Ebersberger Geschichte:Von Kronen, Kriegen und Konkubinen

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Der Kirchturm ohne Kirche in Jakobsbaiern ist eine Kuriosität, ein mystischer Ort und beliebter Treffpunkt für Feste. Auch seine Geschichte wird in dem neuen Jahrbuch des Historischen Vereins erzählt. (Foto: Historischer Verein/oh)

Der Historische Verein für den Landkreis gibt ein neues Jahrbuch heraus. In elf sehr unterschiedlichen Aufsätzen wird darin Neues von früher erzählt.

Von Anja Blum, Ebersberg

Was machen Lehrer, wenn sie den Schuldienst altersmäßig hinter sich gelassen haben? Sie widmen sich der Geschichte ihrer Heimat. Diesen Eindruck kann zumindest gewinnen, wer der Präsentation der neuen Publikation des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg lauscht. Ex-Bürgermeister, stellvertretender Landrat und Ex-Schulleiter Walter Brilmayer stellt da nämlich auch einige Aufsätze vor, die ehemalige Lehrerkollegen verfasst haben. Und wie es sich für einen ordentlichen Pädagogen gehört, tut er das in gebotener Kürze - und mit einiger Würze. "Das war eine schöne Zusammenfassung, die Appetit gemacht hat auf mehr, aber nicht zu viel vorweggenommen hat", lobt Bernhard Schäfer, der Vorsitzende des Vereins.

Elf interessante Aufsätze umfasst die 23. Ausgabe des Jahrbuchs, ein 254 Seiten starker, reich illustrierter Band, der Titel lautet wie stets "Land um den Ebersberger Forst - Beiträge zur Kultur und Geschichte". Unter den Autoren sind viele Namen, die Geschichtsinteressierten bereits bekannt sein dürften, von Thomas Freller über Hans Huber bis hin zu Antje Berberich. Und die Themen decken wie immer eine höchst breite Palette ab. "Da ist für jeden was dabei", verspricht denn auch Brilmayer.

Als "sehr wissenschaftlich" bezeichnet der Referent den ersten Beitrag von Elli Wolf. Die Heimatforscherin aus Scheyern liefert neue Erkenntnisse über die Wurzeln der Wittelsbacher, speziell geht es um die "Ebersberger Urahnen" des bayerischen Adelsgeschlechts. Die Autorin erforsche bislang unbeachtete Quellen, zeichne Stammbäume nach , stelle diverse Beziehungen vor - und löse so "jahrhundertealte Blockaden" im historischen Verständnis, so Brilmayer. Obwohl das Herrscherhaus schon vielfach in den Blick genommen worden sei, gelinge der Autorin hier ein "beachtenswerter Diskussionsbeitrag", freut sich Historiker Schäfer.

So verlor der Turm seine Kirche: Für das von Architekt Johann Schott im neubarocken Stil geplante Gotteshaus wäre der alte Standort in Jakobsbaiern zu klein gewesen. (Foto: Historischer Verein/oh)

Um einen der "schönsten Orte im Landkreis" geht es bei Günter Staudter. Und noch dazu um eine echte Kuriosität: einen Kirchturm ohne Kirche. Unter dem Titel "Der Bairer Campanile" widmet sich der frühere Grundschullehrer aus Unterhaching einem Wahrzeichen des Bairer Winkels und beliebten Treffpunkt in Jakobsbaiern. "Das ist ein ganz mystischer Ort, mit einem wunderbaren Alpenblick", sagt Brilmayer, ein Besuch dort sei unbedingt zu empfehlen, genauso wie der Text von Staudter. Der alleinstehende Turm ist das bauliche Relikt einer Anfang des 20. Jahrhunderts abgebrochenen Kirche, heute befindet sich darin eine kleine Kapelle.

Dem Geheimnis der drei goldenen Kronen im Wappen seiner Heimatgemeinde Pliening, einem "heraldischen Beiwerk der Extraklasse", spürt Willi Kneißl nach. Der ehemalige Lehrer aus Gelting hat eingehend recherchiert und gelangte letztlich über die Besitzgeschichte eines Plieninger Anwesens bis hin zum Kloster Benediktbeuern.

