Ausstellung beim Ebersberger Kunstverein:Irritierende Entgrenzung

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"Weißes Haus" und "Schwarzwald" heißen die beiden Papierskulpturen im Westraum der Galerie Alte Brennerei. Schwarzer Fluss und weißer Turm könnte man auch sagen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Ungeklärte Verhältnisse" hat die Erlanger Künstlerin Annette Voigt in der Galerie Alte Brennerei bemerkenswert in Szene gesetzt. Zuvor aber war sie offenbar im Baumarkt, um viel Holz, Schaufeln und jede Menge Schrauben zu kaufen.

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Wie hält sie das nur aus? Diese Art der Vergänglichkeit, der vorübergehenden Existenz, ja, der Zufälligkeit. Eine Zufälligkeit, die sich aus der Örtlichkeit ergibt, die sich der Künstlerin bietet, um ihre Kunst zu präsentieren. Nein, natürlich, die Objekte entstehen schon vorher, oder vielmehr, das, was später einmal die Objekte werden, das steht fest in seiner Materialität, Holz, Metall, Papier. Aber es steht nicht fest in seiner Form. Aus Papier werden Papierkästchen, aus Holzlatten Zäune, aus Metallschaufeln antropomorphe, überdimensionale Gehwerkzeuge. Letztere nennt sie "Helden der Arbeit", weil sie raumgreifend schaffen könnten, wenn sie denn belebt wären. Die Gegebenheiten bedingen die Anordnung der Objekte, und die Objekte bedingen den Raum.

Nun mag das bei jeder Ausstellung in gewissem Sinne so sein, egal, ob Bilder oder Skulpturen, sie stehen - in der Regel - nicht allein, sie wirken im Vergleich, im Gegeneinander. Im besten Fall erhalten sie durch den Kontrast oder die Ähnlichkeit eine andere Bedeutung, können in einem neuen Licht gesehen werden. Doch Annette Voigts Objekte sind nicht. Sie werden erst. Sie erreichen eine nur vorübergehende Endgültigkeit, nur um am Ende wieder zu vergehen. Und so drängt sich eine Frage geradezu auf: Wie hält sie das nur aus? Und die neue Ausstellung beim Ebersberger Kunstverein hält Antworten darauf parat.

Annette Voigt liebt es, mit Grenzen zu spielen - also hat sie Zäune aufgebaut, die... (Foto: Peter Hinz-Rosin)
...nichts als Luft eingrenzen. Und ausgrenzen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein Turm aus weißen Pappkartons ist in den Raum gebaut, Annette Voigt nennt ihn "Weißes Haus", seine Senkrechte wird horizontal und farblich kontrastiert vom "Schwarzwald", der streng symmetrisch über den Boden wächst. Papierbögen gefaltet zu Kästchen mit quadratischer Grundfläche, eines wie das andere, mehr als 300 sind es. Als Ansammlung quadratischer Leerkörper, einmal die Länge und einmal die Breite des Raums ausmessend, teilt die Ansammlung aus Papierkästchen jenen Raum in ein Innen und ein Außen. Beides gab es nicht, bevor Voigt hier angerückt war mit einem Anhänger und mit Umzugskartons voller Papier, mit Holzlatten und Schrauben auch. Vorher, als man in den Westraum der Galerie noch seitlich hereinschlendern konnte, um sich hier dem nächsten Ausstellungsobjekt zu widmen, mit ihm im Raum zu sein. "Jetzt halt nicht mehr", frohlockt die Künstlerin. "Da geht's jetzt hier nicht mehr weiter." Die Gäste müssen außen herum gehen.

Im Kabinett 2 hat Annette Voigt "Große Helden der Arbeit" aufgebaut. Viel Material braucht sie dafür nicht, nur Holz und ein paar Schaufelblätter. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Annette Voigt spielt mit Grenzen. Mit "Ungeklärten Verhältnissen", wie ihre Ausstellung beim Ebersberger Kunstverein überschrieben ist. Entgrenzungen sind ihr Metier, sie liebt es, den Raum aufzubrechen und dabei Gedankenräume zu eröffnen. Meist in perfekter Symmetrie. "Ungeklärte Verhältnisse müssen nicht chaotisch sein", sagt die Künstlerin, "es gibt auch welche, die ordentlich sind." Das mag sein. Zumindest dann, wenn uns auch die Ordnung keine klare Orientierung gibt, weil die Verhältnisse sich nicht entwirren lassen. Oder auch, wenn es ihre scheinbar absichtslose Existenz ist, die uns verunsichert. So ist es bei Voigts Zauninstallationen im Eingangsraum der Alten Brennerei, der Säulenhalle.

