Babyboom:21 Prozent mehr Geburten in Ebersberger Kreisklinik

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Der kleine Vitus ist das 500. Baby, das in diesem Jahr in der Kreisklinik auf die Welt gekommen ist. Darüber freuen sich alle: Hebamme Josita Hohenleitner, Oberärztin Carla Maier, Assistenzärztin Maren Houben, Mama Lea Ficker mit Vitus, Papa Josef Erl mit Antonia, der großen Schwester von Vitus, Chefärztin Helen Budiman, Anita Weinberger und Violeta Teneva (von links). (Foto: Kreisklinik/oh)

Im Kreis Ebersberg gibt es einen signifikanten Geburtenanstieg. Für Klinik-Chefärztin Helen Budiman ist nicht die Pandemie der Grund dafür.

Interview von Michaela Pelz

Dass es sich bei den Geschichten rund um den New Yorker Babyboom im Sommer 1966, ziemlich genau neun Monate nach einem großen Stromausfall, um eine "Urban Legend" handelt, ist längst wissenschaftlich bewiesen. Doch wird sich auch ein Zusammenhang zwischen den Ausgangsbeschränkungen der diversen Corona-Lockdowns und der Entwicklung der Geburtenzahlen als Mythos erweisen? Die vorläufigen Zahlen des Bayerischen Landesamts für Statistik lassen die spätere endgültige Überprüfung mit Spannung erwarten. Von Dezember 2020 bis Februar 2021 geht man für den Freistaat von 4,4 Prozent mehr Lebendgeburten aus als im gleichen Zeitraum ein Jahr zuvor - im Landkreis Ebersberg beträgt der Wert 6,7 Prozent. Vergleicht man nur die Monate März 2020 und März 2021, beträgt der Unterschied bayernweit 7,8 Prozent. In Ebersberg beläuft sich dieser Unterschied sogar auf 21 Prozent. Allein mit einem über die Jahre stabilen Zuzug von maximal zwei Prozent lässt sich das nicht erklären. Nachfrage bei Helen Budiman, Chefärztin der Gynäkologie und Geburtshilfe an der Kreisklinik Ebersberg.

SZ: Herzlichen Glückwunsch - Sie haben Mitte August das 500. Kind in diesem Jahr zur Welt gebracht. Wie fühlt sich das an?

Helen Budiman: (lacht) Gut! Im letzten Jahr hatten wir diese Zahl erst Anfang September erreicht, jetzt sind wir drei Wochen früher dran. Das bestätigt unseren guten Ruf und die gute Geburtshilfe, die wir machen.

Könnte es nicht vielmehr auch mit einem gewissen "Corona-Effekt" zusammenhängen, wie ihn die gerade veröffentlichten Zahlen suggerieren?

Wir haben tatsächlich bemerkt, dass es generell immer mehr Geburten bei uns gibt - letztes Jahr lagen wir bei 740.

Und wie erklären Sie sich das?

Nun, Ebersberg ist ein junger und begehrter Landkreis - da kommen schon mal mehr Kinder auf die Welt. Des Weiteren gibt es traditionell hier auf dem Land oft Familien, die das dritte oder vierte Kind bekommen. An meinem vorherigen Arbeitsplatz in München Großhadern war das nicht die Norm.

Also sehen Sie gar keinen Zusammenhang mit der Pandemie?

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Das nun auch wieder nicht. Durch die Corona-Krise hatten wir plötzlich vermehrten Zulauf aus Landkreisen wie Erding, München und sogar Starnberg, was sicher auch unserem etwas anderen Umgang mit der Pandemie geschuldet war.

Was bedeutet das konkret?

Ich weiß, dass die Münchner Kliniken teilweise strenge Regeln hatten: Werdende Väter durften ihre Frauen nur zur Geburt begleiten, wenn überhaupt. Es gab keine Familienzimmer, keine Besuche, schon gar nicht von Geschwisterkindern. In Ebersberg hingegen war das Corona-Konzept ein anderes: Wir hatten keine Ausbrüche und keine Infektionen, darum haben wir Partner erlaubt. Männer und Frauen wurden getestet und alle mussten Masken tragen - außer unter der Geburt. Zudem gibt es bei uns keine Dreibett-, sondern maximal sehr große Zweibettzimmer sowie vier Familienzimmer, in denen die Familien unter sich sind. Darum habe ich diese Räume guten Gewissens offengelassen, denn es gab keine Gefährdung. Das hat sich herumgesprochen - auch über die Grenzen des Landkreises hinaus.

