Kunst in Zeiten von Corona:Triage und Vergänglichkeit

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"Die Bekenner", eine neue Gruppe um Peter Kees aus Steinhöring, setzt sich mit den Facetten der Pandemie auseinander

Von Anja Blum

Ein langsam verglühender Apfel, eine fiktive Gesundheitsvollmacht, ein bedrückendes Home-Office im Kellergang: "Die Bekenner" setzen sich derzeit mit der Corona-Krise auseinander, auf ganz unterschiedliche Weise. Die drei Mitglieder der neuen Künstlergruppe experimentieren, jeder für sich versteht sich, stehen aber dabei in intensivem Austausch, via Telefon oder Onlinemeetings. "Da geht es sehr philosophisch und auch mal kritisch zu, das ist sehr anregend", sagt Peter Kees, Aktionskünstler aus Steinhöring. "Wir sprechen einfach eine ähnliche Sprache." Die anderen beiden "Bekenner" sind der Dachauer Fotograf Werner Bauer und Thomas Neumaier aus Ingolstadt. Kennengelernt haben sich die drei über den Kunstverein Ebersberg. Bauer stellt dort regelmäßig aus, Neumaier wurde bei der Jahresausstellung 2019 zum Thema "Arkadien", die Kees organisiert hatte, mit dem Kunstpreis der Stadt Ebersberg ausgezeichnet.

Bereits vor einem knappen Jahr haben die "Bekenner" angefangen, sich auszutauschen und zusammenzuarbeiten, die Entstehung der Gruppe hatte also gar nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. Ganz im Gegenteil: Durch sie wurden sogar bereits geplante gemeinsame Aktionen im öffentlichen Raum plötzlich unmöglich gemacht. Doch aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben, deswegen wollen die Bekenner nicht herausposaunen, was sie da so alles in der Pipeline haben. Bauer verrät nur so viel: "Wir wollen Störungen in die Welt setzen, die sich nicht nur an ein elitäres Kunstpublikum richten, sondern an alle."

Werner Bauer hat ein düsteres "Home-Office" in Szene gesetzt. (Foto: Veranstalter/diverse)

Nun aber steht erst einmal das Thema Corona im Vordergrund des Schaffens des Trios, das Fotografie ebenso beinhaltet wie Videos, Objekte oder Performances. Allerdings, das betonen alle Drei, sollen die Arbeiten über das Thema "Corona" hinausreichen. "Das Tagesgeschehen kann Ideen auslösen, aber die Kunst muss insgesamt darüberstehen", sagt Bauer. "Sie muss länger wirken können, muss in fünf Jahren auch noch aktuell sein." Deswegen haben die Bekenner erste, teils sehr naheliegenden Ansätze bereits wieder verworfen. Neumaier zum Beispiel, der bekannt ist für seine Nature-Art, hatte eine Atemschutzmaske aus einem Stück grünem Plastikrasen gebastelt, Kees war einer Klopapierrolle mit dem Bunsenbrenner zu Leibe gerückt. "Der erste Reflex ist natürlich die Satire, aber solche Sachen sind mittlerweile inflationär, das ganze Internet ist voll davon", sagt Neumaier. "Das ist nicht unbedingt ein Fortschritt."

Auch deswegen haben sich die Bekenner ganz dezidiert dagegen entschieden, mit ihrer Kunst nun online zu gehen. Sie wollen nicht mitschwimmen im Strom all jener, "die eine Gitarre halten können und jetzt meinen, sich äußern zu müssen", so Bauer. Deswegen lassen sich die drei Künstler lieber Zeit, um Ideen zu sammeln, zu überdenken, zu verwirklichen und irgendwann gemeinsam ganz analog damit an die Öffentlichkeit zu gehen. "Live ist immer besser", sagt Kees. Fest steht: Es soll eine Bekenner-Ausstellung geben. Möglicherweise mit noch weiteren Künstlern, vielleicht in einer Galerie, aber vielleicht auch "in einem Gebäude, das durch Corona seine Funktion verloren hat", orakelt Neumaier. Wer weiß schon, was das alles noch für Folgen haben wird.

Thomas Neumaier spielt schon seit Jahren bei seinen "Checkpoints" mit Nähe und Distanz im öffentlichen Raum, das Foto ist in Venedig entstanden- (Foto: Die Bekenner/oh)

Das ist auch die Frage, mit der sich die Bekenner nun auseinandersetzen. Was macht Corona mit dem Gesundheitssystem, mit der Wirtschaft, der Politik, der Gesellschaft, der Kunstszene. Das Thema ist ein weites, weites Feld. Und in den Augen der drei Künstler höchst brisant. Sie sehen vor allem wirtschaftliche und politische Gefahren, fürchten, "dass viele Kleine auf der Strecke bleiben und Große noch mächtiger werden", und dass viele Regime die Gelegenheit nutzen, freiheitliche Rechte längerfristig einzuschränken. "Die Krise ist eine Chance, endlich einmal nachzudenken", sagt Kees. "Über unseren ökonomischen Irrsinn zum Beispiel, über die Kapitalisierung des Gesundheitswesens, über Europa oder Fake News." Und Neumaier ergänzt: "Mich beschäftigt, dass nun gesellschaftliche Missstände auf Corona geschoben werden: Die Menschen sind in ihren Wohnungen auf sich geworfen, ohne Shoppen, dafür gibt es viel häusliche Gewalt."