Mit dem in Wasserburg ansässigen Hofmarksherrn Sigmund Hauser von Eisendorf beschäftigt sich Ferdinand Steffan, Historiker aus Thalham. Seinen Schwerpunkt legt er dabei auf die Geschichte der von Hauser erbauten Kapelle von Schloss Hart bei Edling. Doch dahinter steckt ein tragisches Schicksal: "Lang hat er sein repräsentatives Anwesen leider nicht genießen können", erklärt Brilmayer. "Er ist bald darauf im Krieg gefallen."

Herrschaftliches Anwesen bei Wasserburg: Das Schloss Hart im Stich Michael Wenings von 1701. (Foto: Historischer Verein/oh)

Einen "Prediger und Gelehrten von Welt" stellt Antje Berberich dem Leser vor: den 1753 in Ebersberg geborenen und 1813 in Landshut verstorbenen Josef Anton Michl. Die frühere Archivleiterin der Kreisstadt ist per Zufall auf diese spannende Persönlichkeit gestoßen und hat ihren wechselvollen Lebensweg recherchiert. Michl erlebte zahlreiche Umbrüche, war Freimaurer, Illuminat, Kritiker des Klerus und Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht an der Universität Ingolstadt.

Um "Machtkämpfe, Affären und Skandale" gehe es im Beitrag von Thomas Freller mit dem Titel "Die Malteserkommende Pfeffenhausen und ihre Komtur". Der Historiker aus Jagstzell zeichnet die Karriere Franz von Lerchenfelds als Inhaber des alten Ebersberger Klosterbesitzes an der Wende vom 8. zum 19. Jahrhundert nach und charakterisiert sie als als "barocke Episode" .

Novizen, Professritter und Offiziere des Malteserordens, Ölgemälde nach einer Zeichnung von Francesco Zimelli, circa 1790. (Foto: Historischer Verein/oh)

Mit dem ebenfalls nicht alltäglichen Lebensweg des Ebersberger Landgerichtsarztes Michael Röschlaub setzt sich Erich Schechner auseinander. Dabei bringt der Familienforscher aus Ebersberg ans Licht, dass der Mediziner durch eine Liebesaffäre, ein "Konkubinat", völlig aus der Bahn geworfen wurde. "Er hat deswegen seine Dienstpflichten vernachlässig und ist dann rausgeflogen", fasst Brilmayer die Situation zusammen. Also tauchte Röschlaub zunächst unter und wanderte dann nach Amerika aus, wo er schließlich ein "zweites Leben" begann.

Ein Porträt des greisen Michael Joseph Röschlaub, mitsamt seiner persönlichen Unterschrift. (Foto: Historischer Verein/oh)

Wie ging man früher mit Menschen um, die einen anderen Glauben, andere Bräuche pflegen? Dieser Frage geht Herbert Holly am Beispiel der Mennoniten, einer evangelischen Freikirche, nach. Anhand eines aufschlussreichen Quellenfunds im Staatsarchiv München führt der Hofoldinger Genealoge vor Augen, welche Schwierigkeiten die im Landgericht Ebersberg ansässigen Mennoniten Mitte des 19. Jahrhunderts unter anderem bei Beerdigungen zu bewältigen hatten. Denn vielerorts versuchte man, wie Holly darlegt, eine Bestattung der Amischen auf den katholischen Friedhöfen zu verhindern.

Nachdem der Taglachinger Geschichtsforscher Hans Huber vor einiger Zeit bereits den ersten Teil des vom Brucker Bürgermeister Josef Baumgartner 1888 begonnenen Gemeindebuchs als wertvolles Dokument vorgestellt hat, präsentiert er nun den zweiten Teil des Werkes. Dabei handelt es sich um eine fast über die gesamte Amtszeit des Gemeindeoberhauptes laufende Chronologie - gespickt mit allerhand spannenden Ereignissen. Brilmayer zählt auf: "Es geht um Kirchenraub, eine Sprengung, eine ordentliche Wirtshausrauferei, die Nonnenplage, neue Bahngleise und Hagelschlag. Also alles wie heute auch." Huber, ehemaliger Schulrektor, zitiere und kommentiere das Geschehen.

