Streetart in Grafing:Adé, Tristesse!

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Schülerinnen und Schüler der Ebersberger Realschule bemalen im Rahmen einer Kunstaktion acht Trafohäuschen in Grafing

Von Karin Pill

Was haben unauffällige, weiße Trafohäuschen mit den täglichen Corona-Hiobsbotschaften zu tun? Richtig, es bedarf jeweils dringend einer Aufmunterung! Die Schülerinnen und Schüler der Ebersberger Realschule schlagen nun mit einem Kunstprojekt in Grafing zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie verschönern mit aussagekräftigen Motiven acht Grafinger Trafohäuschen und sorgen so für bunte Lichtblicke in der Herbsttristesse und der nicht enden wollenden Ödnis der Pandemie.

Eigentlich wären die Schülerinnen und Schüler Ende Oktober im Rahmen einer Studienfahrt nach Kroatien gefahren. Doch leider war das wegen des Corona-Virus nicht möglich. Auch Exkursionen, Sommerfeste oder Museenbesuche waren im vergangenen wie im aktuellen Schuljahr undenkbar. Da kam es sehr gelegen, dass der Grafinger Stromversorger Rothmoser bei der Ebersberger Realschule anfragte, ob die Schülerinnen und Schüler des Kunstzweigs nicht die hiesigen Trafohäuschen bemalen wollten. "Die einzige Vorgabe, die die Firma Rothmoser uns machte, war, dass die Motive etwas mit Natur und Nachhaltigkeit zu tun haben sollten", erzählt Stephanie Scharfenberg, Kunstlehrerin und Klassenleiterin der 10e am Telefon. "Außerdem war das irgendwie ein Ausgleich zu all den Veranstaltungen, die in letzter Zeit ins Wasser gefallen sind. Denn so sind die jungen Leute beisammen an der frischen Luft und machen etwas, das ihnen Spaß macht."

"Es ist schon cool, was wir da machen dürfen", sagt Kathi, 16 Jahre alt. Sie bemalt gerade zusammen mit Lilly, 15 Jahre, und Lea, ebenfalls 15 Jahre, das Trafohäuschen an der Kreuzung Am Feld und Sanftlring in Grafing. "Irgendwie ist es auch eine Ehre, weil hier so viele Leute vorbeikommen und dann unsere Kunstwerke sehen", sagt Lea. Spätestens seit Fridays for Future sind für die drei Schülerinnen Begriffe wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz keine Fremdwörter mehr. "Am Anfang waren die Demos schon mehr ein Hype. Aber trotzdem hab ich mir Gedanken darüber gemacht, wie ich weniger Plastik verbrauchen könnte oder habe mich ermahnt, das Licht beim Verlassen eines Raumes auszuschalten", sagt Lilly. Als ihre Kunstlehrerin ihnen dann Ende der neunten Klasse von dem Projekt erzählte, machten die Jugendlichen sich Gedanken zu möglichen Motiven. Jeder und jede der 24 Schüler sollte einen Entwurf einreichen. Die acht besten wurden dann der Firma Rothmoser vorgeschlagen. Schließlich schlossen sich immer drei Leute zu Teams zusammen, die nun jeweils schon seit mehreren Wochen an den acht in Grafing verteilten Standorten malen.

Die Bewohner der Straßen Am Feld und Sanftlring können also täglich mitansehen, wie Kathi einen farbenfrohen, exotischen Eisvogel ans Trafohäuschen pinselt und dieser stetig mehr Farbe annimmt. Scharfenberg erzählt, dass der Eisvogel der einzige exotische Vogel in unseren Gefilden sei. Das andere Motiv, das Lilly und Lea malen, war einer der acht Entwürfe, die der Firma Rothmoser vorgestellt worden waren. Lea hat sich dabei ganz besondere Gedanken gemacht: "Stadt und Land müssen miteinander in Einklang leben. Die Stadt braucht Natur und Land, so wie andersherum auch." Deshalb entwarf Lea das Bild einer Weltkugel mit den Weltmeeren und einem Baum darauf. Dieser Baum streckt seine Hand einer städtischen Skyline entgegen, sie wird von der Hand eines Wolkenkratzers ergriffen. "Ich finde es toll, dass meine Schülerinnen und Schüler den Gedanken der Nachhaltigkeit an acht Orten dokumentieren dürfen und somit die Grafinger zum Nachdenken anregen können", sagt Scharfenberg.

Nachhaltigkeit spielt auch für die Grafinger Firma Rothmoser eine immer größer werdende Rolle. Von 2021 an bietet der Familienbetrieb Naturstrom. "Das bedeutet, dass dann nur noch klimaneutraler Strom aus den Steckdosen unserer Kunden fließt", sagt Marketingmanagerin Sarah Hilbich. Dieses Engagement soll nun auch an den Trafohäuschen sichtbar werden. Die Firma Rothmoser hat die Farben für die Kunstwerke bezahlt und ist, so Hilbich, dankbar, dass die Schülerinnen und Schüler so viel Herzblut in die Aktion stecken. "Wenn die Häuschen fertig bemalt sind, wollen wir gerne einmal eine Tour machen und schauen, was aus den weißen Kästen geworden ist."

Doch so aufgeschlossen die Rothmosers, Lehrerin Scharfenberg und die Anwohner dem Projekt gegenüber sind - das Wetter war den jungen Leuten nicht immer wohlgesonnen. An manchen Tagen hatten sie schon ihr gesamtes Material ausgebreitet, als es zu regnen anfing. Da halfen auch die eilig aufgespannten Plastikplanen nichts mehr. An diesem Novembertag ist es bereits sehr kalt, die Mädchen frieren. Der Unterschied vom Malen auf Papier zum Malen auf Mauerwerk ist zudem eine Herausforderung für die jungen Künstlerinnen: "Es ist schon schwierig, das Motiv von einem DIN-A4 Blatt auf die große Fläche zu bringen. Außerdem ist die Struktur der Mauer natürlich großporiger und robuster als die eines Blattes", sagen sie. Dennoch: Sie bekommen viel Zuspruch von den Anwohnern und den Straßenarbeitern, die gerade an einer Baustelle nebenan beschäftigt sind. "Die Leute sind sehr interessiert und sehr freundlich", sagt Scharfenberg. Lilly, Lea und Kathi durften sich sogar schon ab und zu über Süßigkeiten freuen, die Anwohner vorbeigebracht haben. "Viele Leute bleiben auch einfach stehen, schauen und sind glücklich über ein bisschen Farbe in der Nachbarschaft", sagen die drei Mädchen.

Insgesamt könnte man die Grafinger Kunstaktion also als Win-Win-Situation bezeichnen. Die Firma Rothmoser hat nun künstlerisch-ansprechende Trafohäuschen mit Aussagekraft, de Anwohner blicken nicht mehr länger auf öde, weiße Klötze, und für die Schülerinnen und Schüler hat das Projekt gleich mehrere Vorteile: Durch das Malen entfliehen sie für ein paar Stunden der Corona-Pandemie, die "den jungen Leuten schon sehr zu schaffen macht", wie Lehrerin Scharfenberg sagt. Zugleich bot die Aktion auch einen sinnvollen Zeitvertreib in diesen Herbstferien ohne jegliche Ablenkung durch Veranstaltungen oder Gastronomie. Drittens merkt man den Schülerinnen an, dass es ihnen sehr große Freude bereitet, zu dritt ein Kunstwerk zu schaffen, das ganz ihren eigenen Pinseln entspringt.

© SZ vom 10.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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