Ganz offensichtlich, denn immerhin haben von Dezember 2020 bis Februar 2021 satte 16 Prozent mehr Frauen in der Kreisklinik entbunden als im gleichen Zeitraum ein Jahr zuvor. Im März 2021 waren es gar 20 Prozent mehr als im März 2020.

Das stimmt. Wobei ich vermute, dass das tatsächlich mit unserer steigenden Beliebtheit zusammenhängt. Weil sie hören, dass es bei uns so schön ist, kommen die Landkreisbewohnerinnen beim zweiten Kind dann lieber nach Ebersberg als wieder in München zu entbinden.

Zumal Sie auch in der Pandemie mindestens genauso gut vorbereitet waren.

.. Wir hatten zu Beginn für den Fall der Fälle einen "Corona"-Kreißsaal ausgewählt, Wege definiert, Zuständigkeiten festgelegt. Doch dann gab es all die Monate keine einzige Sars-Cov19-positive Frau unter der Geburt. Infizierte Schwangere, ja, auch Wöchnerinnen, aber keine Gebärende mit dem Virus.

Aktuell spielen die Pandemie-Regeln eine große Rolle, generell beeinflusst aber vor allem die Philosophie einer geburtshilflichen Abteilung den Ablauf. Was steht bei Ihnen im Vordergrund?

Bei uns gibt es keine Risikogeburtshilfe, also Entbindungen vor der 36. Woche, in denen immer ein Kinderarzt dabei sein sollte. Auch Zwillinge fallen in diese Kategorie, denn bei ihnen gibt es häufiger Probleme als bei Einlingen. Wir filtern die Frauen vorher im Gespräch, klären zum Beispiel, ob ein insulinpflichtiger Gestationsdiabetes oder beispielsweise eine Herzfehlbildung beim Kind im Raum steht - dann sind wir nicht die richtige Adresse. Allen anderen aber bieten wir eine Geburtsmedizin, die nicht wirklich eine solche ist. Der wichtigste Player im Kreißsaal neben der Gebärenden ist die Hebamme, die von Akupunktur über Aromatherapie bis zum Taping alle möglichen, auch nicht schulmedizinischen, Verfahren kennt, die der Gebärenden guttun. Der Arzt oder die Ärztin kommen nur zur Geburt dazu oder wenn es schnell gehen muss, ein Kaiserschnitt ansteht oder starke Blutungen eintreten.

Das klingt nach einem fast partnerschaftlichen Umgang...

Wir sind ein junges Team, in dem es eine sehr flache Hierarchie gibt. Es muss vielmehr ein Miteinander sein, jeder hat seine Aufgabe. Als Ergebnis bekommen wir ein super Feedback. Anderswo muss die Geburtshilfe aufgrund von Hebammenmangel schließen, wir hingegen haben ein stabiles Team. Viele davon kommen aus dem Landkreis und sind hier total verankert. Dabei fahren wir ein Mischsystem und arbeiten in der Mehrzahl mit Beleghebammen.

Gibt es weitere Besonderheiten?

Eine grundlegende Änderung seit einem Jahr ist die Einführung einer Hebamme in Rufbereitschaft. Schon da zeichnete sich ein Anstieg der Zahlen ab und eine allein kann das nicht schaffen. Nun gibt es ein fixes Dienstmodell und die Frauen können sicher entbinden.

Mit, wie im Vorjahr, 740 Geburten...

...sind es rein rechnerisch zwei pro Tag. Doch in der Realität kommt halt manchmal gar kein Kind, am anderen Tag dafür fünf. Vor kurzem hatten wir an einem einzigen Wochenende zwölf Geburten, eins der Babys wurde im Rettungswagen entbunden, die Plazenta dann bei uns. Ein zweites Baby kam ungeplant spontan daheim zur Welt, ohne jede Hilfe. Das ist aber die Ausnahme.

Wenn sich der Trend fortsetzt, landen Sie irgendwann bei 1000.

Überrannt zu werden, wäre auch nicht gut. Wir möchten kein Geburtsbunker werden wie die großen Münchener Kliniken mit ihren 3500 Entbindungen.

Machen Sie dann dicht?

Ganz sicher werden wir nicht auf Zahlen verweisen und die Leute wie Josef und Maria vor der Tür stehen lassen.

Und wie sieht es mit dem Platz aus?

Aktuell stehen wir mit unseren beiden Kreißsälen und dem Wehenzimmer, in dem man auch entbinden kann, gut da. Weil aber beim Bau der Klinik die Geburtshilfe auf 400 bis 500 Geburten ausgelegt war und wir da nun weit darüber sind, soll es langfristig noch einen schönen, großen, neuen Saal geben. Angesprochen habe ich das schon, eine konkrete Planung gibt es noch nicht.

© SZ vom 07.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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