Bemerkenswert auch der Beitrag von Peter Maicher: Im Fokus des Zornedinger Historikers steht der Ebersberger Regierungsrat Fritz Ortmann, der in der NS-Zeit als stellvertretender Landrat viel Schuld auf sich geladen hat. In seiner eingehenden Untersuchung dieses ambivalenten Charakters kommt Maicher denn auch zu dem Ergebnis, dass man dem jungen Beamten nur durch die Zeichnung eines Bildes in vielen Grautönen gerecht werden könne. Dieses Beispiel zeige eindrücklich, so Brilmayer, welche großen Schwierigkeiten die damaligen Spruchkammern bei der Urteilsfindung gehabt hätten: "Gut und Böse purzelten hier durcheinander."

Ehrgeizig und einigermaßen skrupellos: Fritz Ortmann war während der NS-Zeit ein hoher Beamter im Ebersberger Landratsamt. (Foto: Historischer Verein/oh)

Den Kindheits- und Jugendjahren der Grafingerin Eleonore Eham-Töttermann gehört schließlich die Aufmerksamkeit der Hohenthanner Schriftstellerin Viktoria Schwenger. In dieser Lebenszeit nämlich erlebte die Porträtierte, Tochter von Hans Beham, bei ihren Großeltern das verheerende Bombardement von Dresden 1945 inklusive des durch die Luftangriffe ausgelösten Feuersturms. Dieser Beitrag ist dem Buch ",Fort, nichts wie fort - Letzte Zeitzeuginnen berichten über Flucht und Vertreibung" entnommen, das 2020 im Rosenhemer Verlag erschienen ist. Eleonore Eham-Töttermann und neun andere Frauen schildern darin ihre Erlebnisse rund um den Zweiten Weltkrieg.

Das Schicksal einer Zeitzeugin: Die Grafingerin Eleonore Eham-Töttermann hat als junges Mädchen die Luftangriffe auf Dresden erlebt. (Foto: Historischer Verein/oh)

Doch das Jahrbuch wäre nicht das Jahrbuch, wenn es nicht auch noch aufschlussreiche "Mitteilungen und Notizen" des Historischen Vereins beinhaltete. Zunächst einmal richten Vorsitzender Bernhard Schäfer und Schriftführerin Ingrid Golanski einen großen Dank an Monika Riederer, denn die "gute Seele" der Kreisdokumentation ist nun in den Ruhestand gegangen. Der Ebersberger Kreisheimatpfleger Thomas Warg wiederum würdigt die vielfältigen Leistungen von Antje Berberich, die nach 27 Jahren aus ihrem Amt als Leiterin des Stadtarchivs ausgeschieden ist. Die Steinhöringer Bürgermeisterin Martina Lietsch und die Vorsitzendes des dortigen Heimatvereins Theresa Ranzinger schließlich entrichten einen Nachruf auf den im Juni verstorbenen Heimatforscher Hans Preimesser und dokumentieren seinen Lebensweg. Unter der Rubrik "Hinweise" findet sich zudem wieder eine Auflistung neuer heimatkundlicher Schriften für die weitere Lektüre, und die "Vereinschronik" gewährt einen Corona-bedingt äußerst knappen Rückblick auf das vergangene Jahr. Ja, Veranstaltungen waren auch beim Historischen Verein kaum möglich, doch im Gegensatz zu manch anderen Gruppierungen dürfe man sich trotz schwieriger Zeiten über eine große Treue der gut 200 Mitgliedern freuen, so Schäfer. "Herzlichen Dank dafür!"

"Land um den Ebersberger Forst. Beiträge zur Geschichte und Kultur", 23. Ausgabe, erhältlich beim Historischen Verein für den Landkreis Ebersberg, bei den Buchhandlungen im Landkreis sowie im Museum der Stadt Grafing zum Preis von 19,90 Euro.

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