Kultur im Landkreis:Hinter den Kulissen des Literaturbetriebs

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Die Literatur herauszuholen aus ihrem Elfenbeinturm ist das Anliegen der Kulturmanagerin Susanne Meierhenrich aus Poing. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kulturvermittlerin Susanne Meierhenrich aus Poing ist verantwortlich für Festivals und Lesungen, aber auch auf diplomatischem Parkett sicher. Ein Gespräch über Provokateure, Geldgeber und den Trend zur Provinz.

Von Michaela Pelz, Poing

Kunst und Kultur sind politisch. Manchmal ganz explizit, wie wir dieser Tage immer wieder feststellen, zuweilen aber auch erst auf den zweiten Blick. Etwa dort, wo sie ihre völkerverbindende Kraft entfalten, indem sie den Blick weiten für die Schönheit und Weisheit anderer Sprachen und Gesellschaften. Darum gibt es bei der Frankfurter Buchmesse seit 1976 thematische Schwerpunkte und seit 1988 jährlich eine Gastlandpräsentation. Auch bei der Leipziger Buchmesse wurde ab 1991 immer wieder der Blick ins Ausland gelenkt, vor allem nach Südosteuropa, bevor man 2014 ein regelmäßiges Ehrengastprinzip etablierte. Eine, die daran von Anfang an als Pressebeauftragte für die Gastländer Schweiz, Litauen, Tschechien und Rumänien maßgeblich beteiligt war: Susanne Meierhenrich aus Poing.

Eine ihrer größten Herausforderungen: zwischen kritischen Geistern und Amtsträgern zu vermitteln

Die selbständige Fachfrau für Presse- und Kulturmanagement weiß genau, dass es bei solchen Messen wie in Leipzig für einen reibungslosen Ablauf hinter den Kulissen vor allem auf Fingerspitzengefühl und diplomatisches Geschick ankommt. Denn in die Präsentation eines Gastlandes als Kulturnation, wozu neben Literatur auch Theater, Film, Fotografie und Bildende Kunst gehören, sind nicht nur die Macherinnen und Macher selbst involviert, sondern auch Geldgeber, also staatliche Stellen des jeweiligen Landes. Oft herrsche aber gerade in Mittel- und Osteuropa eine große Skepsis gegenüber Politikern und Amtsträgern, die sich ihrerseits gern auf den kulturellen Bühnen sonnten, erklärt Meierhenrich. Als Mittlerin zwischen den Welten müsse sie aber allen gerecht werden - dem kritischen Geist, der im Land herrscht und in Deutschland die Menschen interessiert, wie auch den offiziellen Stellen. Nicht selten habe sie im Vorfeld gehört: "Ich trete übrigens nicht auf, wenn der und der dabei ist" - aber dann sei es doch irgendwie gegangen.

Der tschechische Künstler David Černý formte in Erinnerung an einen historischen Moment der europäischen Geschichte die Skulptur "Quo vadis", einen Trabi auf vier Beinen. (Foto: Veranstalter)

Besonders in Erinnerung geblieben ist der Poingerin dabei die Begegnung mit dem tschechischen Bildhauer David Černý: "Ein Visionär und auch Provokateur, eine Art Rockstar unter den bildenden Künstlern. Mit seinem eigenen, kleinen Flugzeug kam er morgens zur Pressekonferenz von Prag nach Leipzig geflogen", erzählt Meierhenrich. Da habe Černý dann erzählt, was er mit der Skulptur "Quo Vadis" verbindet, die man in der Glashalle, gleich hinter dem "Blauen Sofa", platziert hatte. Man spürt, wie beeindruckt sie von dem "charismatischen und unkonventionellen Typ" war, dessen Trabi auf Beinen an den Sommer 1989 erinnert: Ganz Prag sei damals voll mit diesen Autos gewesen, zurückgelassen von ihren Besitzern, nachdem diese sich in die Deutsche Botschaft geflüchtet hatten. Noch heute ist die PR-Expertin stolz darauf, dass sie diesen Künstler, der in kein Schema passt, gleichzeitig mit dem Kulturminister zum Auftritt vor Kameras bewegen konnte. "Man muss halt schauen, wie man es jedem rechtmacht", sagt sie über ihre diesbezügliche Leistung bescheiden.

