Evangelische Gemeinde Grafing - Aßling - Glonn:Hörbarer Leisetreter

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Bald macht er die Kirchentür für immer zu: Pfarrer Axel Kajnath geht in den Ruhestand. (Foto: Christian Endt)

Er war prägend für seine Gemeinde - und letztendlich auch für die Stadt. Nach 30 Jahren verabschiedet sich Grafings evangelischer Pfarrer Axel Kajnath in den Ruhestand.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Vor ein paar Wochen steht auf dem Pult im Aßlinger evangelischen Gemeindezentrum ein alter Blumentopf. Hinter dem Pult und vor der Predigt steht Axel Kajnath. Den Topf will er auf dem Kirchenboden zerspringen lassen, aber der Topf zerspringt nicht. Kajnath muss ihn aufheben, nochmal fallen lassen. Erst erschrecken alle. Dann lachen alle. Jetzt hat Kajnath das, was er will: Scherben.

Womit der Pfarrer bei der Apostelgeschichte 9,1-9 wäre. Das ist jene bekannte Geschichte, in der sich Saulus zum Paulus wandelt. Wie vom Blitz getroffen fällt Saulus darin auf den Boden. Überzeugungen und Weltbild liegen da, als ob eine Schale in viele Teile zerbrochen ist. "Saulus, Saulus, was verfolgst du mich?", richtet sich eine himmlische Stimme an ihn. Den christlichen Glauben, den er eben noch zu unterdrücken versuchte, wird er als Paulus bald in die Welt hinaustragen. Der Weg bis dahin: ein Irrweg.

Predigteinstiege wie der mit dem zerbrochenen Blumentopf stehen Symbol für den Theologen, der im Mai 1992 in Grafing den Dienst begann - und der weltlich wie kirchlich gern um die sprichwörtliche Ecke dachte. Nicht das Offensichtliche herausstellend, sondern das Besondere suchend. Auch wenn es beim ersten Interpretationsanlauf noch im Verborgenen bleiben mag.

Darf ein Pfarrer ein Geldhaus segnen? Kajnath beantwortete die Frage mit einem "Ja, aber..."

Zum Beispiel wie vor gut 15 Jahren bei der Einweihung des sanierten Sparkassengebäudes am Grafinger Marktplatz. Da reibt Kajnath sich an der Bitte, dem Gebäude zusammen mit seinem katholischen Pfarrerskollegen Hermann Schlicker den kirchlichen Segen zu spenden. Ausgerechnet einer Bank? Wie war das gleich nochmal mit dem Zinsverbot aus dem Alten Testament?

Kajnath macht seine anfänglichen Bedenken zum Grußwort der Feierlichkeiten. Warum er am Ende zusagt? Weil ein Marktplatz-Gebäude, in dem täglich hunderte Menschen ein- und ausgehen, nicht allein am Geschäftszweck festgemacht werden dürfe. Weil es dem sozialen Miteinander diene, Leute darin lebenswegweisende Entscheidungen träfen, Menschen im besten Fall mit Sorgen hineingingen und mit Hoffnung wieder rauskämen.

Axel Kajnath 2009 beim Aufbruch zu seinem Sabbatical nach Palästina. (Foto: privat)

Ausgestattet mit Humor, weltoffen - im Jahr 2009 geht Kajnath auf Sabbatical nach Palästina - genügsam, unaufgeregt, kollegial, unkompliziert. So beschreiben ihn Weggefährten im aktuellen Gemeindebrief. "Mädchen für alles" sei er gewesen, schreibt etwa Kajnaths Pfarrerkollegin Ghita Lenz-Lemberg - und meint das natürlich im ganz und gar positiven Sinne. "Im Winter hast du den Kirchenvorplatz vom Schnee befreit, im Sommer deinen Privat- und Gemeinderasen gemäht, das Altpapier weggefahren, den Gemeindebus zur Inspektion gebracht. Für nichts warst du dir zu schade." Oder Simone Bach, mittlerweile Pfarrerin in Memmingen: "Du hast in Grafing eine lange Zeit gewirkt, als Hirte, als Kommunikationstalent, als Generalist für alle Lebenslagen, für ökumenische und kulturelle Projekte. Den Kindergarten und die Krippe hast du weiterentwickelt, trotz der Herausforderungen lagen sie dir immer sehr am Herzen."

