Gedenken in Poing:Unfassbare Unmenschlichkeit

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Zum Gedenken an den Todeszug treten Schüler des Franz-Marc-Gymnasiums Markt Schwaben mit einer szenischen Lesung auf. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Am Poinger Mahnmal für den Evakuierungstransport im April 1945 wird nach zwei Jahren Corona-Pause der KZ-Häftlinge gedacht. Für Bürgermeister Thomas Stark ist die Veranstaltung wichtiger denn je

Von Alexander Karam, Poing

Knapp 100 Interessierte haben sich bei frühlingshaften Temperaturen am Poinger Mahnmal für den Todeszug von 1945 versammelt. Die bereitgestellten Stühle reichen nicht für die Anzahl der Anwesenden. Viele müssen der Veranstaltung im Stehen folgen.

Doch das ist für die Zuschauer kein Grund, wieder zu gehen, sogar einige Vorbeikommende bleiben stehen: "Wichtiger denn je", sei das jährliche Gedenken an die damaligen Ereignisse in Poing, so der Poinger Bürgermeister Thomas Stark, (CSU).

Das Mahnmal gegenüber des Bahnhofs wurde 2010 auf Beschluss des Poinger Gemeinderats eingeweiht. Es erinnert an die verstorbenen Häftlinge des KZ Mühldorf, welche im April 1945 mit einem Zug unter menschenunwürdigen Bedingungen transportiert wurden. Insgesamt 3600 Menschen in Waggons mit jeweils bis zu 90 Personen. Darunter die mittlerweile gestorbenen Zeitzeugen Leslie Schwartz und Max Mannheimer.

Einige Häftlinge flohen vor dem Grauen in die umliegenden Orte

Aufgrund eines Lokdefekts blieb der Zug in Poing liegen. Da das Gerücht aufkam, der Krieg sei bereits zu Ende, öffneten die zuständigen SS-Bewacher die Waggontüren und ließen den Zug alleine. Einige flohen vor dem Grauen in die umliegenden Orte - Hauptsache weg vom Zug.

Doch der Krieg war noch nicht zu Ende. Eine deutsche Luftwaffeneinheit machte sich mit einem SS-Trupp auf die Suche nach den Geflohenen. Manchen Gefangenen gelang die Flucht, sie wurden in umliegenden Bauernhöfen aufgenommen. Doch ein großer Teil der KZ-Häftlinge hatte nicht so viel Glück. 50 wurden von den deutschen Truppen erschossen, 200 schwer verletzt.

Jörg Höllriegel liest ein Gedicht einer Ukrainerin vor. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Trotz der erschütternden und nahegehenden Brutalität dieser Ereignisse wird die Herausforderung immer größer, die Erinnerung daran aufrecht zu erhalten. Es gibt immer weniger lebende Zeitzeugen, die die nationalsozialistischen Gräueltaten erlebt haben und ihre Erfahrungen mit der heutigen Generation teilen können.

Für den katholischen Pfarrer Philip Werner leitet sich daraus die große Bedeutung des Gedenkens an leidvolle Erfahrungen des Einzelnen und der Gesellschaft ab: Als Christ nehme man die Welt zwar wie sie ist, dabei solle man aber nicht passiv sein. Man müsse Verantwortung übernehmen, die Erinnerung an vergangenes Leiden weiterzuführen, sodass es nicht mehr geschehe.

Poings Bürgermeister Thomas Stark (links) betont, wie wichtig es ist, an das Grauen der NS-Zeit zu erinnern. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Eine Verantwortung, welcher die Schülerinnen und Schüler der sechsten bis elften Klassen des Franz-Marc Gymnasiums Markt Schwaben gerecht werden: "Man baut eine emotionale Verbindung zu den Opfern auf, das macht die Bedeutung des Themas für einen selbst viel größer", erklärt Luzia aus der Q11. Unter der Leitung ihrer Lehrerin Anna Niedermaier-Fertig haben die Gymnasiasten eine szenische Lesung vorbereitet, die den Anwesenden die damaligen Ereignisse nahebringt.

Durch die Zuggeräusche des angrenzenden Poinger Bahnhofs sind die Jugendlichen gezwungen, mit kräftiger Stimme vorzutragen: "Bis zu 90 Personen sind pro Waggon eingepfercht. Unsere Bewacher geben uns etwas Brot, Käse und Margarine, man trinkt das Regenwasser, was von der Decke tropft"

Niedermaier-Fertig ist es wichtig, dass ihre Projektgruppe die Hintergründe versteht: " Bei uns am Gymnasium leben wir zum Glück in einer Blase, in der man nicht mit antisemitischen Vorfällen konfrontiert ist, doch das macht es umso wichtiger, nachzufühlen was vorgefallen ist."

"Unter diesen Bedingungen überleben nur Kreaturen" wird Max Mannheimer von einer Schülerin zitiert

Auch Max Mannheimers Erinnerungen an den Transport werden aufgegriffen: "Unter diesen Bedingungen überleben nur Kreaturen", zitiert ihn die Schülerin Luzia. Der 14-jährige Jan sagt: "Als ich die Geschehnisse zum ersten Mal las, war ich geschockt. So etwas darf nie wieder passieren."

Dass in Europa derzeit wieder ein Krieg tobt, unter dem zahlreiche Menschen leiden, macht der Poinger Pfarrer der evangelischen Pfarrgemeinde Michael Simonsen deutlich. Kürzlich starb ein Überlebender des Holocausts in der Ukraine durch russischen Bombenhagel: "Es zeigt sich aktuell mehr denn je, dass Respekt, Menschenwürde und Toleranz nicht selbstverständlich sind - sie erfordern stetigen Einsatz."

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