Ein Gespräch war anberaumt, samt kleinem Zaubertrick, um Florian Reinhold alias Gaston Florin besser kennenzulernen. Ein Porträt von einem Künstler, der schon seit Jahrzehnten auf den Bühnen der Welt unterwegs ist, einem Zauberweltmeister gar, schreibt sich schließlich nicht nur aus Archivrecherche. Doch wie das so ist, wenn man mit Tausendsassas und Kreativköpfen verabredet ist, wird aus dem Gespräch schnell ein Eintauchen in eine Welt voller Ideen und verdrehten Rollenmustern, eine ungeplante Live-Performance und ein Abstecher nach Hollywood. Aber von vorn.
Florian Reinhold, 55, empfängt in einem geräumigen Giebelstudio in seinem Heimatsort Bruck. Katze Jane streicht unentschlossen um die Beine, bevor sie elegant durch die Tür entschwindet. Reinhold ist etwas abgearbeitet, wie er später erzählt, von einem aufwändigen Zirkusprojekt in Dresden. Die meisten kennen ihn als begnadeten Zauberer, den Weltmeistertitel hat er sich 2006 als Gunter geholt - mit der herzerwärmenden Geschichte eines Trickaholikers.
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Wie aber wird man eigentlich Zauberer? "Indem man den Zauberkasten des großen Bruders schrottet", antwortet Reinhold und lacht. Schon mit zehn, elf Jahren liest er alles an Zauberbüchern, was damals so verfügbar ist. "Ich hatte keine Vorbilder - und auch keine Ahnung." Er bewirbt sich mit etwa 14 Jahren an der Zauberschule in München, wird aber abgelehnt. Als Tipp bekommt er, das Standardwerk "Handbuch der Magie" von Jochen Zmeck zu lesen. Das inhaliert er, wie er erzählt, und bewirbt sich mit 17 abermals - dann mit Erfolg.
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Als Zauberschüler besucht Reinhold Seminare und Kongresse, sieht dabei unter anderem Dai Vernon alias Der Professor; ein Zauberkünstler aus den USA, Jahrgang 1894, gestorben 1992, damals schon "eine lebende Legende", wie Reinhold findet. Vernon habe das Zaubern revolutioniert, indem er - beeinflusst vom Vorgehen von Falschspielern - den Modus "be natural" eingeführt habe: eine Technik, die Zaubern aussehen lässt wie einen normalen Bewegungsablauf. Florian Reinhold ist bis heute tief beeindruckt von dieser Begegnung. Er selbst macht 1989 das Abitur, nachdem er Haupt-, Realschule und Gymnasium durchlaufen hat. Seinen Zivildienst leistet der gebürtige Münchner in der Psychiatrie in Haar ab, "da habe ich auch viel gelernt". Von seinem Entlassungsgeld kauft sich Reinhold einen VHS-Rekorder und einen Fernseher.
Ein Gruß an Shakespeare - und ein Stinkefinger Richtung Ballettschule
Der erste Film, den er sich ansieht, ist "Fame - Der Weg zum Ruhm", in dem es um junge Schauspielschüler geht. Eigentlich ein Film, der glücklich machen sollte, findet Florian Reinhold. "Ich aber war latent depressiv", sagt er. "Ich dachte: Das, was die da machen, will ich auch." Also bewirbt er sich an den Schauspielschulen Deutschlands - und landet schließlich bei einer privaten Ballettschule. Rückblickend der richtige Weg: "Ich bin heute sehr froh, dass ich das gemacht habe." Neben klassischem Ballett wird dort auch Method Acting gelehrt, eine Methode der Schauspielerei, bei der viel mit eigenen Erfahrungen und Erinnerungen gearbeitet wird. Um seine Ausbildung zu finanzieren, schiebt Florian Reinhold Nachtschichten bei sozialen Einrichtungen.
Dann der Cut: Ein halbes Jahr vor Ende der Ausbildung fliegt der angehende Schauspieler von der Schule. Der Grund? "Mir wurde gesagt, ein Zauberer braucht keine Schauspielausbildung." Doch wie so oft wird es richtig interessant, wenn Plan A nicht klappt. Oder, um es mit Max Frischs' Worten zu formulieren: "Die Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen." Und Florian Reinhold wird produktiv: "Ich gründe eine Zaubertruppe und mache auf Schauspieler." So entsteht "Ein Zaubernachtstraum", angelehnt an den Shakespeare'schen Klassiker, in dem Reinhold Zauber und Theater miteinander verschlingt und all die Jungs, die er bislang nicht spielen durfte, vorbeidefilieren lässt - Cyrano de Bergerac, Romeo, Godot. "Ein künstlerischer, freundlicher Stinkefinger" in Richtung Ballettschule, wie er es heute nennt.
2006 wird er Zauberweltmeister. Und jetzt?
In den nächsten Jahren reist Reinhold als Gaston Florin um die Welt, nimmt an den Zauber-Weltmeisterschaften teil und heimst etliche Preise ein: 1994 belegt er den vierten Platz in Yokohama und 2000 in Dresden; 2003 wird er in Lissabon Dritter in der Kategorie Kartenzauberkunst, 2005 Deutscher Meister in Allgemeiner Magie. "Mein Hauptziel war es nie, zu gewinnen", sagt Florian Reinhold. "Das Spannendste war: Krieg ich das hin, eine Comedy-Nummer ins Tragödienhafte zu steigern, und dann wieder Comedy zu machen?" Ja, es ist möglich - schließlich wird er 2006 in Stockholm Weltmeister.