Viele Baustellen hatte Axel Kajnath zu betreuen, einige ganz wörtlich, wie hier den Umbau des Gemeindehauses vor drei Jahren. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Überhaupt ist Kajnath keiner, der sich in seiner Kirchengemeinde versteckt. Stattdessen einer, der sie als Teil der Stadtgemeinde betrachtet, der sich einmischt, wenn nötig, aber nach der Einmischung nicht sucht.

Als im Jahr 2003 einige Lokalpolitiker das Weihnachtsgeschäft mit längeren Ladenöffnungszeiten und verkaufsoffenen Sonntagen ankurbeln wollen, sagt der Vater dreier mittlerweile erwachsener Kinder: "Ich halte es für ein falsches Signal, dem ökonomischen Prinzip alles zu opfern."

Von Abschiebung bedrohten Menschen gewährte Kajnath Kirchenasyl

Als im Jahr 2007 der Eigentümer einiger Parkplätze auf dem Hans-Eham-Platz dem Bund Naturschutz zwischenzeitlich den Betrieb des Grafinger Wochenmarkts untersagt, billigt Kajnath dem Markt "Kirchenasyl" auf dem Kirchenvorplatz zu. Richtiges Kirchenasyl gewährte der Pfarrer auch. Nämlich einigen von der Abschiebung bedrohten Geflüchteten. Nur posaunte er es nicht überall herum.

Um Kajnaths integrative Art weiß im Februar 2016 auch die damalige Bürgermeisterin Angelika Obermayr bestens Bescheid. Sie fragt, ob er nicht die Sonderbürgerversammlung zur damals geplanten Geflüchtetenunterkunft in Schammach moderieren könne? Gegen die Pläne gibt es in Grafing teils üblen Widerstand. Kajnath kann - und wie: Höflich, aber bestimmt geht er dazwischen, wenn Wortmeldungen zu Monologen ausufern. Mit dem nötigen Fingerspitzengefühl fordert er von den Besuchern konkrete Fragen und Quellen ein und spielt sie an Landrat, Polizei und Helferkreis auf dem Podium weiter.

Vor sechs Jahren war Axel Kajnath Moderator der Sonderbürgerversammlung zur damals geplanten Geflüchtetenunterkunft in Schammach. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Einen kleinen Paulusmoment gibt es zwar nicht. Aus den Gegnern der Unterkunft werden keine Unterstützer. Aber immerhin kristallisiert sich auch dank Kajnaths Moderation heraus, was mit den sogenannten Ängsten und Sorgen eigentlich gemeint ist: Dass die empfundene Bedrohung viel weniger aus einer bestimmten Anzahl von Geflüchteten vor Ort resultiert. Sondern sie vielmehr von unübersichtlichen Konfliktherden in Europas näherer Nachbarschaft herrührt.

Einen Blumentopf hat Kajnath an dem Sonntag vor ein paar Wochen auch beim später beginnenden Gottesdienst in der Grafinger Auferstehungskirche dabei. Wieder hebt er ihn hoch, lässt ihn fallen. Diesmal zerspringt er beim ersten Versuch. Und die Geschichte mit dem Erweckungserlebnis kann nochmal beginnen.

Die Verabschiedung von Pfarrer Axel Kajnath, der seinen Ruhestand weiter in Grafing verbringen wird, feiert die Gemeinde am Montag, 31. Oktober, um 19 Uhr mit einem Gottesdienst mit Abendmahl in der Auferstehungskirche. Anschließend findet ein Empfang statt.

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