Doch auch mit dem Thema Gesundheit setzt sich der Ebersberger Kunstpreisträger derzeit auseinander: In einer fiktiven Vollmacht überträgt er alle Entscheidungsgewalt über sich und seinen Körper an die "Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland. Sie darf insbesondere in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff einwilligen oder diese ablehnen, auch wenn die Gefahr besteht, dass ich sterbe oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleide". Sogar freiheitsentziehende Maßnahmen sind ausdrücklich eingeschlossen. Eine andere Arbeit widmet sich dem Thema Triage, also der medizinischen Einstufung von Patienten nach Dringlichkeit: "Bitte zutreffende Angabe Ihres Alters ausschneiden und gut sichtbar auf der Kleidung anbringen!", heißt es da bei Neumaier, daneben gibt es viele Rechtecke mit "Triage 70" bis "Triage 99". Hier gehe es ihm um die Diskriminierung gewisser Gruppen, in dem Fall der älteren Menschen. "Es gibt ja durchaus radikale Konzepte, die vorsehen, die Alten in Reservate zu stecken, damit die Wirtschaft endlich wieder anlaufen kann", sagt der 72-Jährige. Neumaier selbst hatte bereits einen Corona-Fall in der Familie, wurde daraufhin aber negativ getestet.

Peter Kees hat einen Apfel verbrannt, verbotene Frucht und Machtsymbol zugleich. (Foto: Peter Kees/oh)

"Ich habe mein Fotostudio gleich neben dem Haus, insofern bin ich eigentlich immer irgendwie in Quarantäne", sagt Bauer und lacht. Der 58-Jährige arbeitet derzeit an einer Serie, die sich mit aktuellen Schlagworten beschäftigt. Home-Office zum Beispiel, Kurzarbeit - "gibt es auch Langarbeit? - oder "die digitale Nacktheit, der wir uns gerade mehr denn je aussetzen". Auch die eingeschränkte Versammlungsfreiheit hat Bauer schon thematisiert: Die Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt einen menschenleeren Straßenrand, nur ein Mann steht dort, vor dem Mund eine weiße Maske, in der Hand ein Schild. "Großdemo" steht darauf geschrieben.

Kees befindet sich momentan tatsächlich in Quarantäne, seine Partnerin hat Grippesymptome, ein Testergebnis liegt aber noch nicht vor. Insofern ist der Steinhöringer sehr froh, auf dem Land zu leben, in einem Haus mit Garten, in dem er seiner Kreativität ungestört freien Lauf lassen kann. Denn Kees hat den Bunsenbrenner für sich entdeckt, mehrere Arbeiten sind mithilfe des Flammenwerfers schon entstanden. Zum Beispiel hat Kees in alte Teppiche Wörter hineingebrannt: "Liberté, Égalité und Fraternité". Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit - um an die Werte des Humanismus zu erinnern. Aber auch Verbrennungen hat Kees gefilmt, so soll eine Trilogie entstehen, die in Dauerschleife an drei Wände projiziert werden kann. Im Hintergrund: schräge, selbst improvisierte Orgelmusik und Vogelgezwitscher.

Der erste Film zeigt, wie ein Apfel, verbotene Frucht und Machtsymbol zugleich, gleichsam von innen heraus verglüht. Wirklich brennen tut eigentlich nur der kurze Stiel. Erst wird der Apfel schwarz und rissig, später geht die Oberfläche eher ins Grau. Im Inneren schwelt die Glut. Ein absurder, verstörender Prozess. Das gilt umso mehr auch für Kees' Memento Mori, das eine verbrennende Meise zeigt. Er hatte den Vogel tot im Garten gefunden. "Das ist schon ziemlich brutal", sagt der Künstler, und man kann ihm nur zustimmen. Wie es dem Tier weiße Masse aus dem Kopf drückt, das ist nichts für schwache Nerven. Doch nicht nur die Vergänglichkeit gehört zum Leben, sondern auch die Auferstehung: Der dritte Film heißt "Phönix" und zeigt, wie aus einem Häufchen Asche der Flügel eines Vogels entsteht. Kees hat auch diesen verbrannt, spielt das Geschehen aber rückwärts ab. So gibt die Kunst der Bekenner auch der Hoffnung Raum. Keine schlechte Idee in diesen Zeiten der Krise.

© SZ vom 04.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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