das Projekt mit zwei Aufführungen im Februar. Und wer weiß, vielleicht bleibt der eine oder andere Projektsänger dem kleinen Stammchor ja erhalten.

Mehr Infos zum "Kammerchor a cappella" und dem aktuellen Projektchor gibt es online .

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