Es sind ganz reizende "Souvenirs" unserer Zivilisation, die Annette Voigt zu ihrer gleichnamigen Bilderserie verarbeitet. Auf diese Weise hinterlässt der Müll zumindest attraktive Spuren. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Vor jeder Ausstellung fahre sie erst einmal los, um sich anzusehen, was sie erwarte, erzählt Voigt. Sie ist in Bamberg geboren, hat Kunst in Nürnberg studiert, jetzt lebt sie in Erlangen. Einen langen künstlerischen Weg hat sie hinter sich gebracht, seit dem Ende ihres Studiums 1986, bis sie schließlich im Baumarkt landete. Was ganz ernst gemeint ist. "Ich liebe Baumärkte", erklärt sie. Abflussrohre hat sie schon mal, Krakenarmen ähnlich, in einen Kunstcontainer in Fürth drapiert oder als Wald in der Ecke-Galerie in Augsburg aufgestellt, beim Kunstverein Zirndorf hat sie ebenfalls einen Wald geschaffen, diesmal aus Sanitärschläuchen. Denn Voigt liebt nicht nur Baumärkte, sondern auch alles, was man darin kaufen kann, "und ich kenn' mich auch damit aus", sagt sie. Wer die richtige Rohrgröße für seinen Abfluss sucht, ist bei der Künstlerin also auch an der richtigen Stelle, möchte man meinen.

"Sandbank" heißt die Installation aus roten Schaufeln mit Elektrosteckern in der Säulenhalle. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nie aber verliert sie bei aller Begeisterung fürs Praktische das Spiel mit den Grenzen aus den Augen. Und was läge da näher, als Mauern und Zäune zu bauen. Sie wachsen vor dem Besucher empor, kaum, dass er die Galerie betreten hat. Senkrecht in drei unterschiedlich hohen Kreisen angeordnete, weiße Zaunlatten aus Sägeholz, dessen Oberfläche perfekt mit dem unregelmäßigen weißen Putz der Galerie in der Alten Brennerei harmoniert, umschließen - nichts. Nichts wird von den komplett geschlossenen Zäunen geschützt, nichts eingegrenzt - eine der Säulen aus der Brennereivergangenheit der Galerie ausgenommen. "Wenn die Zäune offen wären, hieße es, ich kann rein gehen und ich kann rausgehen", sagt Voigt. So aber: nichts. Kein Trennen von Besitz und Nicht-Besitz. Keine Schutzfunktion. Das verunsichert, bei aller Ästhetik. Nichts stört hier, nichts irritiert die Augen, nichts die Wahrnehmung. In die Irre gelenkt wird nur das Bewusstsein.

Irritieren, Fragen aufwerfen, nachdenklich machen, das schafft Voigt auch mit ihren Bildern, "Souvenirs" sind sie überschrieben. "Überall, wo man ist, nimmt man sich doch was Schönes mit nach Hause", sagt die Künstlerin, "aber die Touristen, die lassen eben auch ihren Müll liegen." Und es ist jener Müll, der hier seine Spuren auf Stoff hinterlassen hat. Zusammengepresste Obsttüten, Verpackungen von Müsliriegeln, Sixpacks oder To-go-Kaffeebecher hat Voigt mit Farbe bestrichen und auf die Stoffe gepresst. Zarte, manchmal auf kräftige Muster sind dabei entstanden, flüchtige Zeugen unserer Zivilisation - eine Flüchtigkeit, die aber so gar nicht korrespondiert mit dem Wesen des Zivilisationsmülls, der bleibend ist, den wir einfach nicht loswerden. Spannung also auch hier, ungeklärte Verhältnisse ebenfalls.

"Doch das wäre mir zu wenig gewesen, um die Ausstellung zu gestalten", sagt die Künstlerin, gerade die zufälligen Hinterlassenschaften des Mülls zu wenig planbar. Voigt braucht Struktur, Organisation. Ohne diese würde nichts entstehen im Ausstellungsraum, die Künstlerin muss wissen, welche Schrauben sie mitnehmen muss für ihre Zäune, welches Werkzeug, um sie zu bauen - auch wenn sie gerade ihre roten Schaufeln, die mit Elektrosteckern gespickt sind, nicht brauchen kann. Werkzeug ist dafür da, um aufzuräumen, um Ordnung zu schaffen. Die Schaufeln sind in diesem Fall fehl am Platz. Ungeklärte Verhältnisse.

Und so sind wir wieder beim weißen Turm, der ein einziges Mal genau in dieser Position steht, genau in dieser Höhe, die durch die weiße Putzdecke des Raums begrenzt wird. Gedeckelt, möchte man fast sagen in diesen Tagen, doch das ist ein anderes Thema. Das aber nahe liegt, schließlich erinnert der Turm an einen Kamin. Er lässt den Blick in seine innere Leere zu. Regelmäßige Aussparungen offenbaren die Struktur der Anordnung, die unteren Kartons werden von den Oberen im Gleichgewicht gehalten, während die oberen ohne die unteren nicht sein könnten, wo sie sind. Schon wieder ein irritierender, zugleich aber auch schöner Gedanke. Einer, der sich gut aushalten lässt.

Annette Voigt: "Ungeklärte Verhältnisse - Objekte und Installationen im Raum". Die Ausstellung in der Alten Brennerei im Klosterbauhof Ebersberg ist von Freitag, 14. Oktober, bis Sonntag, 6. November zu sehen. Die Öffnungszeiten der Galerie sind: donnerstags und freitags 18 bis 20 Uhr, samstags 17 bis 20 und sonntags 11 bis 13 Uhr. Finissage mit Künstlergespräch ist am Sonntag, 6. November, um 11 Uhr.

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