Ja. Und dann? "Danach hing ich etwas durch", erzählt der Zaubermeister. Alles scheint erreicht. Was jetzt? "Mein Schauspiellehrer schlug mir vor: Spiel doch eine Frau", erinnert sich Florian Reinhold. "Zuerst habe ich mich gewehrt, ich hatte Schiss, um meine Karriere." Doch irgendwie reizt ihn die Idee dann doch. Er will es jedoch anders machen als die Männer, die bisher als Frauen auftraten, anders als beispielsweise Peter Alexander in der klischeebeladenen Kiste "Charley's Tante". Jetzt tritt Jacqueline auf den Plan, Reinholds weibliches Alter Ego, das sich im Lauf der Jahre immer mehr verselbstständigt. Zuletzt, im Lockdown, begann sie sogar - zum Schrecken Gastons - den digitalen Raum zu erobern und öffentlich zu singen.
Mittlerweile braucht Gaston Florin weder Glitzerkleid noch Lidschatten, um sich in Jacqueline zu verwandeln. Unvermittelt sitzt ein französisches Showgirl auf einem Sessel im Giebelstudio in Bruck, Jacqueline ist, wie ihr Schöpfer Reinhold beschreibt, "sehr sexy, nicht übergriffig, freundlich". Sie spricht mit französischem Akzent, zwirbelt sich das Haar durch die Finger, hat die Beine übereinandergeschlagen. Ihr Entree-Satz sei, so erzählt es Reinhold: "Wurden Sie heute schon irritiert? Das ist genau mein Job." Damit nämlich nehme man der Verwirrung des Gegenübers - das ja rätselt: Ist das ein Mann? Eine Frau? Oder was? - erst einmal die Schärfe.
Jacqueline war indes nicht von Anfang an Jacqueline. Reinhold will authentisch sein, nicht nur "ein Holzfäller im Kleid". Er trainiert Bewegungstechniken, er übt, mit seinem Dekolletee zu kokettieren. Er beobachtet Frauen in der Fußgängerzone, studiert die Teilnehmerinnen von Miss-Universe-Wahlen. "Meiner Süßen habe ich erzählt, ich sähe mir das aus rein professionellen Gründen an." Er fragt immer wieder Freunde und Bekannte: "Möchtest du mit einer netten Singlefrau essen gehen?" - und kommt dann als Jacqueline zu den Treffen. Das, so sagt es Reinhold heute, sei die Quelle einer neuen Karriere gewesen.
Gleichzeitig muss Reinhold nun die Welt hinterfragen, in der er bisher gelebt hat: Als Frau unterwegs zu sein, das "war, als wäre ich auf einem neuen Kontinent gelandet". Jacqueline wird von anderen Frauen in ihre Speckröllchen gekniffen und für "süß" befunden, Männer raten ihr zu anderer Farbwahl beim Kleid, der Nachhauseweg in der Dunkelheit fühlt sich plötzlich gefährlich anders an. All diese Erfahrungen schildert Reinhold Florian in seiner Performance "Mann spricht Frau", die er bei Feiern von Business-Leuten sowie bei Start-Up-Treffen für Frauen zum Besten gibt. Da geht es viel um die Macht der Körpersprache, um Machos und Diven - aber auch darum, mehr Verständnis zu wecken für das jeweils andere Geschlecht.
Inwiefern Jacqueline ihn selbst als Mensch verändert hat? Florian Reinhold muss nicht lange nachdenken: "Inzwischen fallen mir Frauen in ihren 50ern, 60ern auf, die sich schön finden - und ich finde sie selbst auch schön." Besonders vor dem Hintergrund, dass Frauen in den Medien ab einem gewissen Alter nicht mehr in Erscheinung treten, wehrt er auch Anregungen von Freunden ab, die ihm raten: Mach Jacqueline doch ein paar Jahre jünger.
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Dreimal war er schon in Hollywood zu Gast - auch Jacqueline kam gut beim US-Publikum an
Für das neue Jahr hat Florian Reinhold sich vorgenommen, Jacqueline mal von anderer Seite zu betrachten: Welchen Mehrwert hat ihr Auftreten für Männer? Was könnten diese von ihr lernen? Und es gibt auch schon Pläne für 2024: Gemeinsam mit einigen Zauberkollegen will Reinhold das Magic Castle in Hollywood entern, einen Privatclub in viktorianischem Stil für Zauberer aus aller Welt, in den man nur als Mitglied oder mit Einladung kommt. Die Zauberer treten für eine Woche in verschiedenen Räumen auf, vor Touristen, Hollywood-Stars sowie den Größen des magischen Showbusiness. Dreimal war Gaston Florin dort bereits zu Gast, hat auch Jacqueline auftreten lassen - auch beim amerikanischen Publikum kam sie bestens an.
Am Ende des Termins mit Florian Reinhold hat man das Gefühl, ein gesamtes Abendprogramm durchlaufen zu haben. Für ein Zauberkunststück ist zwar am Ende leider keine Zeit mehr, es wird also keine Kaninchen aus dem Hut gezogen - trotzdem fühlt sich der Besuch ein bisschen an wie Zauberei.