Ausstellung im Kunstverein Ebersberg:Vom Zirpen der Grillen

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An vergangene Zeiten erinnert Lucilla Ragni: Früher wurden auf dem Markt im Parco delle Cascine in Florenz in Käfigen gehaltene Grillen verkauft - ihres Zirpens wegen. (Foto: Christian Endt)

Wie fängt man das Jetzt ein? Neun italienische Künstler haben sich an der Frage probiert und sind auf unterhaltsame Antworten gestoßen - von leeren Käfigen bis hin zu Kaffeeflecken, die in die Seele blicken lassen.

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

Pünktlich zum Ende der Sommerferien wartet der Kunstverein Ebersberg nochmal mit genügend Stoff zum Träumen auf, von florentinischen Märkten über die Sanftheit des italienischen Tageslichts bis hin zum beruhigenden Klackern von Flusssteinen: Neun italienische oder in Italien wohnhafte Künstler zeigen unter dem Titel "9 posizioni di arte contemporanea dal Centro Italia - 9 Positionen zeitgenössischer Kunst aus Mittel-Italien" ihr Schaffen in den Räumlichkeiten im Klosterbauhof.

550 Kilometer Luftlinie sind es von Ebersberg nach Perugia - eine Entfernung, die für Robert Lang schon längst keine mehr ist. Der Maler und Bildhauer, ehemals Vorsitzender und künstlerischer Leiter des Kunstvereins Ebersberg, wohnt seit seinem Studium in Italien in den 1980er Jahren teils in Ebersberg, teils in Perugia. Seine Idee war es, die italienischen Kollegen nach Oberbayern einzuladen. Noch bevor die Möglichkeit einer Gegenausstellung von Ebersberger Künstlern in Italien gegeben war, erzählt Lang, habe er vom Kunstverein Ebersberg grünes Licht für sein Vorhaben bekommen. Schlussendlich begann der Künstleraustausch jedoch in Perugia, und zwar im März und April dieses Jahres, bei dem acht Künstler aus Ebersberg und Bayern dort ausstellen durften.

Fragiles, das unter dem Gewicht der Steine nicht zerbricht - oder die Natur, die alles zerstören kann: Die Installation "Hanging and Suspended Rocks for Ebersberg" des Künstlerduos Sandford & Gosti ist von mehreren Seiten lesbar. (Foto: Christian Endt)

Nun aber sind die italienischen Künstler in der oberbayerischen Kreisstadt zu Gast. Ein Höhepunkt und Eyecatcher der Ausstellung sind 260 Flaschen in allen Farben und Größen, gefüllt mit einer roten Flüssigkeit, die kreisförmig angeordnet sind. Auf die teils dünnen Flaschenhälsen sind Steine aufgelegt - mal handgroß, mal kaum größer als ein Kieselstein, mal weißgebleicht, mal mit rötlicher Oberfläche. Alle Steine, erklärt Jodi Sandford, stammen aus der Umgebung der Kreisstadt und werden nach der Kunstschau wieder an ihren Ursprungsort zurückgebracht. Die US-Künstlerin und Farbsemantikerin lebt seit 47 Jahren mit ihrem Partner Valter Gosti in Perugia zusammen, seit etwa 20 Jahren treten sie als das Künstlerpaar "Sandford & Gosti" auf.

Die Installation "Hanging and Suspended Rocks for Ebersberg" wird ergänzt von Flusssteinen, die an einer Acrylglasscheibe befestigt über dem Flaschenkreis schweben. Stupst man die faustgroßen Steine an, ertönt ein fast hölzernes, tröstliches Geklacker. Reminiszenzen aus einer Zeit, in der noch die Natur herrschte - oder eigentümlicher Traumfänger? Mit ihrem Kunstwerk wollen sie etwas Transparentes, Fragiles zeigen, das etwas Solides, Hartes halten könne, erklärt Jodi Sandford - oder auch dessen Umkehrschluss: "Die Natur könnte das Menschengemachte zerstören."

Die Installation ist schon in verschiedenen Variationen in den USA, Deutschland und Italien gezeigt worden, manchmal waren die Menschen dazu aufgerufen, selbst Steine mitzubringen. Die erstaunliche Erkenntnis, so Sandford: Fast jeder hat einen Stein, zu dem er ein besonderes Verhältnis habe. Warum? "Steine sind ein Material, mit dem wir schon als Kinder in Berührung kommen", sagt die Künstlerin.

Welcher Tag hat wohl turbulent angefangen, welcher etwas gemächlicher? Über sechs Jahre lang hat Robert Lang die Morgenstimmung mit Hilfe seiner Kaffeetasse festgehalten. (Foto: Christian Endt)

Jeden Morgen erst mal einen Kaffee - so entstand das Kunstwerk, das Initiator Robert Lang selbst in der Ausstellung zeigt. Für "Psychogramme vom Frühstückstisch" hat er über sechs Jahre hinweg immer wieder speziell lackierte, quadratische Täfelchen als Untersetzer seiner Kaffeetassen benutzt. Darauf sind die kaffeefarbenen Abdrücke der Tassen zu sehen, mal mehr, mal weniger deutlich - "je nachdem, wie der Tag begonnen hat", erklärt Lang. Dabei habe er nicht auf ästhetische Normen geachtet, der Zufall habe hier sein Händchen im Spiel gehabt. Herausgekommen sind 169 Tafeln, die nun als großes Wandbild den Betrachter in 169 kleine Geschichten des Alltags hineinziehen.

Ebenfalls dem Festhalten eines Zustandes hat sich die römische Künstlerin Alessia Armeni verschrieben. Einen Tag lang hat sie das Tageslicht unter die Lupe genommen und versucht, es farblich festzuhalten. Das Ölgemälde "24h_painting_23/04/19" beginnt mit einem Grauton, der noch die Dunkelheit der Nacht in sich ahnen lässt, führt über beinah grünliche Pastelltöne, die von der Sonneneinwirkung eines Mittags im Frühlings erzählen, und enden in einem satten, zufriedenen Hellbraun, das wieder in die Nacht entlässt.

Welche Farben ein Tag hat, versucht Alessia Armeni auf dem Ölbild "24h_painting_23/04/19" herauszufinden. (Foto: Christian Endt)

Zu dem malerischen Titel "Nella Controra-Cantagrillo", was so viel bedeutet wie "Auszeit - Grillenzirpen" hat Lucilla Ragni aus Perugia kleine Käfige aus Kupferdraht erstellt. Sie sollen erinnern an die florentinische Tradition, Grillen zu fangen und in kleine, bunte Käfige zu setzen. Der Käufer konnte tagelang das Zirpen der Grillen genießen - bis die Tierchen in ihren Käfigen verendeten. Und so tragen die auf weißer Wand aufgehängten, filigran zusammen gestellten Grillen-Gefängnisse auch etwas Morbides, ja Grausames in sich - oder, wie Robert Lang es formuliert: Auch diese Objekte werfen Schatten.

Die Ausstellung "9 posizioni di arte contemporanea dal Centro Italia - 9 Positionen zeitgenössischer Kunst aus Mittel-Italien" ist von Freitag, 8. September bis Sonntag, 1. Oktober im Kunstverein Ebersberg im Klosterbauhof zu sehen. Die Vernissage findet am Freitag, 8. September um 19 Uhr statt.

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