Das Ziel vieler Festivals: die Literatur aus ihrem Elfenbeinturm herauszuholen

Doch in ihrer gut 20-jährigen Selbständigkeit hat Susanne Meierhenrich längst nicht nur den Menschen in Leipzig durch den Kontakt mit internationalen Künstlerinnen und Literaten Zugang verschafft zu deren facettenreichen Ursprungsländern. Auch anderswo hat die engagierte Bücherfrau die Literatur aus ihrem Elfenbeinturm herausgeholt und zu den Leserinnen und Lesern gebracht. Etwa beim Literaturfestival Potsdam, wo es zum Konzept gehört, schöne alte Gemäuer, historische Parks und "die besondere Naturlandschaft" einzubeziehen. "Die Texte erschließen sich bei einer Lesung auf dem Wasser nochmal ganz anders", beschreibt Meierhenrich exemplarisch diesen besonderen Aspekt eines der Festivals, für die sie mitverantwortlich zeichnet.

Das Literaturfest München hat sie mit aufgebaut

Das andere große Event, an dem erkennbar ihr Herz hängt, ist das Literaturfest München, das die Poingerin mit aufgebaut hat. Seit 2011 bevölkern da mehr als 100 Autoren drei Wochen lang die Stadt, es gibt ein umfangreiches Schulprogramm mit Kreativwerkstätten, Events an den unterschiedlichsten Orten und das "Forum Autoren", bei dem eine Persönlichkeit aus der Literatur freie Hand hat, zehn Tage lang ein Programm mit Gästen eigener Wahl zu gestalten. Durch die Pandemie mussten freilich viele dieser Veranstaltungsreihen entfallen oder in deutlich kleinerem Rahmen stattfinden, was sich aber hoffentlich in absehbarer Zeit wieder ändern wird.

Susanne Meierhenrich aus Poing zeichnet für viele Festivals und andere Events rund ums Lesen verantwortlich. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Apropos Veränderungen in der Buchbranche - was ist Meierhenrich diesbezüglich am meisten aufgefallen? Immerhin bewegt die gebürtige Bad Oeynhausenerin sich schon sehr lange in der Szene, genau genommen seit ihrem Studium der Literatur, Philosophie und Theaterwissenschaften an der LMU in den Neunzigern. Erst als freie Lektorin bei namhaften Verlagen, dann nach Stationen bei der Bertelsmann Buch AG, der Akademie des Deutschen Buchhandels und dem Kulturreferat München schließlich als Freiberuflerin, die unter anderem das Netzwerk der Literaturhäuser aufbaute.

Nicht nur junge, sondern auch arrivierte Autoren seien im Netz sehr aktiv

"Der Austausch zwischen Schreibenden und Lesenden ist intensiver und direkter geworden", sagt Meierhenrich. Immer mehr Literaten verlegten ihre Aktivitäten auch ins Netz, seien zusätzlich als Blogger unterwegs. Und zwar nicht nur die jungen, sondern auch arrivierte Autoren wie Hanns-Josef Ortheil. Der 70-Jährige bekomme erstaunlich viele Rückmeldungen auf seine tagebuchartigen Einträge mit Fotos, die seine täglichen Erlebnisse dokumentieren, erzählt die Poingerin.

Autor Hanns-Josef Ortheil 2012 bei einer Lesung in der Grafinger Stadtbücherei. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der zweite Trend, den die Expertin ausgemacht hat: eine starke Bewegung aus der Stadt heraus. Nicht nur seien die Beschreibungen der Provinz und Region mit dem Umzug vieler Intellektueller aufs Land zahlreicher geworden - "man denke nur an Juli Zeh" - nein, es gebe auch immer mehr faszinierende Veranstaltungen dort.

Wie wäre es denn dann mit einem Literaturfestival im Landkreis Ebersberg? Das könne sie sich durchaus vorstellen, antwortet Susanne Meierhenrich, die kurz zuvor ihre Arbeit so charakterisiert hat: "Ich baue Bühnen für einen fruchtbaren Dialog zwischen Künstlern und Öffentlichkeit. Gerne an besonderen Orten mit besonderer Aura." Und über solche Plätze verfügt der Landkreis ja zweifelsohne...

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