Notaufnahme:"Wir können uns weder mehr Patienten noch weniger Personal leisten"

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Die Zentrale Notaufnahme der Kreisklinik Ebersberg. Wurde die Klägerin hier vor sieben Jahren falsch behandelt? (Foto: Christian Endt)

Die aktuelle Lage in der Notaufnahme der Ebersberger Kreisklinik ist angespannt. Der Grund: Ein hoher Krankenstand und Kündigungen beim Personal sowie ein enormer Zuwachs an Patienten, wobei viele von ihnen an anderer Stelle besser aufgehoben wären.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Das Fass ist voll. Ziemlich voll sogar. "In den vergangenen vier Wochen waren wir mit etwa 45 Prozent mehr Rettungsdienstanfahrten konfrontiert als letztes Jahr um die gleiche Zeit", sagt Viktoria Bogner-Flatz, Chefärztin der Zentralen Notaufnahme (ZNA) der Kreisklinik Ebersberg. Das alleine ist aber nicht der Grund, weshalb das Fass so voll ist. Denn gleichzeitig herrscht wegen der Pandemie ein hoher Krankenstand unter dem Personal, darüber hinaus verlassen Pflegekräfte sowie Ärztinnen und Ärzte auch noch die Bereiche Notfall- und Intensivmedizin - Arbeitspensum und emotionale Belastungen haben für einige der Betroffenen zu sehr zugenommen. "Aktuell habe ich wieder zwei Kündigungen aus der ZNA auf meinem Tisch liegen", sagt Klinik-Chef Stefan Huber. Bei einer davon sei die Begründung ganz klar: "Ich schaffe das nicht mehr."

Die Situation, die sich derzeit in der Ebersberger Notaufnahme darstellt, ist nicht besonders - zumindest insofern nicht, als dass solche Aussagen aus allen bayerischen Kliniken zu hören sind. So wies erst kürzlich die Bayerische Krankenhausgesellschaft in einer Pressemitteilung darauf hin, dass die Verfügbarkeit der Notaufnahmen in den bayerischen Krankenhäusern für den Rettungsdienst zunehmend eingeschränkt sei.

In anderer Hinsicht ist die Lage freilich sogar sehr besonders, sie lässt sich nicht ohne Besorgnis hinnehmen. Denn: "Wir können uns weder mehr Patienten noch weniger Personal leisten, ohne dass das präklinische oder klinische System teilweise oder vollständig zusammenbricht", sagt Bogner-Flatz.

Nach Großveranstaltungen steigt die Krankheitsinzidenz

Unter diesen Umständen sind Großveranstaltungen ein Problem. "Die meisten sagen, es sei jedem selbst überlassen, dort hinzugehen und damit ein erhöhtes Risiko für zum Beispiel eine Corona-Infektion einzugehen", sagt Stefan Huber. Doch solche Behauptungen verkennten einen Aspekt: "Die Notfallversorgung ist am absoluten Limit - wenn da noch etwas oben drauf kommt, könnte dies das Fass zum Überlaufen bringen." Denn nach allen größeren Menschenansammlungen in den vergangenen Jahren hat man deutlich höhere Krankheitsinzidenzen festgestellt, wie Bogner-Flatz erklärt - nicht nur bei Corona. Und ein Teil der Betroffenen landet dann in der Notaufnahme. Eine logische Schlussfolgerung daraus wäre: Das Risiko beim Besuch einer Großveranstaltung ist kein individuelles mehr, sondern ein gesellschaftliches.

Viktoria Bogner-Flatz ist Chefärztin der Zentralen Notaufnahme der Kreisklinik Ebersberg. (Foto: Kreisklinik/oh)

Aber was ist mit der ambulanten Notfallversorgung, also hausärztlichen Praxen oder der Bereitschaftspraxis der Kassenärztlichen Vereinigung in den Räumen der Kreisklinik - lässt sich dadurch überhaupt keine Entlastung für die ZNA erkennen? In der aktuellen Zeit lautet die Antwort: Wohl eher nicht. Und das hat zwei Gründe.

Patienten mit einem Schiefer im Finger erwarten kurze Wartezeiten bei "full service"

Zum einen schildert Viktoria Bogner-Flatz, dass Patienten wegen Bagatellen die Notaufnahme aufsuchten, obwohl problemlos eine Behandlung durch den Hausarzt oder den Bereitschaftsdienst möglich wäre - und dann teilweise eine hohe oder sogar sehr hohe Anspruchshaltung zugegen sei. "Hier werden kurze Wartezeiten bei 'full service' erwartet." Konkret bedeutet das, dass Bogner-Flatz und ihr Team Beschwerden erhalten für zu lange Wartezeiten bei kleinen Schnittwunden an der Zehe oder eingezogenen Schiefern im Finger. Geschäftsführer Stefan Huber bestätigt das. Die Rettungswagen vor der Klinik, die zum Teil schwerwiegende oder lebensbedrohliche Fälle bringen, davon bekomme der Patient mit der Bagatellverletzung nicht unbedingt etwas mit - weil der Schwerverletzte nicht neben ihm sitzt, sondern im Schockraum behandelt wird. "Da wird dann nach zwei Stunden Wartezeit rebelliert, weil der Schiefer im Finger noch nicht behandelt wurde - egal, ob im Schockraum gerade jemand reanimiert werden muss."

