Depressionen bei Jugendlichen:Am Rande der Welt

Lesezeit: 4 min

Auch Orte der Kindheit haben Magdalena Lugmayr geholfen, wieder im Hier und Jetzt anzukommen. Zum Beispiel in Gsprait am Weiher. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Während der Corona-Zeit entwickelt Magdalena Lugmayr eine schwere Depression. Über den Abgrund, in den sie fast gefallen wäre, und den Weg heraus berichtet die 19-jährige Ebersbergerin in ihrem literarischen Debüt "Unter den Straßen von Paris".

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

Es beginnt mit einem Traum: Die achtjährige Marlies sitzt in einem Zug und trifft ihr älteres Ich. Es wirkt traurig, die frühere Leichtigkeit scheint aus den Augen gewichen. Der Zug bremst, und ein Mann mit silbernen Haaren begleitet das Kind zur Tür. Zum Abschied wünscht er ihm eindringlich "viel Glück".

Magdalena Lugmayr, 19 Jahre alt und Sonderpädagogik-Studierende, hat sich in ihrem literarischen Debüt "Unter den Straßen von Paris" ein Thema vorgenommen, das von Jugendlichen und jungen Leuten heute üblicherweise auf Instagram und TikTok verhandelt wird: die eigene Depression und der Weg aus ihr heraus. Die Ebersbergerin erzählt gefasst und in klaren Sätzen von ihrer Erkrankung, ihren Suizidgedanken und der Hilfe, die fast in letzter Minute kam.

Kurzvideos am laufenden Band: Manchmal ist sie sechzehn Stunden im Internet

So genau datieren lässt sich nicht, wann es Magdalena zum ersten Mal klar wurde, dass es ihr richtig schlecht ging. "So mit Anfang 16", sagt sie. Wegen der Pandemie muss sie den lang ersehnten Schüler-Austausch nach Kanada abbrechen und nach Hause fliegen. Corona nimmt sie mit, das Alleinsein ist schier unerträglich. Auch wenn sie ein liebevolles Zuhause hat, ein gutes Verhältnis zu den Eltern, versinkt sie während des Lockdowns immer mehr in düsteren Gedanken, fühlt sich einsam und weit weg von der Welt. Vor allem in den sozialen Medien findet sie genügend Nahrung für dieses Gefühl. An vielen Tagen schaut sich Magdalena acht Stunden am Stück Kurzvideo über Kurzvideo an, manchmal sind es sogar 16 Stunden - einfach, um nicht denken zu müssen. Gleichzeitig schämt sie sich für ihre Gefühle, empfindet diese im Angesicht der Kriege und humanitären Katastrophen auf der Welt als "dekadent".

Akut suizidal wird Magdalena, nachdem sie zum ersten Mal durch die Führerscheinprüfung gefallen ist. "Davor war das auch schon meine erste Lösung auf jedes Problem, aber ich habe es dann immer schnell wieder verworfen", fasst sie es zusammen. "Danach aber war das mein erster und auch mein letzter Gedanke." Einmal ist Magdalena kurz davor, ihr Leben zu beenden, erkennt aber erst im Nachhinein, dass sie da zwischen Tod und Leben balanciert ist.

Ihre Rettung sind ihre Freunde. Die spüren nämlich, dass da etwas nicht stimmen kann mit Magdalena, die immer öfter absagt und keine Zeit hat, die sich abkapselt und dann doch nichts von ihrem Tag erzählen kann. Die Freunde schalten einen Vertrauenslehrer ein, der Magdalena immer wieder auf ihre Verfassung anspricht und schließlich eine Organisation einschaltet, die sich um suizidale Jugendliche kümmert. Magdalena bekommt sofort einen Therapieplatz.

Schmales Büchlein, schwere Kost: Auf 55 Seiten verarbeitet die 19-Jährige ihre Depression, die sie während Corona entwickelt hat. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Marlies, das erkennt der Leser schnell, hat viel mit Magdalena gemein. Der traumhaften Sequenz folgt ein knallharter Cut in die Realität, ein Lehrer sagt zu Marlies: "Ich habe aus verschiedenen Ecken gehört, dass es dir im Moment nicht gut geht." Er fragt: "Willst du drüber reden?" Marlies reagiert mit Wut und Ablehnung. Es dauert, bis sie sich von dem Lehrer in einen Raum führen lässt, in dem sie auf einen Mann mit silbernen Haaren trifft - derselbe, der ihr schon im Alter von acht Jahren im Traum begegnet ist. Und der sie mitnimmt auf eine Reise, deren Stationen wichtig für ihren Heilungsprozess sind.

Die Figur des väterlichen, omnipräsenten Lutipold - "Mein Name ist genauso verdreht wie meine Existenz" - diese Figur ist ein Gemisch aus allen Menschen und Sätzen, die Magdalena Lugmayr auf ihrem Weg aus der Krankheit geholfen haben. Darunter etwa ihr Vater, der ihr sagte, dass man nicht verantwortlich sei für die ganze Welt und trotzdem etwas Schönes erleben dürfe. Freunde, denen es auch nicht gut ging während des Lockdowns. Oder der Lehrer, der erste Erwachsene, der ihr klar machte, dass sie wirklich Hilfe brauchte. In dem schmalen Büchlein führt Lutipold Marlies zurück in die Kindheit, an Sehnsuchtsorte, aber auch in die Zukunft, in die Freiheit, die das junge Erwachsenenleben mit sich bringt.

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Ein Grund, warum Magdalena Lugmayr das Buch geschrieben hat, ist auch, weil sie selbst keine Hilfe in der Literatur für sich finden konnte, als sie diese gebraucht hätte: "Ich hätte mir gewünscht, dass es was anderes gäbe zu dem Thema als Sachbücher." Reels auf TikTok oder Instagram von jungen Menschen, die gerade eine schwere Depression durchmachen, findet sie nicht zielführend. Besser seien Recovery-Accounts, auf denen sich Leute zeigen, die es durch eine schwere Zeit geschafft haben - "das gibt Motivation". Heute ist Magdalena nicht mehr als 25 Minuten täglich auf Instagram unterwegs und schon ein bisschen stolz auf sich, dass sie es durch die Depression geschafft hat. Auch das Schreiben an "Unter den Straßen von Paris" habe ihr dabei geholfen, sagt sie.

Was denn der Lehrer, der ihr eine große Stütze in der schwersten Zeit war, zu dem Buch gesagt hat, das sich wie eine dankbare Hommage an ihn liest? Noch gar nichts, antwortet Magdalena Lugmayr und muss ein bisschen über sich selbst lachen: "Ich habe mich noch nicht getraut, es ihm zu geben." Wenn er es erhält, so viel ist klar, besitzt er ein Geschenk fürs Leben - und zwar im doppelten Wortsinn.

Das Buch "Unter den Straßen von Paris" von Magdalena Lugmayr, 55 Seiten, ist bei story.one publishing erschienen und kann für 18 Euro im Internet bestellt werden.

Über Selbsttötungen berichtet die Süddeutsche Zeitung nur in Ausnahmefällen und nach sorgfältiger Prüfung. Wenn Ihre Gedanken darum kreisen, sich das Leben zu nehmen, sprechen Sie mit Freunden und Familie darüber. Hilfe bietet auch die Telefonseelsorge, anonym und kostenlos unter 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222, zudem ist über www.telefonseelsorge.de eine Online-Beratung möglich. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen bietet die Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: www.suizidprophylaxe.de .

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