Seit 2009 leitet Stefan Huber die Ebersberger Kreisklinik - allerdings nur noch bis Ende dieses Jahres, dann wird er die Geschäftsführung von drei Kliniken der Starnberger Kliniken GmbH übernehmen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zum anderen ist aber auch die Struktur der ambulanten Notfallversorgung ein Problem. Die Zeiten, in denen es außerhalb der üblichen Sprechzeiten Notdienste in den Arztpraxen im Landkreis verteilt gab und diese Bereitschaftsärzte auch Hausbesuche erledigt haben, sind seit 2016 vorbei. Seitdem gibt es für den Landkreis Ebersberg die Bereitschaftspraxis in den Klinik-Räumen sowie einen Bereitschaftsfahrdienst - der jedoch nicht nur den Landkreis abdeckt. Wie groß das Zuständigkeitsgebiet genau ist, lässt sich auch auf Nachfrage bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) nicht genau sagen - in der Regel starte der diensthabende Arzt, der den kürzesten Weg zum Patienten zurücklegen muss. Eine Auskunft über die Dauer, die ein Betroffener im ländlichen Bereich durchschnittlich warten muss, ehe der Bereitschaftsarzt eintrifft, könne nicht getroffen werden. Aber den Aussagen von Klinik-Chef Huber zufolge scheint eine Schlussfolgerung klar: Es muss viel Zeit fürs Fahren aufgebracht werden, hingegen bleibt eher wenig Zeit für die Patientenversorgung.

Viele in dem Bereich halten eine Reform der Notfallversorgung für notwendig

"Hier ist dringend eine Reform notwendig", sagt Bogner-Flatz. Sie spricht von einer Struktur, durch die sich ermitteln lässt, ob der Patient eine klinische Notfallversorgung oder eine klinisch diagnostische Ressource benötigt - oder ob der Patient auch im ambulanten Bereich durch niedergelassene Ärzte gut versorgt werden kann.

Eine Reform der ambulanten Notfallversorgung ist im aktuellen Koalitionsvertrag angekündigt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat im Juni dieses Jahres ein Positionspapier für ein Konzept zu einer solchen Reform vorgelegt. Demnach soll in jedem Krankenhaus ein Integriertes Notfallzentrum (INZ) etabliert werden. Ein solches INZ besteht aus der Notaufnahme, die organisatorisch der Klinik angehört, und einer sogenannten Portalpraxis, die die Kassenärztlichen Vereinigungen eigenständig an der Klinik betreiben - im Fall Ebersberg wäre das die Bereitschaftspraxis in den Klinik-Räumen. An einem gemeinsamen Tresen erfolgt dann eine Ersteinschätzung des Patienten, sodann wird er an die für ihn am besten geeignete Versorgungsstruktur weitergeleitet: Hausarztpraxis, Bereitschaftspraxis oder Notaufnahme. Die Entscheidung über eine Reform ist jedoch von der Bundesregierung um ein Jahr verschoben worden, wie die Bayerische Krankenhausgesellschaft schreibt.

"Da muss die Politik unbedingt ansetzen und etwas verändern", sagt Stefan Huber. Ihn mache es traurig, dass nun zwei Mitarbeiter aus dem 25-köpfigen Team der Ebersberger ZNA gehen - das sind immerhin acht Prozent der Belegschaft, die wegfallen. Denn eigentlich wolle man für den Beruf motivieren. Aber wenn die Belastung zu groß wird, funktioniere das eben nicht mehr. "Da kann ich als Klinik-Chef nur leider auch nicht viel machen." Aufgrund des Fachkräftemangels wird es wahrscheinlich keine leichte Aufgabe, die Stellen nachzubesetzen. "Möglicherweise werden wir Personal umschichten müssen, was wiederum zu weiteren Engpässen in anderen Bereichen führen würde."

In lebensbedrohlichen Situationen wie Brustschmerz, Atemnot, schweren Unfällen soll weiterhin die Rufnummer 112 gewählt werden. Bei weniger akuten Beschwerden sollten Patientinnen und Patienten den Hausarzt aufsuchen. Bei Unklarheiten berät der ärztliche Bereitschaftsdienst unter der Rufnummer 116 117 hinsichtlich weiterer Versorgungsmöglichkeiten.

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MeinungNotfallversorgung
:Der Schiefer soll nach Hause gehen!

Solange die Strukturen in der Notfallversorgung so sind, wie sie sind, ist es mehr denn je geboten, dass jeder Mensch genau abwägt, ob seine Verletzung wirklich ein Grund für einen Besuch in der Notaufnahme ist.

Kommentar von Johanna Feckl

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